Karneval in Brasilien Erster Homosexueller als Samba-Königin
In den vergangenen Jahren litt der Karneval in Rio unter der Hetze gegen die LGBTQI-Community von Ex-Präsident Bolsonaro. Dieses Jahr ist das offenbar anders: Erstmals führte ein schwuler Mann eine große Parade als Fahnenträgerin an.
Morango muss den Bauch etwas einziehen, um in das Unterkleid zu schlüpfen. Dann wird ihm der mit Pailletten und Stickereien besetzte Reifrock umgelegt. Das Bustier spannt etwas über dem breiten Brustkorb. Noch ein bisschen Glitter auf die Wangen, Federkrone auf - dann ein nervöser Blick auf die Uhr: Gleich ist es so weit.
Gleich führt Anderson Morango seine Sambaschule Arranco über den Sapucai, die weltberühmte Straße durch das Sambodrom. "Jetzt bin ich schon flatterig, aber wenn ich dort reingehe, die Leute jubeln und tanzen, dann wird es schon gehen", sagt Morango.
Es sei eine Frage der Selbstüberwindung für ihn. "Und guck, wo ich - schwarz, arm und schwul - jetzt stehe: Bei der größten Karnevalsshow der Welt. Das war immer mein Traum."
Anderson Morango ist der erste Mann, der in Rios weltberühmtem Karneval als Fahnenträgerin auftritt. Eine der wichtigsten Figuren der Sambaschulen, sozusagen das Aushängeschild des gesamten Umzuges, der gleichzeitig ein knallharter Wettbewerb ist.
Prestige, Bekanntheit und mehr Geld: Karneval auf dem Sambodrom in Rio.
Parallel zum Auftakt von Arranco fallen erste Regentropfen, ein Wagen steckt in der Kurve fest, einigen Tänzerinnen fehlt noch das Kostüm. Die Anspannung steigt - doch dann endlich: Samba.
Für Morangos Schule steht viel auf dem Spiel. Arranco hat gerade erst den Aufstieg von der dritten in die zweite Liga geschafft. Die dritte Liga tritt im Vorort Madureira auf, die zweite darf bereits ins Sambodrom.
Widerstand leisten, um zu existieren
Das bedeutet: mehr Prestige, größere Bekanntheit, mehr Geld, erklärt Rai Menezes von der Schule Imperial Lins. "Es tut manchmal weh, Karneval von ganz unten zu machen", sagt er. "Berühmt sind die großen Schulen, uns fehlt das Geld, das Material und die Zeit." Es sei ein ständiger Kampf. "Aber heute werden wir mit Entschlossenheit und Würde ins Sambodrom einfahren."
Die Wagen sind kleiner, die Kostüme einfacher, Hebebühnen und Spezialtricks wie bei den Schulen der Spezialgruppe gibt es hier nicht. Widerstand leisten, um zu existieren, ist das Motto von Menezes Schule, der direkten Konkurrenz von Arranco. Ihr Motto in diesem Jahr: Madam Sata, sie war die bekannteste Transfrau Rios in den 30er-Jahren.
"Wer uns sieht, weiß nicht, was wir durchgemacht haben"
"Schwul, schwarz, arm, Analphabet aus dem Nordosten - und dann wurde er zur größten Performance-Künstlerin von Rio, die außerdem Sozialarbeit für andere leistete", erklärt Menezes. Das sei auch eine Metapher für die Sambaschulen aus den Vororten. "Wer uns im Rampenlicht glänzen sieht, weiß nicht, was wir alles durchgemacht haben."
Sie setzen auch ein Zeichen gegen die Intoleranz der vergangenen Jahre, als der damalige Präsident Jair Bolsonaro gegen Homosexuelle hetzte, seine Getreuen dem Karneval die Mittel strichen und Madame Sata von der offiziellen Liste prominenter Künstler Brasiliens genommen wurde.
Diese Zeit sei Gott sei dank vorbei, sagt Morango. Er habe in seinem Leben gegen viele Vorurteile gekämpft, heute trage er die Fahne des Respekts. "Wir müssen nicht sein, was uns die Gesellschaft vorschreibt", sagt Morango. "An Karneval, sagt man, ziehen sich die Menschen eine Maske auf. Ich lege sie ab und zeige, wer ich wirklich bin."