GSI-Anlage
mittendrin

Teilchenbeschleuniger in Darmstadt Das Universum im Labor

Stand: 21.02.2023 19:09 Uhr

In Darmstadt wird ein neuer, großer Teilchenbeschleuniger gebaut. Anders als im CERN in Genf werden dort schwere Teilchen beschleunigt. Neben der Grundlagenforschung geht es auch um praktische Anwendungen, etwa in der Krebstherapie.

Der Zugang zum neuen Teilchenbeschleuniger ist noch hinter einer großen Plastikplane verborgen. Wer die zur Seite schiebt, dem öffnet sich der Eingang zu einem unterirdischen Mega-Labor. Denn den Geheimnissen des Universums gehen die Wissenschaftler in Darmstadt rund 20 Meter unter der Erde nach.

Auf einer der größten wissenschaftlichen Baustellen weltweit entsteht dort seit 2017 ein neuer Teilchenbeschleuniger. Der Beton, der hier verbaut wird, würde für acht Frankfurter Fußballstadien reichen, der Stahl für neun Eiffeltürme.

600.000 Kubikmeter Beton, 65.000 Tonnen Stahl

Der kreisförmige Tunnel für die technische Anlage ist bereits gebaut, auch einige andere große Hallen. Ehrfürchtig nennen die Wissenschaftler eine von ihnen die "Kathedrale". Strahlend weiß wartet sie, wie auch die anderen Räume, darauf, dass komplizierte Apparaturen eingebaut werden, mit denen ab 2028 Ionen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden.

#mittendrin: Der neue Teilchenbeschleuniger in Darmstadt

Alex Jakubowski, HR, tagesthemen, tagesthemen, 21.02.2023 22:15 Uhr

Die Forscher schießen die Teilchen auf Materialproben und können am winzigen Aufprallpunkt für einen kurzen Moment kosmische Materie erzeugen. So wollen sie im Prinzip die Folgen des Urknalls erforschen und herausfinden, wie neue Teilchen und Materie entstehen.

Die im Bau befindliche, FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) genannte Anlage schließt an das bereits seit 1969 gegründete GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung an. Der dort stehende Linearbeschleuniger soll die Ionen später auf eine Grundgeschwindigkeit bringen, bevor sie dann im neuen Ringbeschleuniger fast auf Lichtgeschwindigkeit gebracht werden, also annähernd 300.000 Kilometer pro Sekunde.

Ein Linearbeschleuniger

Ein Linearbeschleuniger am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung. Hier sollen die Ionen auf eine Grundgeschwindigkeit gebracht werden.

"Unvorstellbar", gibt Ingo Peter zu. Er ist selbst Physiker und arbeitet in der Pressestelle von FAIR und GSI. "Vorstellen und begreifen, das können auch wir nicht. Aber wir können damit umgehen, wir können Forschung betreiben und das auch technisch umsetzen. Aber das wirkliche, echte Begreifen, im Herzen, das kann keiner", so Peter.

Neue Elemente - darunter das Darmstadtium

In der bereits bestehenden Anlage des GSI haben die Wissenschaftler in der Vergangenheit sechs neue Elemente des Periodensystems entdeckt. Die Elemente 107 bis 112 ergänzen nun die aus der Schule bekannte Tafel - darunter auch das Darmstadtium. Entstanden ist es durch die Verschmelzung zweier chemischer Elemente.

"Wir werden auch mit dem neuen Teilchenbeschleuniger Materie erzeugen", so Ingo Peter, "wie sie nur im Universum vorkommt. So können wir das Universum hier im Labor auf der Erde erforschen".

3000 Wissenschaftler aus über 50 Ländern sollen künftig in der Anlage experimentieren. Neben der Grundlagenforschung sollen auch bereits entwickelte Anwendungen modifiziert werden. Von 1997 bis 2008 hat man beispielsweise 440 Krebspatienten mit dem hier erzeugten Ionenstrahl beschossen und so Hirntumore behandelt. Inzwischen wird dies mit einer wesentlich kleineren Anlage etwa an der Uniklinik in Heidelberg gemacht.

Krebsforschung weiterentwickeln

Jetzt arbeiten die Forscherinnen und Forscher in Darmstadt an einer Möglichkeit, auch bewegliche Tumore, etwa in der Lunge, mit einem Ionenstrahl zu beschießen. Dafür muss der Strahl exakt ausgerichtet werden und sich der durch die Atmung ausgelösten Bewegung der Lunge anpassen. "Wir müssen den aus dem Teilchenbeschleuniger kommenden Ionenstrahl mit der Bewegung des Tumors mitführen", erklärt Physiker Peter.

Zwei Mitarbeiterinnen analysieren mit einem Ionenstrahl beschossene Gewebeproben.

Zwei Mitarbeiterinnen analysieren Gewebeproben, die mit einem Ionenstrahl beschossen wurden.

Darüber hinaus arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit der ESA an den Auswirkungen der Weltraumstrahlen auf Astronauten, bei Flügen zum Mond oder Mars etwa. Zukunftsmusik noch, aber: "Die Menschen haben sich solche Missionen vorgenommen, und unsere Aufgabe ist es, die Auswirkungen dieser kosmischen Strahlung zu untersuchen", so Peter.

Dafür beschießen die Wissenschaftler im Labor Zellproben mit konzentrierten Ionenstrahlen. Die dabei auftretenden Schäden sollen später dabei helfen, einen geeigneten Schutz für die Astronauten zu entwickeln. Damit aus Science-Fiction irgendwann Wirklichkeit werden kann.