Ausbau der Windkraft Wie können Vögel besser geschützt werden?
Um die Klimaziele zu erreichen, sollen bis 2035 zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windräder zur Verfügung stehen. Eine Gefahr für viele Vogelarten, warnen Tierschützer. Kann Technik das Kollisionsrisiko senken?
Windräder zu errichten, ist im Baugesetz als privilegierte Baumaßnahme eingestuft. Damit gilt grundsätzlich Baurecht für sie im Außenbereich. Damit Anlagen aber tatsächlich genehmigt werden können, müssen auch mögliche Auswirkungen auf die besonders geschützten, kollisionsgefährdeten Vogelarten vorab untersucht werden. Dazu gehören Greifvögel wie Rot- oder Schwarzmilan. "Es muss geklärt werden, ob sich das allgemeine Risiko, zu Tode zu kommen, für die betroffenen Brutpaare vor Ort deutlich erhöht", erklärt Elke Bruns vom Kompetenzzentrum für Naturschutz und Energiewende KNE.
Am einfachsten wäre das zu umgehen, wenn Windräder dort gebaut werden, wo es keine Konflikte mit dem Artenschutz gibt, sagt Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern. "Das sind vor allem landwirtschaftlich intensiv genutzte Bereiche mit wenig Artenvorkommen oder auch einförmige Nadelwälder, die für windkraftsensible Vogel- und Fledermausarten als Lebensraum nur sehr wenig geeignet sind."
Konflikte mit Artenschutz in der Praxis nicht vermeidbar
In der Praxis wird es aber vorkommen, so Landschaftsplanerin Bruns, dass als geeignet eingestufte Standorte nicht immer unproblematisch in Bezug auf geschützte Arten sind. "Nicht überall ist es möglich, ausreichend Abstand einzuhalten zu den Brutplätzen, etwa des Rotmilans", erklärt sie.
Selbst wenn sich herausstellt, dass ein signifikantes Tötungsrisiko besteht, heißt das aber nicht pauschal, dass kein Windrad errichtet werden darf, betont die Landschaftsplanerin. Außer in unmittelbarer Nähe zum Brutplatz. Es gebe eine Reihe von Schutzmaßnahmen, um das Kollisionsrisiko zu senken. Eine mögliche Schutzmaßnahme: sogenannte Antikollisionssysteme.
Er segelt elegant am Himmel: Der Rotmilan ist leicht an seinem gegabelten Schwanz und den weißen Flügelfeldern zu erkennen.
Wie gut funktioniert Technik bei der Vogelerkennung?
"Es liegt der Nachweis vor, dass ein System aus den USA für eine Art, den Rotmilan, zuverlässig funktioniert", sagt Bruns. Für Seeadler aber gab es bis vor Kurzem keinen ausreichenden Nachweis. Kann Kamera- oder Radartechnik Vögel wirklich zuverlässig erkennen und dafür sorgen, dass Windräder dann kurzfristig abgebremst werden, damit es keine Zusammenstöße gibt?
Ja, sagt Siegfried Rieger von der Fachhochschule Eberswalde in Brandenburg. Er hat gerade gemeinsam mit einem Kollegen eine Studie dazu abgeschlossen. Sein Team hat das in den USA entwickelte Kamerasystem IdentiFlight, getestet. "Weil wir davon ausgehen konnten, dass IdentiFlight wirksam ist, wollten wir es stressen, um zu schauen: Was kann dieses System wirklich? Wo sind die Grenzen?" Getestet wurde von den Wissenschaftlern in Eberswalde außerdem ein Radarsystem, das in der Schweiz entwickelt wurde.
Studie mit virtuellem Windrad
Biologe Rieger von der Fachhochschule Eberswalde hat die Technik, die Vogelkollisionen verhindern soll, an einem virtuellen Windrad in der offenen Landschaft auf ihre Zuverlässigkeit getestet. "An Standorten, wo wahrscheinlich nie eine Windkraftanlage stehen wird. Weil wir dort ein sehr hohes Flugaufkommen von Rotmilan, aber auch Seeadler haben", erklärt Rieger.
"Beide Systeme schneiden mit sehr guten Werten ab, wenn es darum geht, rechtzeitig und im gesamten Radius rund um das Windrad Vögel zu erkennen", erklärt er. Unterschiede gibt es bei der Art-Erkennung. Das Kamerasystem sei dem Radarsystem hier überlegen, so Rieger. "Die KI ist tatsächlich sehr gut trainiert und funktioniert auch für Seeadler." Ein Team von Ornithologen ist an den untersuchten Standorten gegen die KI angetreten, um zu überprüfen, ab wann und wie gut ein Seeadler oder Rotmilan detektiert wird.
Forschungsergebnisse: Kamerasystem schützt auch Adler
"Beim Rotmilan haben wir Werte von 97 Prozent und beim Seeadler von 99 Prozent", so Rieger. Die positiven Ergebnisse aus dieser Studie und auch weiterer Untersuchungen haben dazu geführt, dass in Schleswig-Holstein und Bayern das System für Adler offiziell anerkannt wurde.
Systeme nach dem Prinzip von IdentiFlight überwachen mit einer Einheit aus acht kreisförmig angeordneten Weitwinkelkameras in einem 360-Grad-Umkreis den Luftraum um das Windrad. Die Reichweite der Kamera hängt davon ab, wie groß das Objekt ist, das sie erkennen soll.
Einen Rotmilan kann das System auf eine Distanz von 750 Metern erfassen. Einen Seeadler sogar auf eine Distanz von 1.000 bis 1.200 Metern. Eine drehbare Kameraeinheit richtet sich auf das erfasste Flugobjekt. Die Bilder wertet eine Software aus. Die kann herausfiltern, um welche Art - Rotmilan, Schwarzmilan oder Adlerarten - es sich handelt. Dabei ist die Beobachtung von mehreren Vögeln gleichzeitig möglich.
Erkennt das System sogenannte Zielarten, kommt es zum Abschaltsignal. Der Rotor wird aus dem Windrad gedreht und verlangsamt sich dadurch so stark, dass kein Kollisionsrisiko mehr besteht. In den USA wird diese Abschalttechnik schon häufiger eingesetzt, in Deutschland bisher nur im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte. Im Jahr 2024 sollen die ersten Windräder in Bayern damit in Betrieb gehen.
Studie in Bayern: Erste Zwischenergebnisse
In Bayern läuft derzeit eine ähnliche Studie wie in Brandenburg. In Fuchstal im Landkreis Landsberg am Lech. Die Arbeitsgruppe von Professor Christoph Moning von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf untersucht dort, wie gut das Kamerasystem IdentiFlight Vögel über Wald erkennt. Und, ob es rechtzeitig ein Signal erteilt, damit der Rotor aus dem Wind gedreht wird. "Die Kamerasysteme tun sich etwas schwerer, Vögel vor dunklerem Hintergrund zu erkennen als am klaren Himmel. Insgesamt konnten wir aber sehen, dass die Systeme sehr gut funktionieren," so Moning.
Derzeit werden die neuen Windräder in Fuchstal fertiggestellt. Die Wissenschaftler wollen danach prüfen, ob sich die vorab gewonnenen Erkenntnisse im Realbetrieb bestätigen. Besonders spannend sei die Frage, ob Rotmilane ausweichen werden, sagt Moning. Dass die Vögel die Rotoren meiden, konnten die Wissenschaftler bereits in der Bauphase beobachten.
Wie groß ist das Kollisionsrisiko für Vögel?
Auch neue wissenschaftliche Untersuchungen aus Schottland und Hessen zeigen: Das Kollisionsrisiko könnte geringer sein, als bisher vermutet. In einer Studie im Vogelsberg wurde ermittelt, dass "98,3 bis 99,1 Prozent der Vögel dem Rotor ausgewichen sind", so Landschaftsplanerin Bruns. Sie fliegen sowohl seitlich daran vorbei als auch unter oder über dem Rotor, das hätten die aufgezeichneten Flugbahnen gezeigt.
Selbst ein Rotordurchflug müsse nicht zwangsläufig tödlich verlaufen. Vögel fliegen unter Umständen viele Male an Windrädern vorbei. Es könnten Jahre vergehen, ohne dass es zu Schlagopfern komme. "Gänzlich auszuschließen ist es aber nicht", erklärt Bruns. Ob und wann es passiert, hänge vom Zufall ab: Witterung und Sichtverhältnisse, aber auch die plötzliche Ablenkung oder Verfolgung des Vogels spielten eine Rolle.
Bald mehr Antikollisionssystem in deutschen Windparks?
Auch wenn die bisherigen Studien zu Antikollisionsmaßnahmen zeigen, dass Vögel mit sehr hoher Zuverlässigkeit erkannt und Rotoren der Windräder rechtzeitig verlangsamt werden, geht Bruns nicht davon aus, dass diese Technik bald standardmäßig in Deutschland zum Einsatz kommt. Die Anschaffungskosten seien mit mindestens 300.000 Euro dafür noch zu hoch, erklärt sie. "Für Anlagenbetreiber muss sich die Technik amortisieren."
Gerade an weniger windstarken Standorten sei das nicht einfach. "Schade", findet Wissenschaftler Moning. Im Sinne des Naturschutzes wäre es wünschenswert, wenn solche Systeme ähnlich wie mit der Einführung des Sicherheitsgurts im Auto zum Standard würden, meint er. Es gibt aber auch Hoffnung, dass Antikollisionstechnik bald günstiger wird. Denn auch deutsche Hersteller sind dabei, aufzuholen und werden das Angebot auf dem Markt erweitern.