Folgen schmelzenden Permafrosts in Jakutien: Hügellandschaft durch abgesacktes Erdreich.
Weltspiegel

Klimawandel in Russland Unter Usun-Kujöl taut der Boden weg

Stand: 17.10.2021 07:20 Uhr

Im russischen Jakutien spüren die Menschen unmittelbar die Folgen des Klimawandels: Durch den tauenden Permafrost bricht der Boden ein, die Häuser sacken ab. Eine Siedlung in Usun-Kujöl ist unbewohnbar.

Ein tiefer Graben, der Boden durchfurcht von endlosen Hubbeln von mehreren Metern Durchmesser - so sieht es in Usun-Kujöl jetzt aus, weil der Permafrost im Boden anfängt zu schmelzen. "Noch zur Zeit der Sowjetunion war das hier alles flach", erzählt der 49-jährige Iwan Nogowizin. "Es war eine Ebene." Jetzt ist davon nichts mehr übrig. "Diese Entwicklung macht einem Angst. Die Kinder laufen doch hier entlang zur Schule."

Normalerweise sind zwei Drittel des Bodens in Russland ganzjährig gefroren. Im Sommer tauen nur die obersten Zentimeter ein wenig auf, die Schichten darunter bleiben vereist. Das macht den Boden stabil. Doch in Jakutien sind die Durchschnittstemperaturen in den vergangenen Jahrzehnten um drei Grad gestiegen, der Permafrost schmilzt, sodass der Boden immer wieder einbricht - mit Folgen für Menschen wie Iwan Nogowizin. 

Permafrost in Sibirien in Gefahr

Demian von Osten, ARD Moskau, Weltspiegel

Der Eiskeller ist undicht

Der Familienvater hat sein ganzes Leben in Usun-Kujöl verbracht. Doch das Haus, das er für sich, seine Frau und die fünf Kinder errichtet hat, hat die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Er zeigt auf ein paar alte Bretter, die am Boden liegen - das ist alles, was noch übrig ist. "Im Jahr 2000 habe ich das Haus gebaut", erzählt er. "Sechs, oder sieben Jahre habe ich da gelebt. Das war’s." Das Haus ist in sich zusammengesackt. Er hat es mit Freunden abgebaut und an einen neuen Ort gefahren. Jetzt steht hier nur noch der Schuppen mit dem Eiskeller.

Der Bewohner Iwan Nogowizin zeigt auf etwas

Iwan Nogowizin hat ein Haus in Usun-Kujöl gebaut - und an den Klimawandel verloren.

Nogowizin schließt die Schuppentür auf, legt Isolierdecken beiseite und öffnet zwei weitere Türen im Boden. Eine steile Treppe führt hinunter in etwas, das wie ein Verlies wirkt. Doch Nogowizin macht das Licht an, das sich sofort in Dutzenden Eisblöcken widerspiegelt. Es ist der Eiskeller - eine Art natürlicher Kühlschrank, typisch in Jakutien. Die Eisblöcke sind sein Trinkwasservorrat für den Sommer. Doch auch der Eiskeller ist bedroht: "Im vergangenen Jahr ist hier Wasser reingelaufen. Es hat so heftig geregnet. Dass es hier getropft hat, sowas gab es früher nicht."

Wie Iwan Nogowizin haben auch seine Nachbarn mit den Veränderungen des Permafrosts zu kämpfen: Die meisten Häuser stehen leicht schief. Nur ein Ehepaar lässt sich nicht einschüchtern. Sie haben ihr Haus auf breite Traktorreifen gestellt - damit es schwerer einsinkt. "Natürlich haben wir Angst", sagt Eigentümerin Paraskowija Makarowa. "Unser Haus sinkt ständig ab." Schon einmal haben sie das Haus um zehn Meter verstellt. "Es ist jedes Jahr dasselbe: Erst hält der Permafrost noch stand, dann gibt es kurz vor Dezember starke Bewegungen." Ihr Enkel fährt mit einer Schubkarre Kuhmist heran. Damit stopfen sie regelmäßig die entstandenen Unebenheiten. Es wirkt wie ein hilfloser Kampf gegen die Natur, den sie nicht gewinnen können.

Folgen schmelzenden Permafrosts in Jakutien: Hügellandschaft durch abgesacktes Erdreich.

Folgen schmelzenden Permafrosts in Jakutien: Hügellandschaft durch abgesacktes Erdreich.

Der Wasserspiegel steigt

Doch die Bedrohungen betreffen nicht nur die kleinen Dörfer auf dem Land. In Jakutsk, etwa vier Autostunden entfernt, steht eine ganze Stadt auf Stelzen. Die Pfeiler sind etwa acht bis zehn Meter in den Permafrostboden geschlagen worden - doch das reicht nicht mehr, erklärt Permafrost-Forscher Semjon Gotowzew: "Sie stehen, weil der Permafrost sie zusammenhält. Als der Klimawandel begann, haben die Häuser angefangen, sich zu deformieren, die Stelzen fingen an, einzusinken." Jetzt sind an manchen Häusern Risse in den Wänden entstanden. Experten machen sich Sorgen um ihre Stabilität.

Das ist nicht das einzige Problem. Auch der Fluss Lena, bei der Großstadt Jakutsk etwa anderthalb Kilometer breit, dürfte sich durch den Klimawandel verändern. "Die Lena wird es immer geben", sagt Gotowzew. "Aber sie wird in jedem Fall deutlich mehr Wasser führen, vielleicht fünf oder sechs Meter mehr, sodass die nahegelegenen Ufer überflutet werden." Auch im Weltklimabericht taucht die Lena auf - sie könnte ein Drittel mehr Wasser führen, schreiben die Wissenschaftler dort.

Permafrost-Forscher Semjon Gotowzew

Permafrost-Forscher Semjon Gotowzew untersucht die klimatischen Veränderungen in Jakutien.

Rette sich, wer kann

In Usun-Kujöl sind die Menschen mit den Folgen des Klimawandels weitgehend allein. "Ich möchte mich nicht beschweren", sagt Ortsvorsteher Jegor Siwzew. "Aber mit meinem Mandat sollte ich den Menschen ein komfortables Leben ermöglichen. Das kann ich aber nicht - mir fehlen die finanziellen Möglichkeiten." Denn wessen Grundstück durch den Klimawandel absackt, der muss sich auf eigene Kosten ein neues suchen. Das alte ist schließlich nichts mehr wert.

Wohnblock in Jakutsk

Ein Wohnblock in Jakutsk.

So hat es auch Iwan Nogowizin gemacht. Als LKW-Fahrer auf Jakutiens Winterstraßen hat er gutes Geld verdient. Er lebt jetzt mit seiner Familie im Dorfzentrum. "Zwei Meter ist die Erde hier dick, erst danach kommt das Eis. Damit man sich keine Sorgen machen muss", sagt Iwan. "Das schmilzt nicht."

Doch Wissenschaftler sind nicht so optimistisch - zu groß dürften die Flächen in Jakutien sein, die durch schmelzenden Permafrost absacken und das Leben der Menschen hier dauerhaft verändern.