Ursache und Wirkung Ist das Wetter oder Klimawandel?
Lange war in der Klimaforschung unklar, wie groß der Einfluss des Klimawandels auf einzelne Extremwetterereignisse ist. Das hat sich inzwischen geändert: Wissenschaftler können Klimaveränderungen ihren Ursachen immer genauer zuordnen.
Wenn es regnet, die Sonne brennt oder sich ein Hurrikan zusammenbraut, dann ist das erst mal Wetter. An einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Es hat schon immer extremes Wetter gegeben, das ist unbestreitbar. Doch inzwischen wird auch der Einfluss des Klimawandels darauf immer deutlicher. Denn unser Klimasystem wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst: durch natürliche Faktoren wie Sonnenintensität oder Vulkanausbrüche, aber auch durch zusätzliche Emissionen von Klimagasen.
Lange war es daher schwierig, den Anteil des menschlichen Einflusses auf einzelne Wetterextreme wie Hitzewellen, Dürre, Starkregen und Überflutungen zurückzuführen. Doch das hat sich inzwischen geändert. Wissenschaftler können die verschiedenen Klimaveränderungen und Extremwetterereignisse immer genauer ihren Ursachen zuordnen. Die Forschungsdisziplin dahinter heißt Attributionsforschung.
Die Dynamik des Klimawandels
Sebastian Sippel ist Juniorprofessor für Klima-Attribution am Leipziger Institut für Meteorologie. Er erklärt: "Schwankungen in unserem Wetter können wir uns wie einen Würfel vorstellen. Es gibt sechs verschiedene Zahlen: Eins steht für einen recht kalten Tag, sechs für eine Hitzewelle. Da ist es erst mal relativ zufällig, was wir würfeln."
So sei ein warmer, sonniger Tag bei 20 Grad Celsius Mitte November in Deutschland genauso gewöhnlich wie ein verregneter bei 0 Grad Celsius. "Der Klimawandel legt sich über unseren Würfel und beeinflusst die Wahrscheinlichkeiten. Jetzt kann es öfter passieren, dass wir eine sechs würfeln und etwas seltener eine eins. Unser Würfel ist sozusagen gezinkt", sagt der Experte.
Wahrscheinlichkeit und Intensität
Neben der Wahrscheinlichkeit, dass Wetterextreme durch den Klimawandel häufiger auftreten, verändert sich auch ihre Intensität. So etwa 2021 in Kanada. Eine Hitzewelle brachte Temperaturen von bis zu 49,6 Grad Celsius. Ein nie zuvor dagewesener Hitzerekord in der Region. Wissenschaftler der World Weather Attribution ermittelten inzwischen: Diese Hitzewelle wäre ohne den Klimawandel rund 2 Grad Celsius kühler ausgefallen. "Ein Ereignis wie dieses, welches derzeit nur alle 1.000 Jahre auftritt, würde in dieser zukünftigen Welt mit einer globalen Erwärmung von etwa 2 Grad Celsius etwa alle fünf bis zehn Jahre auftreten", heißt es in der dazugehörigen Attributionsstudie.
Zwillingswelten als Klimamodelle
Um so etwas herauszufinden, arbeiten Forscher mit Klimamodellen. Sie ermöglichen es ihnen, zwei Welten miteinander zu vergleichen: eine Welt mit einem menschengemachten Klimawandel und eine ohne. Im ersten Modell wird die Wahrscheinlichkeit eines realen Extremwetterereignisses unter den Bedingungen seines Auftretens untersucht. Mehrere tausendmal reproduziert die Simulation das Ereignis unter der Berücksichtigung aller entscheidenden Parameter. Das Ergebnis ist eine Wahrscheinlichkeitsverteilung: So wahrscheinlich war ein solches Wetterextrem an diesem Tag unter den gegebenen Bedingungen. "Im zweiten Schritt schauen wir uns dann ein Modell an, in dem wir die CO2-Konzentration und auch andere menschengemachten Klimafaktoren rausrechnen", weiß Sippel.
Die Parameter werden an die Referenzperiode vor der Industrialisierung angepasst, etwa zwischen 1850 und 1900. Auch hier führt das Modell Tausende Versuche durch und berechnet eine statistische Verteilung eines möglichen Extremwetterereignisses ohne den Faktor Klimawandel. Sippel verdeutlicht: "Diese beiden Verteilungen können wir dann miteinander vergleichen und sehen dann: So hat sich die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis durch den Klimawandel verändert."
Die Grenzen der Attributionsforschung
Für präzise Zuordnungen von Klimaveränderungen auf den Klimawandel müssen die Klimamodelle eine Vielzahl an Parametern berücksichtigen, weiß Jakob Zscheischler. Er leitet die Arbeitsgruppe Compound Weather and Climate Events am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. "Bei Hitzewellen können wir mittlerweile sehr konkret sagen, wie groß der Einfluss des Klimawandels ist. Die können in den Klimamodellen gut abgebildet werden. Quasi jede Hitzewelle wird durch den Klimawandel verstärkt", ordnet der Wissenschaftler ein.
Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ergänzt: "Temperaturen und Niederschläge sind ziemlich gut beobachtet. Hier haben wir gute Informationen über die historischen Klimaveränderungen. Für andere Faktoren ist das nicht unbedingt gegeben." Andere Extremwetterereignisse seien daher etwas komplexer zu rekonstruieren und zuzuordnen. Etwa Starkregenereignissen, Überflutungen oder Dürreperioden.
Doch auch hier werde der Einfluss des Klimawandels in den letzten Jahren immer deutlicher, ordnet Zscheischler ein: "Wenn wir von Dürren reden, also von trockenen Böden, wissen wir inzwischen, dass diese immer mehr von den steigenden Temperaturen beeinflusst werden. Normalerweise denkt man zunächst, es würde an Wasser fehlen. Doch durch die höheren Temperaturen verdunstet viel mehr." Das verstärke eine Dürre deutlich. Aus seiner aktuellen Studie gehe somit hervor, dass die Intensität der Dürre 2022 in Europa zu 25 Prozent auf den Klimawandel und die damit einhergehende höhere Temperatur zurückzuführen sei.
Darum braucht es die Forschung
Durch die Attributionsforschung werden komplexe Verbindungen zwischen der menschengemachten Klimaerwärmung und Extremwetterereignissen sichtbar. Ein etwas weniger prominenter Forschungszweig hierbei ist die Zuordnung von Klimaschäden: "Wir beobachten zum Beispiel weltweit eine Zunahme von Schäden durch Überflutungsereignisse. Wir ordnen dann zu: Wie sehr treibt der Klimawandel das voran? Liegt es vielleicht auch daran, dass mehr Menschen in ein Risikogebiet ziehen", erklärt Frieler.
So können Folgen der Klimaveränderungen auf Wirtschaft, Umwelt, Gesundheit oder soziale Strukturen attribuiert werden. Frieler betont, dass ein solches Verständnis entscheidend ist, um den Klimawandel zu adressieren und sich anzupassen: "Der Klimawandel wird sich weiter verstärken. Um darauf Einfluss zu nehmen und Verbesserungen voranzutreiben, müssen wir immer erst verstehen, was die Ursachen sind. Genau das ist die Aufgabe der Attributionsforschung", resümiert sie.