Die Eisenmine des staatlichen schwedischen Bergbauunternehmens LKAB in Kiruna (Schweden).
interview

Fund Seltener Erden in Schweden "Es ist eine sehr gute Nachricht"

Stand: 12.01.2023 19:35 Uhr

Der Fund von Seltenen Erden in Nordschweden sei eine sehr gute Nachricht, sagt Experte Gutzmer. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, was sie eigentlich sind - und warum sie theoretisch schon heute in Europa gewonnen werden könnten.

tagesschau.de: Herr Gutzmer, bitte helfen Sie uns, den Fund einzuordnen: Bis zu einer Million Tonnen Seltener Erden sollen in Per Geijer im Erdreich stecken. Wie viel ist das im Vergleich zu anderen Lagerstätten?

Jens Gutzmer: Das ist ganz erheblich. Die zweitgrößte Lagerstätte, die wir in Europa haben, liegt auch in Schweden, Norra Kärr. Sie enthält ungefähr 200.000 Tonnen seltener Erden in Summe, also ein Fünftel dessen, was der Bergbaukonzern LKAB jetzt über die neue Lagerstätte Per Geijer berichtet hat. Allerdings mit höheren Konzentrationen im Erz.

Bei Per Geijer redet man über Konzentrationen von etwas unter 0,2 Gewichtsprozent aller Seltenen Erden pro Tonne Erz. Typische Lagerstätten, in denen heute schon produziert wird, haben weit über ein Gewichtsprozent - also mindestens das Fünffache an Seltenen Erden pro Tonne Erz.

Jens Gutzmer
Zur Person

Jens Gutzmer leitet das Helmholtz-Institut für Ressourcentechnologie in Freiberg.

tagesschau.de: Und wie ist diese Menge von einer Million Tonnen im internationalen Vergleich einzuordnen?

Gutzmer: Es gibt zum Beispiel die Lagerstätte in Mountain Pass in den USA, die im Moment fast 20 Prozent der Weltproduktion trägt. Die enthält in Summe 1,4 Millionen Tonnen Seltene Erdoxide, allerdings sind die Seltenen Erdkonzentrationen dort im Schnitt bei etwa 3,8 Gewichtsprozent. Eine zweite wichtige Lagerstätte in der westlichen Welt, Mount Weld in Australien, enthält insgesamt circa drei Millionen Tonnen Seltene Erden, hier sogar bei durchschnittlich acht Gewichtsprozent Seltene Erdkonzentration.

tagesschau.de: Und in China?

Gutzmer: Aus China kommen noch etwa 60 Prozent aller Seltenen Erden. Dort muss man ein bisschen differenzieren - zum einen gibt es eine Lagerstätte, die wirklich außergewöhnlich groß ist: Bayan Obo lieferte zeitweise mehr als 40 Prozent der weltweiten Seltene Erdproduktion. Dabei ist sie eigentlich eine Eisenerzmine, die Eisenerze enthalten dabei drei bis fünf Gewichtsprozent Seltene Erden, die mitgewonnen werden können.

Die restlichen Lagerstätten, die in China in Abbau stehen, sind ähnlich groß von der Tonnage der Seltenen Erden, wie wir das jetzt hier von LKAB hören.

"Seltene Erden können kaum bis gar nicht ersetzt werden"

tagesschau.de: Können Sie einem Nicht-Geologen oder Nicht-Ingenieur erklären, um was für Metalle es bei Seltenen Erden geht?

Gutzmer: Die Seltenen Erden sind eine Gruppe von 17 Elementen im chemischen Periodensystem, die alle sehr ähnliche chemische Eigenschaften haben. Deswegen treten sie immer zusammen auf, es gibt also keine Seltene Erde, die isoliert in der Erdkruste auftritt. Sie treten schon in unterschiedlichen Konzentrationen zueinander auf, aber man kann sie immer als geschlossene Gruppe betrachten.

Die Seltenen Erden sind als eine der maßgeblichen Gruppen der Hochtechnologiemetalle im Fokus der Öffentlichkeit, weil sie für die Herstellung zum Beispiel von Leuchtstoffen für unsere LED-Lampen oder von hochwertigen Permanentmagneten dienen. Sie sind für diese Produkte essentiell und können kaum bis gar nicht ersetzt werden.

tagesschau.de: Wie viel wird pro Jahr ungefähr weltweit benötigt?

Gutzmer: Die Jahresproduktion beträgt weltweit aktuell etwa 250.000 Tonnen aller Seltenen Erden. Die weltweite Produktion steigt aber jedes Jahr weiter an, zwischen 2021 und 2022 um mehr als zehn Prozent.

"Seltene Erden werden als Beiprodukt gewonnen"

tagesschau.de: Zurück nach Schweden - wie wird der Abbau ablaufen?

Gutzmer: Die neue Lagerstätte, Per Geijer, liegt quasi in direkter Nachbarschaft von Europas größtem Eisenerzbergwerk, Kiruna, in dem schon seit mehr als 100 Jahren von LKAB abgebaut wird.

Per Geijer enthält über 500 Millionen Tonnen ausgewiesener Ressourcen an Eisenerz. Dieses Erz enthält etwa 50 Gewichtsprozent Eisen, fünf Gewichtsprozent Phosphat und - eng mit dem Phosphat verbunden - ungefähr 0,2 Gewichtsprozent Seltene Erden.

Man darf sich hier also nicht täuschen: Der Erzkörper wird für seinen Eisengehalt abgebaut - die Seltenen Erden und das Phosphat werden dann sehr kostengünstig, fast kostenfrei könnte man sagen, als Beiprodukt gewonnen und bei der Verarbeitung des Eisenerzes ausgeschleust und raffiniert.

tagesschau.de: LKAB hat angekündigt, dass es noch Jahre dauern wird, bis es mit der Förderung losgeht. Warum?

Gutzmer: Weil LKAB zwar eine Erlaubnis hatte, die Per-Geijer-Lagerstätte zu erkunden, aber das bedeutet noch nicht, dass man ein Bergwerk errichten darf. Um ein Bergwerk errichten zu können, müssen zunächst sehr intensive Untersuchungen, zum Beispiel über die Wirtschaftlichkeit und die Umweltauswirkungen stattfinden. Es muss genau geplant werden, wo Abraumhalden hin können, wo Rückstände aus der Aufbereitung gelagert werden können, welche Ausgleichsmaßnahmen die Firma leisten muss und so weiter. Das dauert viele Jahre.

Die Firma selber redet von zehn bis 15 Jahren, bevor der Abbau starten kann. Ich halte das für absolut realistisch.

"Mit der richtigen Technologie könnte man schon jetzt Seltene Erden gewinnen"

tagesschau.de: Was bedeutet dieser Fund für Europa und für die hiesige Industrie und Wirtschaft?

Gutzmer: Das ist eine sehr interessante Frage. Weil bis zur Förderung aus Per Geijer mindestens ein Jahrzehnt vergehen wird, sollte man sich zunächst um eine zeitnahe europäische Versorgung mit Seltenen Erden kümmern.

Eine naheliegende Alternative sind die Eisenerze aus dem Bergwerk Kiruna direkt nebenan. Es produziert pro Jahr viele Millionen Tonnen Eisenerze, die sehr ähnlich denen aus der Lagerstätte Per Geijer sind. Die Erze enthalten ebenfalls Seltene Erd-führende Phosphate. Diese Seltenen Erden werden heute aber nicht abgetrennt, sondern bleiben in den Bergbaurückständen.

Mit der richtigen Technologie könnten schon jetzt aus den anfallenden Rückständen Seltene Erden und Phosphat gewonnen werden. Wäre dies möglich, würde es schon im nächsten Jahr einen Unterschied machen für die Seltene-Erden-Versorgung in Europa. Dass die geeignete Technologie entwickelt werden muss, ist daher vielleicht die Information, die in der Pressemitteilung von LKAB einfach fehlt.

tagesschau.de: Für die europäische Industrie wäre es also eine gute Nachricht, weil sie bisher sehr abhängig ist von China?

Gutzmer: Es ist eine sehr gute Nachricht, auf jeden Fall. Wahrscheinlich wird LKAB zweigleisig fahren: Die neue Eisenerz-Lagerstätte entwickeln, mit Phosphat und Seltenen Erden als Beiprodukt. Und die schon bestehende und sehr ähnliche Lagerstätte Kiruna auch zu nutzen, um dort Seltene Erden aus den Bergbaurückständen abzutrennen.

tagesschau.de: Sind weitere solche Funde denkbar in nächster Zeit?

Gutzmer: Seltene Erden sind nicht selten und es gibt eigentlich genug Potenziale in Europa. Norra Kärr in Südschweden zum Beispiel ist eine fantastische Lagerstätte, die überdies sehr reich ist an den schweren Seltenen Erden, die besonders versorgungskritisch sind. Und es gibt noch andere Lagerstätten in Europa. Aber bisher hat sich kein Investor für diese Lagerstätten gefunden. LKAB dagegen ist ein großer Bergbaukonzern, der es selbst in der Hand hat, die Seltenen Erden aus den eigenen Eisenerzen abzutrennen. Dies würde natürlich einen wahnsinnigen Sprung bedeuten für die Versorgungssicherheit Europas.

Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de