Menschen in China halten ihren Rücken in die Sonne.

Social-Media-Trend Warum Chinesen ihren Rücken in die Sonne halten

Stand: 19.08.2024 13:16 Uhr

Eigentlich scheuen Chinesinnen und Chinesen die Sonne. Doch nun erlebt altes Wissen der Traditionellen Chinesischen Medizin einen Boom. Der chinesische Sommertrend des Jahres heißt: Rücken sonnen.

Von Carolin Voigt, zzt. ARD Shanghai

Eine junge Frau erklärt auf der chinesischen Socialmedia-Plattform Xiaohongshu den Sommertrend Shai Bei. Das Rückensonnen sei eine einfache Möglichkeit, sich gesund zu halten, sagt sie. Man suche sich einfach einen sonnigen Platz und lege sich bäuchlings auf eine Yogamatte. Zehn Minuten Sonnen reichen anfangs aus, um sich bald besser zu fühlen.

Mehr als 175 Millionen Posts zu dem Thema finden sich inzwischen auf der Plattform. Unzählige Userinnen und User, die sich zeigen - wie sie entweder flach am Boden liegen oder im Sitzen den Rücken zur Sonne wenden. Das T-Shirt ist hochgekrempelt.

Morgens oder nachmittags besonnen sie für zehn bis dreißig Minuten ihren Rücken - und zwar nur den. Der Traditionellen Chinesischen Medizin zufolge soll sich das positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirken und überschüssige Feuchtigkeit aus dem Körper ziehen.

Immer mehr traditionelle Medizin im WHO-Katalog

"Das Sonnenbaden kann das Yang und den Körper stärken sowie die Durchblutung fördern", erklärt Li Donghang, Doktor der Medizin an der Uniklinik in Guangzhou und Experte für Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM. "Das ist für Menschen gut, die viel frieren. Durch die wärmende Wirkung kann es außerdem die Zirkulation von Qi und Blut fördern, Müdigkeit lindern sowie Körper und Geist beruhigen."

Qi bedeuet so viel wie Lebensenergie. Sie fließt der TCM zufolge in Energiebahnen, den Meridianen, durch den Körper. Yang wird mit Wärme assoziiert, Yin mit Kälte. In der TCM ist ein Mensch gesund, wenn Yin und Yang im Einklang sind und das Qi ungehindert fließen kann.

Seit einigen Jahren nimmt die Weltgesundheitsorganisation WHO immer mehr traditionelle Medizin aus der ganzen Welt in ihren Katalog auf - darunter Yoga, Ayurveda und eben auch Praktiken der chinesischen Medizin.

Kritiker: Wirksamkeit nicht nachgewiesen

Kritiker monieren, dass diese Entwicklung vor allem auf politischen Entscheidungen beruht. Die Evidenz für die Wirksamkeit der Methoden fehle. So kommt etwa eine Studie der Uni Wien vom vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass es zu wenig Abgrenzung zwischen Evidenz und Esoterik gebe.

Laut Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten ist die Wirksamkeit der TCM bislang nur in wenigen Bereichen wissenschaftlich nachgewiesen - darunter die Akupunktur.

Susanne Roth-Goldbrunner arbeitet an der Uniklinik Köln. Über die Jahre hat sich die Anästhesistin auf Naturheilverfahren und Traditionelle Chinesische Medizin spezialisiert. Sie erforscht, wo diese als Ergänzung zur Schulmedizin sinnvoll ist.

"Die Studienlage ist nicht schlecht. Es ist auch zum Teil schon evidenzbasiert. Und man kann eben manche Dinge auch schon mit der Schulmedizin erklären", erklärt Roth-Goldbrunner.

Viele beobachten positive Entwicklungen

Die 60-jährige Chen Ping aus Shanghai schwört auf das Rückensonnen und kommt dafür regelmäßig in den nächstgelegenen Park. "Ich habe letztes Jahr mit dem Sonnenbaden begonnen. Alle meine Gelenke schmerzten. Wir alten Leute haben Probleme wie Periarthritis der Schulter und so weiter. Es scheint, dass ich mich nach dem Sonnenbaden besser fühle."

Die moderne Schulmedizin habe bewiesen, dass Sonnenlicht die Synthese von Vitamin D in der Haut fördern könne, erklärt der Mediziner Li Donghai. Zusammen mit Kalzium sei Vitamin D wichtig für gesunde Knochen.

Auch die 23-jährige He Lan berichtet von positiven Effekten wie tieferem Schlaf. Sie habe schon vergangenes Jahr mit dem Rückensonnen angefangen und bringt inzwischen ihre Kolleginnen mit in den Park. "Ich habe es dieses Jahr allen erzählt, und alle fanden es gut, also kommen sie jetzt mit. Und dieses Jahr habe ich das Gefühl, dass mein ganzer Körper leichter ist. Es gab eine Zeit, in der ich sehr schwerfällig war und mich für nichts interessieren konnte." Nach dem Sonnenbaden fühle sich ihr ganzer Körper sehr gut an.

Sonnenlicht hellt die Stimmung auf

Stimmungsaufhellende Effekte des Sonnenlichts sind ebenfalls lange belegt. Doch wieso muss es nun ausgerechnet der Rücken sein und nur der Rücken? Der Arzt aus Guangzhou führt die Energiebahnen an, die über den Rücken führen und Einfluss aufs Yang haben sollen.

"Der Dumai-Meridian steuert das Yang des Körpers und der Blasen-Meridian ist mit dem Qi der Sonne verbunden. Das Sonnen des Rückens kann das Wachstum und die Zirkulation von Yang fördern, das Yang des Körpers auffüllen. Es spielt eine Rolle bei der Vertreibung von Kälte und Feuchtigkeit und kann Blockaden der Meridiane aufheben." Entlang der Meridiane finden sich beispielsweise auch Akupunkturpunkte.

Vieles in der TCM ist noch nicht wissenschaftlich untersucht. So auch das Rücken-Sonnen. Egal, wie man dazu steht. Wer es ausprobieren möchte, sollte diese ärztlichen Hinweise beherzigen: Sonnen nicht bei extremer Hitze, nicht zu lang und unbedingt Sonnencreme auftragen!