Atemwegserkrankung Machen neue Impfstoffe RSV beherrschbar?
In den vergangenen zwei Wintern erkrankten auffällig viele Kinder schwer an der Atemwegserkrankung RSV. Die Europäische Kommission hat inzwischen zwei neue Impfstoffe gegen das RS-Virus zugelassen.
Eine Infektion mit dem RS-Virus ist vor allem für Säuglinge, sehr junge Kinder und Kinder mit Vorerkrankungen riskant. Wenn deren Atemwege durch die Infektion zuschwellen, brauchen sie dringend Hilfe beim Atmen, zumeist durch Sauerstoffgaben. Jährlich werden deshalb weltweit Millionen Kinder wegen RSV stationär behandelt, mehr als 100.000 sterben daran.
Wer ist besonders betroffen?
Seit Jahren gibt es für die Risiko-Kinder einen medikamentösen Schutz vor dem RS-Virus. Jeden Herbst und Winter erhalten sie eine prophylaktische Antikörper-Therapie unter dem Handelsnamen Synagis.
Dabei bekommt das Kind alle vier Wochen eine Spritze mit monoklonalen Antikörpern. Das heißt, dass dem Organismus synthetisch hergestellte Eiweiße verabreicht werden, die das Virus abwehren, so wie es ansonsten die körpereigenen Antikörper tun würden. Dieses Verfahren, auch als passive Impfung bekannt, ist ausgesprochen erfolgreich.
Aber dieses Virus ist nicht nur für Hochrisikokinder gefährlich, sondern auch für gesunde Säuglinge und Kinder unter zwei Jahren, erklärt Friedrich Reichert, der die Kindernotaufnahme und Infektiologie im Olgahospital in Stuttgart leitet. "Wir haben jedes Jahr im Olgahospital in Stuttgart 400-600 Säuglinge stationär, weil sie Sauerstoff brauchen. Und wenn man das um einen relevanten Anteil senken könnte, würde das natürlich sehr helfen, gerade auch weil es wegen Pflegemangel nicht genügend Betten gibt. Die Kinderkliniken sind jeden Winter wegen RSV völlig am Limit."
Neue Impfstoffe für Kinder und Schwangere
Deshalb waren Mediziner, Kinderärztinnen und Pflegende optimistisch, in Zukunft weniger schwerkranke Kleinkinder behandeln zu müssen, als die Europäische Kommission auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zwei neu entwickelte Impfstoffe zugelassen hat. Zur Verfügung stehen jetzt ein Impfstoff von Pfizer für Schwangere mit dem Handelsnamen Abrysvo, mit dem die Mütter ihren Antikörperschutz durch die Plazenta an das werdende Kind weitergeben. Und ein zweiter monoklonaler Antikörper von Astrazeneca/Sanofi unter dem Handelsnamen Beyfortus, der aber im Gegensatz zu der seit Jahren gebräuchlichen Prophylaxe nicht nur für Risikokinder, sondern für alle geeignet ist.
Noch keine Empfehlung für Kinderimpfstoff
Die STIKO, die ständige Impfkommission, empfiehlt bisher aber noch keine der beiden Möglichkeiten. Ulf Schulze-Sturm, Kinderarzt am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg bedauert das, vor allem für die Kinderimpfung. Denn die Studienergebnisse seien extrem vielversprechend. "Da sind mehr als 8.000 Kinder in Deutschland, Großbritannien und Frankreich geimpft worden, und man hat tatsächlich eine deutliche Risikoreduktion gesehen, also 80 Prozent weniger Fälle."
Monoklonale Antikörper werden seit Jahren in der Medizin eingesetzt und haben ein gutes Sicherheitsprofil. Sie gelten als sicher, weil es nur sehr selten zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt. Ein weiterer Vorteil dieser neuen Prophylaxe: Es reicht eine einmalige Dosis mit den Antikörpern, um für die folgenden Monate geschützt zu sein.
Doch wegen der fehlenden STIKO-Empfehlung werden in der kommenden RSV-Saison, die voraussichtlich im Oktober beginnt, vermutlich nur die Familien von dem neuen Medikament profitieren, die die Impfung selbst bezahlen können. Denn solange die STIKO-Empfehlung fehlt, zahlen die Krankenkassen nicht. Und das heißt, das Krankheitsrisiko und die Infektionshäufigkeit werden sich trotz der Zulassung in diesem Winter vermutlich nicht verändern.
Impfstoff für Schwangere
Auch der Impfstoff für Schwangere, der im letzten Drittel der Schwangerschaft gespritzt werden muss, hat in den Zulassungsstudien eine hohe Wirksamkeit gezeigt. In den ersten sechs Monaten waren die neugeborenen Säuglinge zu rund 80 Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf mit dem RS-Virus geschützt. Danach nahm der Schutz langsam ab. Aber gerade die ersten Lebensmonate gelten als besonders risikant, weil das Immunsystem der Säuglinge dann noch keinen Kontakt mit dem Virus hatte und nicht optimal dagegen ankämpfen kann. Insofern - das ist die Idee der mütterlichen Impfung - soll sie den Säugling im risikoreichsten Zeitraum schützen.
Keine STIKO-Empfehlung für Schwangerenimpfstoff
Aber auch die Impfung für Schwangere hat bisher noch keine STIKO-Empfehlung bekommen, denn es bestehe die Sorge, dass die Impfung womöglich Frühgeburten auslösen könnte, sagt der Hamburger Kinderarzt Schulze-Sturm. "Man hat gesehen, dass möglicherweise die Frauen, die ein Placebo bekommen haben, etwas weniger oft eine Frühgeburt hatten als die, die die Impfung bekommen haben."
Bisher ist das festgestellte, leicht erhöhte Frühgeburtsrisiko durch die mütterliche Impfung lediglich ein Verdacht, der bisher so wenig signifikant ist, dass die Europäische Arzneimittelagentur EMA und die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA, den Impfstoff trotzdem zugelassen haben. Dennoch laufen zur Zeit Nachfolgestudien, um zu überprüfen, ob sich ein eindeutiger Zusammenhang mit der Impfung zeigen lässt.
Was bleibt? Prävention für Risikokinder
Im kommenden Winter erwarten Expertinnen und Kinderärzte deshalb von den zugelassenen, neuen Impfstoffen noch keine Entlastung. Weder für die betroffenen Kinder und deren Familien noch für die Kinderkliniken. Sie raten aber allen Familien mit Risikokindern, die bereits verfügbare Prophylaxe auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, um wenigstens diese Kinder vor einem schweren oder sogar tödlichen Verlauf zu schützen.