Leugnung von Erkenntnissen Warum Menschen der Wissenschaft nicht trauen
Ob Medizin, Physik oder Klimaforschung - nie war der Wissensstand der Welt so gut wie heute. Dennoch leugnen einige Menschen wissenschaftliche Erkenntnisse. Welche Motive stecken dahinter - und wie lässt sich das ändern?
Die Erde ist eine Kugel. Menschen und Affen haben einen gemeinsamen Vorfahren und teilen mehr als 90 Prozent ihrer DNA. Die Erde erwärmt sich, und menschliche Aktivität ist die Hauptursache dafür.
Alle diese Aussagen haben eines gemeinsam: Sie gelten als wissenschaftlicher Konsens, als gesicherte Erkenntnis - und dennoch erkennt ein nennenswerter Teil der Menschen das nicht an. So glaubt laut einer Umfrage vom März knapp ein Viertel aller Deutschen nicht an den menschengemachten Klimawandel. Kreationisten vor allem in den USA sind überzeugt, dass Gott den Menschen, so wie er ist, geschaffen hat. Und selbst dass die Erde eine Scheibe ist, wird von einigen Menschen als wahr angenommen. Warum glauben viele Menschen nicht der wissenschaftlichen Evidenz?
Vertrauen durch die Pandemie gestiegen
"Zunächst muss gesagt werden, dass das Vertrauen in Wissenschaft in Deutschland grundsätzlich hoch ist", sagt Rainer Bromme von der Uni Münster. Erhebungen des Wissenschaftsbarometers zeigen, dass knapp zwei Drittel aller Deutschen Vertrauen in die Wissenschaft haben.
"Das ist deutlich mehr als vor der Coronakrise. Durch die Pandemie ist also das Vertrauen gestiegen und hält sich aktuell auf hohem Niveau", so der Psychologe, der sich schon seit Jahren damit beschäftigt, warum Menschen wissenschaftlichen Fakten Vertrauen schenken - und warum nicht. "Nur eine kleine Minderheit von rund acht Prozent vertraut der Wissenschaft grundsätzlich nicht."
Identitätsfragen im Fokus
Aber wie kann es dann sein, dass fast jeder vierte Deutsche den menschengemachten Klimawandel leugnet? "Das hat weniger sachliche, sondern vor allem psychologische Gründe - auch wenn es darüber hinaus eine politisch motivierte Nutzung dieser psychologischen Gründe geben kann", so Bromme. Ein großer Faktor, warum Menschen sich gegen gesicherte Fakten stellen, seien Identitätsfragen. "Jeder will zu einer Gruppe dazugehören. Wenn dann das gesamte Umfeld eine bestimmte Meinung vertritt - etwa ob die Corona-Impfung sinnvoll ist -, dann ist es schwer, sich dagegenzustellen, selbst wenn man nicht fest an die Meinung der Gruppe glaubt." Fakten, die diese Meinung in Frage stellen, würden dann oft ausgeblendet.
Dazu kämen persönliche Identitätskonstrukte. Wenn beispielsweise jemand sein Selbstbild darauf aufbaue, stets "dagegen" zu sein, dann sei es auch wahrscheinlicher, dass der- oder diejenige wissenschaftliche Erkenntnisse ablehnt. Auch eine generelle Ablehnung von vermeintlichen und tatsächlichen Eliten kann damit zusammenhängen.
Mehrere psychologische Motive
Studien, die das Phänomen untersuchen, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Der Psychologe Matthew Hornsey identifizierte neben der Identitätsfrage noch vier weitere Motive für Wissenschaftsleugnung: der Glaube an bestimmte Ideologien, partikulare - also zum Beispiel wirtschaftliche - Interessen, die Neigung zu Verschwörungserzählungen und Ängste.
"Es kann zum Beispiel sein, dass jemand, der Angst vor Spritzen hat, die Wirkung der Corona-Impfung in Abrede stellt - nur damit er sich nicht pieksen lassen muss. So muss er zudem seine Ängste nicht offen zugeben", erklärt Philipp Schmid von der Uni Erfurt.
Starker Lobbyeinfluss
Für interessengeleitete Wissenschaftsleugnung gebe es zahlreiche prominente Beispiele, erklärt Schmid. "Ein großer Klassiker in diesem Bereich ist die Tabaklobby, die massenweise 'Studien' herausgab, um Zweifel an dem Fakt zu säen, dass Rauchen Krebs verursacht. Bis sie es irgendwann nicht mehr leugnen konnten." Gleiches gilt für Erdölkonzerne wie ExxonMobil, die öffentlich jahrzehntelang den menschengemachten Klimawandel leugneten - obwohl sie es besser wussten, wie interne Dokumente und eine Studie des Klimaforschers Stefan Rahmstorf zeigen.
Wissenschaftsleugnung hat für den Psychologen daher auch weniger mit dem Bildungsstand, sondern mehr mit persönlicher und politischer Einstellung zu tun. So etablierten sich Rechtspopulisten wie die AfD oft als Anti-Establishment-Partei und diskreditierten in diesem Zug auch gezielt Wissenschaft als Institution. Die Folgen: AfD-Wähler glauben besonders oft an Verschwörungserzählungen, denken am häufigsten, dass Wissenschaftler die Risiken des Klimawandels übertreiben - und zu Beginn der Pandemie gab es eine deutliche Korrelation zwischen AfD-Wahlergebnissen und der Zahl der Corona-Infektionen.
Wenige Disziplinen im Fokus
Doch nicht allen wissenschaftlichen Disziplinen wird gleichermaßen misstraut, sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty. "Es geht vor allem um Bereiche, die stark im Fokus gesellschaftlicher Debatten stehen und die direkte Auswirkung auf unseren Alltag haben. Deshalb werden Klimaforschung oder Gender Studies mehr angezweifelt als Ingenieurswissenschaften oder Archäologie."
Wissenschaftsleugnung kann also auch ganz praktische Gründe haben: Zum Beispiel nicht unsere Ernährungsgewohnheiten ändern zu müssen, obwohl viele Studien zeigen, wie stark unsere fleischlastige Ernährung das Klima und die Umwelt belastet. In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Thema heißt es daher auch: "Psychologisch betrachtet ist Leugnung ein Schutzmechanismus, der uns vor einer unliebsamen oder beängstigenden Realität schützt - indem das zugrunde liegende Problem einfach weggeschoben wird."
Gezielte Desinformation
Dazu kommt laut Lamberty: In jenen Disziplinen wird gezielt Desinformation gestreut, oft von Rechtsextremen oder -populisten, die damit eine eigene Agenda verfolgten. Durch soziale Medien erreichten sie damit immer mehr Menschen. "Das Problem dabei: Es entsteht ein generalisiertes Misstrauen gegenüber Fakten. So ist es auch zu erklären, dass fast ein Drittel aller Deutschen sagt, sie würden ihren Gefühlen mehr Vertrauen als wissenschaftlicher Expertise."
Das sieht auch der Erfurter Forscher Schmid so: "Es gibt nur eine überschaubare Zahl an harten Wissenschaftsleugnern. Das Problem ist, dass sie mit ihren - oft sehr verkürzten - Botschaften viel generellen Zweifel säen. Und daraus kann schnell ein Flächenbrand werden." Und die Algorithmen und Echokammern der sozialen Medien begünstigen das: "Es ist nachgewiesen, dass wir eine falsche Information eher glauben, je öfter wir sie lesen", so Schmid.
Tödliche Folgen
Dabei kann Wissenschaftsleugnung schwere Folgen haben - und mitunter sogar tödlich sein. So erklärte beispielsweise der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki aller wissenschaftlichen Evidenz zum Trotz, dass AIDS nicht durch das HI-Virus übertragen werde. In der Folge vernachlässigte seine Regierung Gesundheitsmaßnahmen gegen die Erkrankung. Das kostete laut Wissenschaftlern der Harvard-Universität mindestens 330.000 Menschen das Leben.[6] Bis heute zählt Südafrika zu den Ländern mit der höchsten HIV-Prävalenz weltweit.
Auch die lange Vernachlässigung von Klimaschutzmaßnahmen - obwohl Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels warnen - kann enorme Folgen für unsere Gesundheit und Wohlstand haben. Eine Studie im Auftrag der Bundesregierung rechnet für Deutschland mit Kosten durch den Klimawandel von bis zu 900 Milliarden Euro bis 2050.
Fakten allein helfen nicht
Was also hilft gegen Wissenschaftsleugnung? Tragen die Forscher am Ende auch selbst einen Teil der Verantwortung, weil sie ihre Ergebnisse nicht gut genug erklären? Für Schmid ist klar: Mit Fakten allein kommt man nicht weiter, denn das erzeugt bei den Betroffenen meist eine Abwehrhaltung. Im privaten Umfeld müsse man erst die Sorgen und Ängste, die hinter der Ablehnung stecken, aufgreifen und erst in einem zweiten Schritt ein Informationsangebot mit gesicherten Informationen machen.
Das sieht auch Pia Lamberty so. "Die emotionale Ansprache ist total wichtig: Was ist die psychologische Motivation hinter der Leugnung? Warum stören einen Menschen zum Beispiel Klimaschutzmaßnahmen?" Auf einer gesellschaftlichen Ebene gelte es, mehr Multiplikatoren zu gewinnen. Denn viele Menschen seien kaum durch Experten in den Medien, sehr wohl aber durch Institutionen in ihrem Umfeld zu erreichen. "Das kann der Trainer im Sportverein sein oder die Hausärztin, der die Menschen vertrauen. Wenn man die gewinnt, um wichtige Informationen zu übermitteln - wie etwa zu Impfungen - wäre schon viel gewonnen."