Stanford Prison Zweifel an dem Gewaltexperiment der 1970er-Jahre
Was macht Menschen zu Gewalttätern? Das wollte der US-Psychologe Zimbardo 1971 mit einer simulierten Gefängnissituation herausfinden. Welche Relevanz haben seine Ergebnisse heute?
Das Stanford-Prison-Experiment ist eines der berühmtesten der Psychologie. Die Wissenschaftler wollten 1971 zeigen, welche Auswirkungen eine Gefängnissituation auf Menschen hat, und damit auf die katastrophalen Zustände in den Gefängnissen in den USA aufmerksam machen.
Philip Zimbardo ließ männliche Studenten im Keller der Stanford Universität als Wärter und Gefangene agieren. Das Experiment lief aus dem Ruder. Die Wärter misshandelten die Gefangenen.
Abbruch nach sechs Tagen
Der Wissenschaftler musste das Experiment nach nur sechs Tagen abbrechen. Ursprünglich war es für zwei Wochen geplant. Einige Gefangene hatten bereits vorher aufgegeben. Sie konnten den Druck nicht mehr aushalten.
Gefangenenkleidung, bestehend nur aus weißen Kitteln, das Verbot, Unterwäsche zu tragen, ein Wandschrank für Einzelhaft, die Verwandlung von Gefangenen in bloße Nummern, das Tragen von Gefangenenketten: aus heutiger Sicht ein ethisch äußerst fragwürdiges Vorgehen. Für Zimbardo zeigt das Experiment, dass die Situation Menschen innerhalb kürzester Zeit zu Gewalttätern machen kann.
Nur einen Tag nach dem Abbruch des Experiments kam es am 21. August 1971 zu einem Fluchtversuch im San-Quentin-Gefängnis nördlich von San Francisco, bei dem sechs Menschen sterben. Das Echo in der Presse und Fachwelt war damals gewaltig.
In der Folge wurde das Stanford-Prison-Experiment zum nationalen Thema in den USA, Philip Zimbardo zum gefragten Experten. Noch 2015 unterstützte er die Verfilmung des Stanford-Prison-Experiments für Hollywood.
Heute steht die Schlussfolgerung des Psychologen stark in der Kritik. Welche Rolle spielte Zimbardo in diesem Klassiker der Sozialpsychologie? Hat er die sogenannten Wärter und Gefangenen zur Gewalt aufgefordert? Wie wissenschaftlich war sein Vorgehen?
David Eshleman war Teilnehmer des Experiments und verkörperte einen Wärter.
Ein Teilnehmer berichtet
Die Journalistin Ciani-Sophia Hoeder ist in die USA gereist und hat Zeitzeugen des Experiments getroffen. Dave Eshleman, heute 70, spielte als 18-Jähriger einen der Wärter. Er trat besonders gewalttätig auf. Von den Gefangenen ebenso wie von der Presse wurde er "John Wayne" genannt. Noch heute bekommt er Hass-Mails.
Im Interview mit Hoeder beschreibt er Zimbardos Reaktion auf sein aggressives Verhalten: "Ja, ich habe es mit meiner Rolle wohl etwas übertrieben. Professor Zimbardo sagte zu mir: Du machst das fantastisch. Großartige Arbeit."
Kritik an Zimbardos Vorgehen
Entspricht es den Tatsachen, dass sich hier menschliche Wesenszüge verselbstständigten? Vielmehr scheint Zimbardo das ganze Experiment maßgeblich beeinflusst zu haben, lautet die aktuelle Einschätzung Forschender.
Zimbardo und sein Team gaben den Wärtern präzise Anweisungen, wie sich mit Filmdokumenten belegen lässt. Für den französischen Historiker Thibault Le Texier einer der Gründe, die ihn kritisch auf das Experiment blicken lassen:
In den Archiven kann man sehen, dass nach dem Experiment viele der Wärter sagten, sie seien total überrascht gewesen, dass sie beobachtet wurden. Sie dachten, sie seien nur Schauspieler. Das kann man machen. Aber dann muss man das offenlegen. Man darf Daten oder ein Experiment nicht manipulieren, um etwas zu belegen. So funktioniert Wissenschaft nicht. Es ist eher eine Demonstration, eine Simulation. Es ist kein Experiment.
Lernen aus der Wissenschaftsgeschichte
Heute ist Zimbardo 90 Jahre alt und möchte sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu seinem Experiment äußern. In einem TV-Interview fasste er 1988 rückblickend zusammen: "Ich und alle um mich herum waren so tief drin in ihren Rollen, dass es schwer war, Realität und Simulation zu trennen."
Craig Haney, heute Professor für Sozialpsychologie an der University of California in Santa Cruz, war 1971 Zimbardos Assistent. Gefängnisse und der Umgang mit Gefangenen sind nach wie vor Gegenstand seiner Forschung. "Die wichtigste Erkenntnis, die ich aus der Gefängnisstudie mitnehmen konnte, und die sich immer wieder in realen Gefängnissen zeigt, ist: Macht hat eine perverse Seite. Und Entmenschlichung und Entzug der Persönlichkeit führen zu Grausamkeit."
Craig Haney war Zimbardos Assistent zur Zeit des Stanford-Prison-Experiments.
Bis heute engagiert er sich für Verbesserungen im US-Strafvollzug. Als positives Beispiel sieht er das System in Norwegen, wo man einen anderen, humaneren Weg im Umgang mit Gefangenen geht.
Einen wissenschaftlichen Beweis dafür, ob es nur eine bestimmte Situation braucht, um jeden Menschen zum Täter zu machen, liefert das Stanford-Prison-Experiment aus heutiger Sicht nicht. :"Trotzdem lernen wir daraus", sagt die Journalistin Hoeder. "Über die, die den Takt vorgeben, über toxische Leader. Wir sind anfällig für ihre Geschichten. Wir müssen kritisch bleiben. Damit wir im Glauben an das Richtige nicht das Falsche tun."
Das Stanford-Prison-Experiment ist Thema in der ARD-Wissen-Dokumentation "Legendäre Experimente - Stanford Prison".