Umstrittenes Geschäft Auf Verwandtschaftssuche per DNA-Test
Mittels Gentest die eigene Abstammung zu erforschen und vielleicht entfernte Verwandte zu finden, ist gefragt. Anbieter locken Interessierte aber auf eine zwielichtige Fährte.
Nur mal kurz verstohlen ins Röhrchen spucken und ab die Post. Den modernen Blick auf den Stammbaum gibt es mittlerweile zum Preis eines Abendessens beim Lieblingsitaliener oder was man sich eben sonst so für 39 Euro gönnt. Serviert wird ein buntes Abstammungsmenü, das illustrieren soll, wie viel Prozent vermeintlich norwegisches oder polnisches oder halt eben italienisches Blut in einem steckt.
Testergebnisse können richtig sein, müssen es aber nicht
Nun ist das mit der Abstammung leider völliger Unsinn, sagt Martin Moder, Molekularbiologe aus Wien und Mitglied der Wissenschaftskabarett-Gruppe Sciences Busters. "Man kann ja jetzt nicht in der DNA direkt nachschauen, wo die in der Vergangenheit spazierengegangen ist, sondern man kann immer nur schauen, in welchen Regionen der Welt bestimmte Genvarianten wie häufig vorkommen." Und zwar auf Basis der Gendaten und geografischen Informationen anderer Menschen - ob entfernt verwandt oder nicht.
Elf Prozent Italienerin kann bedeuten, dass irgendwann in der Verwandtschaftsgeschichte mal jemand eine Rolle spielte, der auf der Apenninen-Halbinsel gelebt hat. Muss es aber nicht. Und über unsere kulturelle Prägung sagt es schon mal gar nichts aus.
Ohnehin ist unsere Spezies im Erbgut nahezu identisch. Angesichts dessen werden bei derartigen Tests auch nur die Bereiche analysiert, in denen wir uns unterscheiden, so Moder. Diese Regionen nennt man SNPs, das steht für Single Nucleotide Polymorphism, also Einzelnukleotid-Polymorphismus. "Die machen aber nur in etwa 0,1 Prozent unserer gesamten Erbinformation aus."
Unterschied nur in winzigem Teil des Erbguts
Allerdings lässt sich aus dem Rest so viel herauslesen, dass sich daraus eine ganze Branche entwickelt hat. Und die verkauft nicht nur Informationen zu einer potenziellen Abstammungsgeschichte, sondern auch, welche Krankheiten veranlagt sind - oder schlichtweg, ob Männer einen frühen Haarausfall zu erwarten haben. Hier ist es wie mit den Geo-Daten: Kann zutreffen, muss es aber nicht.
Zum Beispiel kann eine einzelne Genregion darauf hindeuten, dass das Risiko eines Haarausfalls um 0,57 Prozent erhöht ist. Aber: "Heutzutage kennen wir 71 Genregionen, die mitbestimmen, ob einem Mann fortgeschrittenen Alters die Haare ausfallen. Diese 71 Genregionen zusammen erklären aber nur 38 Prozent des Effekts", so Moder. "Deswegen ist es so wahnsinnig schwierig, aus diesen einzelnen Daten tatsächlich Schlüsse zu ziehen, die auch Sinn machen."
Es geht um die intimsten Daten
Egal, ob zur Stammbau-Aufhübschung oder für tiefere Einblicke: Bei den DNA-Tests ist es wie mit allen Dingen im Internet, die dort unentgeltlich oder verdächtig günstig angeboten werden: Geld ist nicht die entscheidende Währung und der Gentest nicht das eigentliche Produkt. In diesem Fall sind es die intimsten Daten, die man als Mensch so besitzt.
Für Datenschützerinnen und -schützer ist DNA-Ahnenforschung deshalb ein rotes Tuch. Zum Beispiel für Rainer Mühlhoff, Professor für Ethik der künstlichen Intelligenz an der Uni Osnabrück:
Man sollte sich zunächst mal dessen bewusst sein, dass man im Fall von DNA-Daten eine Entscheidung für seinen gesamten Verwandtenkreis trifft, und zwar für einen sehr weiten Verwandtenkreis.
Trotz Datenschutzmaßnahmen - und in der Europäischen Union sind das nicht die lapidarsten - gebe es bei der Erbgutanalyse keine Anonymität, auch wenn die versprochen wird. Bereits vor mehr als zehn Jahren konnten Forschende zeigen, dass es anhand einer DNA möglich ist, den Nachnamen einer Person zu ermitteln.
Das Problem liege aber vielmehr im großen Gesamtpaket, sagt Mühlhoff: "Wenn viele Menschen in einer Gesellschaft ihre DNA preisgeben, dann kann man Schätzungen machen, dass Menschen in bestimmten Regionen, in bestimmten Bevölkerungsgruppen, mit bestimmten Lebensstilen oder Lebensgewohnheiten ein höheres Risiko an bestimmten Krankheiten zum Beispiel haben." Das Ganze nennt sich prädiktive Analytik, "also die datenschutzmäßig eigentlich pikanten Daten, die man über Sie schätzt und die dann einen Nachteil für Sie bilden könnten".
"Forschungszwecke" bedeuten nicht immer Wissenschaft
Gerade das Interesse von Versicherungsunternehmen und Arbeitgebern an solchen Daten sei sehr groß. Wenn Nutzende gefragt werden, ob sie einer Verwendung ihrer Daten zu Forschungszwecken zustimmen, gilt das auch für Unternehmen, die Risikobewertungen für Versicherungen oder Arbeitgeber erstellen. Es drohe eine Diskriminierung durch DNA, sagt Mühlhoff.
Rund achtzig Prozent der Nutzenden würden einer derartigen Verwendung zustimmen, sagt einer der großen Anbieter. Bei der Konkurrenz vermutet Mühlhoff eine ähnliche Quote. Und selbst, wenn die Daten im Moment geschützt sind, muss das nicht für immer so bleiben: Gegen Datenlecks, totalitäre Regime oder schlichtweg gerichtliche Beschlüsse in der Strafverfolgung - vor allem in den USA ein Thema - gibt es keine Sicherheit.
Und dann sind da noch die Auswertungsverfahren, die durch künstliche Intelligenz stetig besser werden. Mühlhoff sieht da eigentlich nur einen sinnvollen Schluss: "Diese technische Entwicklung der KI ist so ergebnisoffen, dass wir heute eigentlich nicht vom aktuellen Stand der Technik ausgehen können, sondern immer die Fantasie schweifen lassen müssen."
Gar nicht mal so viel Fantasie braucht es für eine Verknüpfung der DNA mit Social Media-Daten oder Tracking-Informationen anderer unentgeltlicher Internetdienste. Das Diskriminierungspotenzial scheint unerschöpflich: "Das heißt, in welche Risikogruppen man uns einsortieren kann, um uns unterschiedlich zu behandeln, um uns unterschiedliche Konditionen und Preise für Versicherungen anzubieten, um uns bei Job-Auswahlprozessen unterschiedlich zu behandeln und so weiter."
Aktuelle Datenschutzregelungen reicht nicht aus
Die derzeitigen Datenschutzregelungen seien dahingehend nicht ausreichend, weil das Konzept der Entscheidungshoheit durch DNA-Daten ausgehebelt werde, sagt Rainer Mühlhoff. Stichwort: Verwandtschaft, die erst gar nicht gefragt wurde. Und auch hier gibt es keine Sicherheit, dass die aktuellen Maßnahmen uns auch in Zukunft schützen.
Ob nun witziger Partygag oder nicht: Sicher gibt es Fälle, mit denen sich per DNA-Abgleich Verwandtschaft in Übersee oder sonst wo hat auftreiben lassen. Denn auch das zählt zum verlockenden Angebot der Anbieter: Die Großfamilie wieder zusammenzuführen.
Im Falle, dass es auch wirklich klappt, will selbst dieses Szenario wohlüberlegt sein, weil man manche Dinge vielleicht auch gar nicht so genau wissen möchte. Wer nun aber wirklich an seiner eigenen Herkunft interessiert ist, die Antwort gibt es ganz ohne Test und kostenlos: Zu 100 Prozent Abstammung vom afrikanischen Kontinent - so wie alle Menschen.