Sondergutachten der Wirtschaftsweisen Der Euro steckt in "systemischer Krise"
Erst der Protest von 160 Ökonomen gegen die EU-Gipfelbeschlüsse, dann die Kritik am Protest - und nun melden sich die Wirtschaftsweisen zu Wort. Tenor ihres Gutachtens: Die Beschlüsse helfen nur kurzfristig, der Euro ist in einer "systemischen Krise". Das Finanzministerium sprach von "hilfreichen Denkanstößen".
Erst der Protestaufruf von 160 Wirtschaftswissenschaftlern gegen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels, dann die scharfe Kritik anderer Ökonomen sowie Politiker an dieser Kritik und nun die Wirtschaftsweisen: die Gipfelbeschlüsse zur Euro-Krise bleiben Diskussionsthema.
In einem Sondergutachten kommen die "Fünf Wirtschaftsweisen" zu dem Schluss: Die Schuldenkrise in Europa hat sich zu einer "systemischen Krise" für den Euro ausgewachsen. Es sei eine Situation entstanden, "die den Fortbestand der gemeinsamen Währung und die ökonomische Stabilität Deutschlands gleichermaßen gefährdet", schreibt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, so der offizielle Name des Beratungsgremiums der Bundesregierung, in dem Gutachten.
Keine übereilte Bankenunion
Nötig seien langfristige Lösungen im Kampf gegen die Schuldenkrise in der Eurozone. "Die Entscheidungen des jüngsten EU-Gipfels könnten die Eurozone zwar kurzfristig stabilisieren." Die Krise bleibe jedoch weiterhin ungelöst und es drohten weitere Zuspitzungen. Die Ökonomen sehen einen Teufelskreis aus Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und makroökonomischer Krise.
Konkret warnen die Ökonomen vor einer übereilten Einführung einer sogenannten Bankenunion für die Eurozone. Es seien zuvor noch eine Vielzahl von Fragen zu klären. "Ein langfristiges System, bei dem Haftung und Kontrolle zusammenfallen, erfordert nicht zuletzt die Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte", heißt es in dem Gutachten.
Die spanischen Banken sollten die bereits beantragten Mittel aus dem Rettungsschirm nur bei Einhaltung klarer Kriterien zur Rekapitalisierung und Restrukturierung erhalten. Bedingungen für eine direkte Rekapitalisierung aus dem künftigen Rettungsschirm ESM seien auf absehbare Zeit nicht gegeben. "Es muss gewährleistet sein, dass Haftung und Kontrolle zusammenfallen."
Lösung: Schuldentilgungspakt
Zur Lösung der Staatsschuldenkrise fordert der Sachverständigenrat die Umsetzung des bereits von ihm im Herbst 2011 vorgestellten Schuldentilgungspaktes, den man jetzt weiterentwickelt habe. Die Euro-Staaten sollen laut dem Pakt gegenseitig für einen Teil ihrer Verbindlichkeiten gemeinsam einstehen und sich zugleich verpflichten, die Schulden auf 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung abzubauen.
Dazu sollen nationale Schulden, die die 60-Prozent-Marke übersteigen, in einen gemeinsamen Tilgungsfonds ausgelagert werden. Für den Tilgungsfonds würden alle Euro-Mitglieder gemeinsam haften. Die Bundesregierung hatte diesen Vorschlag bisher aus rechtlichen Gründen immer wieder abgelehnt.
"Hilfreiche und interessante Denkanstöße"
Das Bundesfinanzministerium reagierte verhalten auf das Gutachten. Man nehme das Gutachten zur Kenntnis, hieß es lediglich. Die Äußerungen etwa zum Altschuldenfonds seien im Wesentlichen Konkretisierungen vorheriger Vorschläge. Im Hinblick auf den Aufbau einer Bankenunion seien "Denkanstöße und Lösungsvorschläge des Sachverständigenrats immer hilfreich und interessant".
Die "Fünf Wirtschaftsweisen" berät mit seinen Gutachten die Bundesregierung, unter anderem mit einer jährlichen Untersuchung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Herbst. Ihm gehören die fünf Volkswirte Wolfgang Franz, Peter Bofinger, Christoph M. Schmidt, Lars P. Feld und Claudia M. Buch an.