Schulze und Heil in Ghana Vom Nachverfolgen der Lieferkette
"Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz": Dieses Wortungetüm soll anständige Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Waren garantieren. Zwei Minister sind nach Ghana gereist, um zu schauen, ob das klappt.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze bleibt vor dem Schild stehen und nickt anerkennend. "Wir sind gegen Kinderarbeit" steht dort am Eingang zum Fabrikflur der Näherinnen. "Das ist hier auf jeden Fall der Anfang der Lieferkette, wie er sein muss. Und das sind Jobs, so wie man die sich vorstellt. So wie man Textilindustrie auch voranbringen kann." Schulze und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, beide SPD, sind in Ghanas Hauptstadt Accra zur Textilfabrik KAD Manufacturing gereist - an den Anfang der Textillieferkette.
Erst zehn, jetzt 400 Mitarbeitende
Linda Ampah hat hier vor 14 Jahren gegründet, was heute ein Aushängeschild für das deutsche Lieferkettengesetz sein könnte. Von einst zehn Mitarbeitern ist das Unternehmen auf jetzt 400 Angestellte angewachsen. 70 Prozent davon Frauen. Die Näherinnen verdienen deutlich mehr als den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. Es gelten Umwelt- und Sicherheitsstandards. "Was nützen mir Arbeiter, die sich verletzen und ausfallen", sagt Ampah. Vom kommenden Monat an nähen sie hier auch für den US-Großkonzern Walmart.
Arbeitsminister Heil fühlt sich bestätigt: "Deshalb ist das deutsche Lieferkettengesetz und zukünftig das europäische ein Beitrag, dass sich solche Unternehmen, die Standards setzen, sich auch einen Markt schaffen können." Man dürfe nicht zulassen, sagt Heil, dass die ehrlichen einen Nachteil gegenüber denen haben, die ihre Mitarbeiter mies behandelten.
"Man könnte sogar noch weitergehen"
Der Deutsche Marc Hansult, ein ehemaliger Tennisprofi, führt ebenfalls seit jetzt neun Jahren ein weltweit tätiges Textilunternehmen "Do the right Thing Apparel". In der Filiale in Ghana arbeiten bald 5000 Menschen. Gerade baut er eine Fabrik, um in Ghana aus Baumwolle Stoffe zu produzieren, um die dann ebenfalls vor Ort weiterzuverarbeiten.
Er hält das Lieferkettengesetz, das deutsche Unternehmen verpflichtet, Zulieferer wie ihn zu kontrollieren, ob die Standards eingehalten werden, für zukunftsweisend. "Man könnte sogar noch weitergehen mit dem Gesetz, aber es wird dafür sorgen, dass Unternehmen wie wir uns gegen die durchsetzen, die anders, billiger, rücksichtsloser produzieren."
Textilbranche wichtig für Ghanas Wirtschaft
In Ghana ist der Textilsektor einer von zehn Säulen, auf die die Regierung das Wachstum des Landes aufbauen will. Dass es auch nachhaltig und nach Maßstäben des seit Januar in Kraft getretenen Lieferkettengesetzes möglich ist, Gewinn zu machen, zu wachsen und Märkte zu erschließen, macht Arbeitsminister Heil Mut. In Deutschland nämlich sah er sich vor und nach der Umsetzung des moderaten Lieferkettengesetzes lautstarker Kritik von einigen Textil- und Industrieverbänden ausgesetzt.
Heil scheint das eher anzuspornen: "Ich habe bei einigen Verbandslobbyisten das Gefühl, die haben es immer noch nicht begriffen. Wir reisen jedenfalls aus Ghana mit sehr geradem Rücken wieder nach Deutschland und werden uns von diesen Rufen nicht beeindrucken lassen." Die ehrlichen Unternehmer, sagt der Arbeitsminister, dürften am Ende eben nicht die Dummen sein.
"Hier werden Kinder vergiftet"
Zuvor aber sind Schulze und Heil mit einer ganz anderen Realität Ghanas konfrontiert worden - mit dem bitteren Ende der Lieferkette nämlich. Müllberge, so weit das Auge reicht: Kinder, die versuchen, in der stinkenden Masse noch etwas Verwertbares zu finden; der Fluss: eine Kloake. Hier, im Armenviertel Jamestown, landet der Textilmüll aus Europa - auch aus Deutschland -, der sich nicht mehr auf dem Markt verkaufen lässt. Millionen Tonnen an Kleidungsstücken, die die Umgebung vergiften, über Chemikalien in den Stoffen, die ins Grundwasser gespült werden. Kleider, die in der Lagune schwimmen und die Netze der Fischer zerstören.
Die beiden Minister sind sichtlich geschockt. "Es ist schon bewegend zu sehen, dass hier Kinder leben, Menschen sich ernähren, Kühe über die Müllhalden gehen." Heil kann es kaum fassen. "Man sollte viele einladen, sich das mal anzugucken. Das ist die Kehrseite unseres Wohlstands. Hier werden Kinder vergiftet."
"Das ist die Kehrseite unseres Wohlstands": Die Minister Schulze (l.) und Heil besichtigen eine Müllhalde nahe Ghanas Hauptstadt Accra, auf der auch Abfall aus Deutschland deponiert wird.
Europäische Regelung geht weiter
Schulze pflichtet ihm bei. "Das ist zu einem großen Teil Abfall, der von uns stammt. Es ist furchtbar, was für eine Umweltzerstörung hier angerichtet wird, mit Textilien, die von uns kommen." Angeblich Altkleider, die in Wahrheit aber nur noch Restmüll sind: unbrauchbar, um sie zu recyceln. Deshalb müsse jetzt im Zentrum stehen, Verantwortung für die gesamte Lieferkette zu übernehmen. Die Europäische Union diskutiere gerade über eine Textilstrategie. "Hier sieht man, dass das absolut nötig ist."
Die Ministerin fühlt sich bestätigt in ihrem Eintreten für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Zwar nimmt das deutsche Lieferkettengesetz die Hersteller bisher nicht in die Pflicht, auf die Entsorgung ihrer Produkte zu achten. Der europäische Gesetzentwurf, der gerade in der Abstimmung ist, dagegen schon. Sollte er im Europäischen Parlament eine Mehrheit bekommen, könnte er auch die Regeln für deutsche Unternehmen verschärfen. Angesprochen auf die nach wie vor anhaltende Kritik der Industrie zu Hause reagiert Schulze scharf. "Da möchte man den Bundesverband der Deutschen Industrie einladen, sich mal anzusehen, was passiert, wenn man sich nicht kümmert."
Recycling im besten Sinne
Mit den Bildern von der Textilmüllhalde im Kopf besuchen die deutschen Politiker dann den Kantamanto-Markt, bekannt für seine Secondhand-Ware aus Europa. Er ist einer der weltgrößten Altkleidermärkte. "Hier arbeiten 30.000 Menschen. Das ist unglaublich, wenn man sich ansieht, unter welchen Bedingungen", sagt Schulze. Das sind: schmale Buden, enge Gassen. Berge von Altkleidern türmen sich hinter Verkaufsverschlägen.
Hier wird im besten Sinne recycelt. Die Händlerinnen und Händler kaufen ein schweres Paket mit Kleidung, sie wissen aber nur, ob es sich um T-Shirts oder Hosen handelt, nicht in welchem Zustand die Kleidung ist. Eine ältere Frau, die seit 30 Jahren Tag für Tag in einer engen Bude Kleidung aufbereitet und verkauft, hat sich damit scheinbar abgefunden "Mal hat man Glück, mal Pech." Sie erklärt der Entwicklungsministerin aus dem fernen Deutschland, wie ihr Arbeitsalltag abläuft. Gerade erst musste sie einen großen Verlust verkraften, als sie bei einem Großbrand auf dem Kantamanto-Markt im November 2022 alles verlor.
"Es gibt keine einfachen Antworten"
Nebenan näht ein junger Mann aus kaputten T-Shirts neue Kleidungsstücke. "Er wohnt eineinhalb Stunden entfernt, fängt morgens um vier Uhr an", sagt Schulze. "Und wenn er ein neues T-Shirt genäht hat, was viel Mühe macht, bekommt er am Ende vielleicht einen Dollar." Es ist das andere Ende der Lieferkette. Hier verarbeiten sie, was die reiche, westliche Welt nicht mehr braucht. "Ghana kann Recycling", sagt Ministerin Schulze. Aber eben nicht in diesen Mengen, die aus der Welt der Reichen hierher verschifft werden.
"Wenn wir nicht so viel Müll hierhin liefern würden, sondern wirklich recycelbare Kleidung, sähe das anders aus", meint Schulze, die nach ihrem Rundgang durch das Marktlabyrinth auch die Grenzen der Lieferkettengesetzgebung erkennt. "Es gibt keine einfachen Antworten", sagt sie. Sie setzt jetzt auf die europäische Textilstrategie, die sich um das kümmern soll, was nachgelagerte Lieferkette heißt: um die Verantwortung der Unternehmen für das, was am Ende mit ihren ausrangierten Produkten passiert.