Abstimmung im Bundestag Was vom Lieferkettengesetz bleibt
Um kaum ein Vorhaben der Großen Koalition wurde so lange und erbittert gerungen wie um das Lieferkettengesetz. Heute entscheidet der Bundestag. Doch was ist von den ursprünglichen Plänen übrig?
"Ein zweites 'Rana Plaza' darf es nicht geben" - es war eines der am häufigsten vorgebrachten Argumente in der bisweilen erbitterten Debatte um das Lieferkettengesetz. Beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch, in der auch deutsche Firmen nähen ließen, starben im Jahr 2013 mehr als 1000 Menschen. Nun soll es für deutsche Unternehmen zur Pflicht werden, bei ihren Zulieferern auf Menschenrechte und Umweltstandards zu achten. Die Politik "enkeltauglich und schöpfungstauglich machen", nennt das Entwicklungsminister Gerd Müller.
Doch wie praxistauglich ist das Gesetz wirklich? Und was ist von den ursprünglichen Zielen geblieben, die der CSU-Politiker Gerd Müller und SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil im Tandem durchsetzen wollten? Das Gesetz gilt nicht ab sofort und nicht für alle: Es greift ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten. Diese Schwelle wird zwar ein Jahr später auf 1000 Beschäftigte gesenkt. Müller und Heil jedoch hatten den Kreis der betroffenen Firmen einst viel weiter fassen wollen.
Berechnungen der Bundesregierung zufolge, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegen, werden in der ersten Stufe etwas mehr als 900, später rund 4800 Unternehmen unter die Regelung fallen. Aus Sicht von Kritikern viel zu wenig. "Diese Regierung hat offenbar nicht verstanden, für alle Firmen die gleichen Rahmenbedingungen zu schaffen", kritisiert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz.
"Aufforderung zum Wegschauen"
Auch beim zweiten Streitpunkt handelte CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier seine beiden Kabinettskollegen in Punkto Bissfestigkeit des Gesetzes herunter: Nur für ihren direkten Vertragspartner sind die deutschen Firmen künftig unmittelbar verantwortlich, also nur für das erste Glied der oft langen Lieferkette. Bei den Sub-Sub-Unternehmen, also den Zulieferern der Zulieferer, muss die deutsche Firma nur dann eingreifen, wenn ihr belastbare Erkenntnisse über Menschenrechtsverletzungen vorliegen. "Das ist eine Aufforderung zum Wegschauen", meint die Linken-Politikerin Eva-Maria Schreiber.
Heißt also konkret: Erst wenn eine deutsche Firma darauf hingewiesen wird, dass auf den Kakaoplantagen eines Zulieferers Kinder schuften, muss sie aktiv werden. Angesichts des monatelangen Streits zwischen dem SPD-CSU-Duo Heil/Müller auf der einen und dem sich um eine Überlastung der Wirtschaft sorgenden CDU-Minister Altmaier auf der anderen Seite, stand das Gesetz zwischendurch kurz vor dem Aus.
Herausgekommen ist ein klassischer Kompromiss: Verletzt ein Unternehmen seine Pflichten, kann es mit empfindlichen Bußgeldern oder sogar dem Ausschluss von Vergabeverfahren bestraft werden. Überwachen wird dies das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA. "Das Gesetz ist eben kein Papiertiger, sondern eines mit Biss", sagt Bundesarbeitsminister Heil.
Gesetz ohne Krallen und Zähne
Kritiker hingegen meinen: Krallen und Zähne seien dem Gesetz im Lauf der Verhandlungen gezogen worden. Eine zivilrechtliche Haftung für deutschen Unternehmen, wie anfangs angestrebt, sieht es nicht vor. Es war der Unionsfraktion im Bundestag ein Anliegen, dies nochmal ausdrücklich in das Gesetz hineinzuschreiben. Im Klartext: Wie bisher auch kann eine pakistanische Näherin vor deutschen Gerichten nur nach ausländischem Recht klagen - auch wenn ihr Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen künftig dabei helfen können. Dieser Weg ist mühsam und selten erfolgversprechend.
Wirtschaftsverbände hingegen hätten das Gesetz am liebsten ganz verhindert: Als "überregulierend und überflüssig" bezeichnet es nach wie vor die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Und so wird es denn auch nach der Verabschiedung von Bundestag und Bundesrat dabei bleiben, dass die einen das Lieferkettengesetz für eine viel zu schwere Bürde halten - und andere für viel zu zahm.