Pläne der Bundesregierung Was ein Lieferkettengesetz bringen soll
Kinderarbeit und Hungerlöhne sind in Entwicklungsländern nicht ungewöhnlich. Wie könnte das geplante Lieferkettengesetz für faire Bedingungen sorgen? Und welche Kritik gibt es an den Plänen - ein Überblick.
Was soll ein Lieferkettengesetz bewirken?
Ein solches Gesetz soll zu mehr Schutz von Menschen und Umwelt in der globalen Wirtschaft führen. Im Handel und der Produktion verletzen Unternehmen im Zuge der weltweiten Wertschöpfungs- und Lieferketten immer wieder grundlegende Menschenrechte. Dazu zählen Kinderarbeit, Ausbeutung, Diskriminierung und fehlende Arbeitsrechte. Auch die Umweltzerstörung soll in den Blick genommen werden: illegale Abholzung, Pestizid-Ausstoß, Wasser- und Luftverschmutzung.
Wie sind die aktuellen Regelungen?
Die Bundesregierung setzte bislang darauf, dass sich Unternehmen freiwillig entlang der Lieferkette an die Einhaltung der Menschenrechte und an Umweltstandards halten. Im Koalitionsvertrag von 2018 verpflichtete sie sich dazu, ein Gesetz zu beschließen, sofern diese nicht eingehalten werden.
Das könnte nun der Fall sein: Denn die Erwartungen der Regierung an die Unternehmen sind erneut nicht erfüllt worden. Entwicklungsminister Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wollen demnach Unternehmen noch in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen. Hintergrund ist eine Befragung der Bundesregierung unter deutschen Unternehmen. Von den etwa 2250 in einer zweiten Erhebung befragten Unternehmen haben nur 455 Unternehmen gültige Antworten zurückgemeldet. Das Ergebnis zeige, dass deutlich weniger als 50 Prozent ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen, teilten die Ministerien mit.
Entsprechende Vorgaben dazu beschreibt der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Dieser wurde im Dezember 2016 verabschiedet. Der NAP setzt UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte um, die der UN-Menschenrechtsrat 2011 beschlossen hatte. Darin werden die staatliche Schutzpflicht und die unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte in globalen Lieferketten definiert.
Wie könnte eine gesetzliche Regelung aussehen?
Das nun in Aussicht gestellte "Sorgfaltspflichtengesetz" soll deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern dafür verantwortlich machen, dass Lieferanten im Ausland soziale und ökologische Mindeststandards einhalten. Arbeitsminister Heil kündigte an, dass ein entsprechendes Gesetz die Rechte der Menschen schützen solle, die Waren für Deutschland produzieren. So solle unter anderem Sklaven- und Kinderarbeit verhindert werden. Das Gesetz will demnach Unternehmen dazu verpflichten zu wissen, wo und wie ihre Rohstoffe beschafft werden.
Haften soll laut Entwurf ein Unternehmer bei einer Beeinträchtigung, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar war. Sollte es dennoch zu Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette kommen, obwohl das Unternehmen alles unternommen hat, soll es nicht zur Verantwortung gezogen werden. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge soll in der aktuellen Version des Gesetzentwurfs die Drohung mit dem Strafrecht gestrichen werden. Unternehmen in Deutschland könnten so nur zivilrechtlich in Haftung genommen werden.
Nach Angaben von Müller ist die Wirtschaft eingeladen, sich offen und konstruktiv in den Prozess einzubringen. Die verschiedenen Ressorts würden jetzt Eckpunkte erarbeiten. Im August soll der Gesetzentwurf nach dem Willen von Minister Heil im Kabinett beschlossen werden und in den Gesetzgebungsprozess gehen. Anfang 2021 soll das Gesetz dann stehen. Beide Minister wollen sich zudem für eine EU-weite Regelung stark machen.
Was wird mit Blick auf das Gesetz diskutiert?
Teile der Wirtschaft lehnen das Vorhaben strikt ab. Sie stören sich vor allem daran, dass Unternehmen möglicherweise für das Verhalten Dritter in Haftung genommen werden könnten, auf die sie gar keinen direkten Zugriff hätten. Das widerspreche den Regeln der Vereinten Nationen, die eine Haftung allein wegen der "Existenz von Geschäftsbeziehungen" ausdrücklich ausschlössen, so die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sowie der Handelsverband Deutschland (HDE) in einer Stellungnahme. Sie pochen weiterhin auf freiwillige Regelungen. Zudem warnten sie vor einer ungerechtfertigten Zusatzbelastung für Unternehmen in der Corona-Krise.
Mehr als 60 renommierte Unternehmen jedoch fordern ein Lieferkettengesetz - darunter Tchibo, Rewe, Nestlé, Alfred Ritter (Ritter Sport). Firmen, die sich jetzt schon an Standards halten, befürchten demnach Wettbewerbsnachteile, wenn andere Unternehmen sich keinen Regeln unterwerfen müssen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sprach sich gegen ein rasches Handeln aus. "Schnellschüsse verbieten sich bei so wichtigen Themen wie diesem", so eine Sprecherin des Ministeriums. Sollte es noch Optimierungsbedarf geben, werde es gemeinsam mit der Wirtschaft und innerhalb der Regierung Gespräche über weitere Maßnahmen geben. Der Wirtschaftsminister ist außerdem gegen einen nationalen Alleingang, wie im "Handelsblatt" zu lesen ist.
Auch das Wirtschaftsforum der SPD sprach sich dafür aus, das Gesetz sofort europäisch zu denken, um "eine Zersplitterung des EU-Binnenmarkts durch unterschiedliche nationale Regelungen" zu verhindern. Die Regierung solle die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hierfür nutzen. "Eine intelligente Kombination aus gesetzlichen Vorgaben und marktwirtschaftlichen Anreizsystemen könnte den erhofften Durchbruch bringen." Die Grünen kritisierten die Beschränkung auf größere Unternehmen.
Was schlagen die Unternehmen vor?
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sowie der Handelsverband Deutschland (HDE) schlagen vor, bestehende Berichterstattungspflichten für europäische Unternehmen um den Aspekt der menschenrechtlichen Sorgfaltsprozesse zu ergänzen. "Die Wirtschaft ist bereit, sich konstruktiv einzubringen und an der praxistauglichen Ausgestaltung einer solchen Regelung mitzuwirken."
Was fordern NGOs und Verbände?
Ein breites Bündnis forderte von der Bundesregierung ein Lieferkettengesetz mit klaren Haftungsregeln für Unternehmen. Da diese zu wenig freiwillig tun, sei dies nötig, so die Sprecherin des Bündnisses, Johanna Kusch. Die Initiative vereint nach eigenen Angaben mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften und kirchliche Akteure.
Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor äußerte kritisch, dass ökologische Aspekte in den Eckpunkten des Gesetzesentwurfs zu kurz kämen.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
In Frankreich war vor zwei Jahren ein Gesetz verabschiedet worden, das die Sorgfaltspflichten großer französischer Unternehmen regelt. Auch in den Niederlanden gibt es seit 2019 ein Gesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet, Kinderarbeit in ihren Lieferketten zu verhindern. In der Schweiz ist aktuell ein Gesetzesentwurf zur Konzernverantwortung im parlamentarischen Verfahren, der eine Haftung für Schäden durch die Verursacher vorsieht.