Angst vor hartem Brexit Was tun, wenn die Lieferketten zusammenbrechen?
Vor allem internationale Unternehmen fürchten einen harten Brexit: Dann könnten Lieferketten zusammenbrechen und Fließbänder stillstehen. Doch es gibt kleine Lichtblicke - zumindest für Europa.
Auch wenn noch nichts wirklich klar ist - Unternehmen in ganz Europa wappnen sich für einen harten Brexit. Die Vorstellung, dass in einem solchen Fall der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen, aber auch der freie Austausch von Geldströmen - die ja fließen müssen, um Importe und Exporte zu bezahlen - von einem auf den anderen Tag zu Ende wäre, macht viele Firmen unruhig. Konkret fürchten sie die Zollkontrollen, die zwischen dem Vereinigten Königreich und dem europäischen Festland wieder zurückkehren würden.
Hier schätzt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, dass jährlich zehn Millionen zusätzliche Zollanmeldungen bewältigt werden müssten, allein das verursache europaweit Bürokratiekosten von 200 Millionen Euro. Darauf könne man sich vorbereiten, indem man Waren- und Geldströme umlenkt, Rechnersysteme neu programmiert, Personal verlagert oder ganze Unternehmensteile beispielsweise aus Großbritannien abzieht. Das sagt Felix Hufeld, der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Alle großen Banken, alle großen globalen Unternehmen investieren im Moment enorme Ressourcen, um sich vorzubereiten. Das Bild ist allerdings insofern unterschiedlich, vor allem kleinere und mittlere Unternehmen hinken da hinterher. Aber die großen Firmen nehmen sich viel Zeit dafür und geben viel Geld aus.
Kleine Unternehmen vor großen Herausforderungen
Ein harter Brexit wäre für kleine und mittlere Betriebe eine Mammutaufgabe. Handlungsempfehlungen örtlicher Industrie- und Handelskammern beispielsweise raten dazu, sich mit dem Erstellen von Zollanmeldungen vertraut zu machen, Warentarifnummern gemäß EU-Zolltarif einzuführen und all dies rechtzeitig mit britischen Kunden und Zulieferern abzusprechen. Mindestens genauso wichtig sei die Überprüfung von Lieferketten. Denn der Großteil des Warenverkehrs zwischen der EU und Großbritannien geht über den sogenannten Dover-Corridor. Das ist zum einen die Schiffsverbindung über den Ärmelkanal vom französischen Calais aus und der Eurotunnel.
Auf britischer Seite geht es dann weiter über den Motorway 20. Ein Nadelöhr, auf dem massive Staus bei künftigen Grenzkontrollen Alltag würden. Ein britischer Transportunternehmer rechnet mit dem Schlimmsten: "Die Strecke ist an vielen Stellen einspurig - das gibt massive Komplikationen in beide Richtungen, ganz besonders bei dem starken Verkehr, der dann zu erwarten sein wird."
Kilometerlanger Staus bei Dover könnten die Folge neuer Zollkontrollen sein.
Vor allem Autobauer betroffen
Besonders massiv dürften die Folgen für Autohersteller und ihre Zulieferer sein, weil die Produktionsketten extrem vernetzt sind. Deshalb, so hört man aus europäischen Wirtschaftsverbänden, suchen manche bereits alternative Routen - beispielsweise Schiffsverbindungen von Rotterdam, Hamburg, Emden oder Bremerhaven auf die britische Insel. Allerdings haben sie alle einen gravierenden Nachteil: Sie kosten viel mehr Zeit. Und das ist Gift für Unternehmen, die auf schnelle Lieferketten angewiesen sind.
Dabei ist ja immer noch völlig unklar, was ab Ende März wirklich passiert. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, beschreibt die Situation deshalb so: "Unsere Unternehmen schauen in diesen Tagen in den Abgrund. Der Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals bleibt im Moment nichts anderes übrig, als alle Vorkehrungen für einen harten Brexit zu treffen. Auch wenn das das Letzte ist, was wir wollen."
Neue Aufträge für EU-Unternehmen
Vorbereitungen treffen ohne wirklich zu wissen, auf was man sich vorbereiten soll - das macht die Sache schwierig. Aber einen Trost gibt es möglicherweise doch: Im Fall eines harten Brexit würde nämlich all das, was Großbritannien nach Europa exportiert, innerhalb der EU neu verteilt werden: Also vor allem Aufträge für Fahrzeuge und Fahrzeugteile, Nahrungsmittel, Elektrotechnik. Damit rechnet zumindest die EU-Statistikbehörde Eurostat.
Wenn Großbritannien diese Dinge künftig wegen einer Zollgrenze nicht mehr oder nur noch deutlich weniger in die EU liefert, dann könnten vor allem deutsche Unternehmen davon profitieren, die in diesen Bereichen traditionell auch stark sind. Sie könnten die Lücke stopfen, heißt es bei deutschen Wirtschaftsförderung Trade and Invest. Zumindest ein kleiner Lichtblick bei all den schlechten Aussichten im Falle eines harten Brexit.