Inflation in Europa Was tun die Staaten gegen hohe Preise?
Die Inflation steigt überall in Europa, nicht nur in der Eurozone. Vor allem die verteuerten Energieträger wie Öl und Gas treiben die Preise. Wie reagieren die Regierungen darauf?
Die Inflationsrate im Euroraum ist zu Jahresbeginn auf einen Höchststand gestiegen. Die Verbraucherpreise lagen im Januar um 5,1 Prozent höher als im Januar 2021, wie das Statistikamt Eurostat mitteilte. Dies ist der höchste Wert seit Einführung des Euro im Jahr 1999. Im Dezember hatte die Rate noch bei 5,0 Prozent gelegen. Schon für das Gesamtjahr 2021 hatten die meisten EU-Staaten eine ungewöhnliche hohe Teuerungsrate verzeichnet.
Wie gehen die Menschen in den europäischen Ländern mit den Preissteigerungen um - und was tun die Regierungen dagegen? ARD-Korrespondenten berichten aus sieben Staaten innerhalb und außerhalb der Eurozone.
Griechenland: Viele Menschen am Rand der Verzweiflung
In Griechenland bricht die Inflation einen Rekord nach dem anderen: Im Dezember 2021 betrug sie bereits 5,1 Prozent, im Januar sogar schon 6,2 Prozent - und überschritt damit das bisherige Rekordhoch von 5,7 Prozent im Jahr 2010 deutlich.
Für die Bevölkerung hat sich die Preissteigerung zuerst im Energiebereich bemerkbar gemacht. Bereits im September hat die griechische Regierung finanzielle Hilfen auf den Weg gebracht, um vor allem Haushalte mit niedrigeren Einkommen bei den steigenden Heiz- und Stromkosten zu entlasten. Allein der durchschnittliche Preis für Erdgas ist im Januar - trotz Hilfszahlungen der Regierung - im Vergleich zum Vorjahr um 154,8 Prozent angestiegen.
Weil auch die Mieten merklich zugelegt haben, mussten die Griechinnen und Griechen im Januar durchschnittlich gut 22 Prozent mehr fürs Wohnen ausgeben. Auch beim Lebensmitteleinkauf macht sich die Inflation bemerkbar. Vor allem die Preise für Gemüse, Olivenöl und Fisch sind deutlich gestiegen. Mittlerweile geben griechische Haushalte im Schnitt etwa 20 Prozent des gesamten Einkommens für Lebensmittel aus. Bei ärmeren Haushalten sind es sogar knapp ein Drittel.
Dementsprechend wächst bei vielen Griechinnen und Griechen der Unmut, teilweise auch die Verzweiflung. Denn aufgrund der Schuldenkrise und den daraus folgenden Sparmaßnahmen sind die Löhne in Griechenland erst lange gar nicht und seit kurzem nur moderat gestiegen. Auch die Landwirte klagen über die steigenden Preise: Aufgrund der deutlich höheren Ausgaben für Treibstoff, Strom und Düngemittel seien die Produktionskosten um etwa 50 Prozent gestiegen. Erst Anfang Februar haben Hunderte Landwirte mit ihren Traktoren eine Autobahn in Zentralgriechenland blockiert, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Die Regierung hat erneute Hilfsgelder in Aussicht gestellt.
Polen: Die gefühlte Inflation ist noch höher
Polen hat im europaweiten Vergleich mit besonders hoher Inflation zu kämpfen. Sie betrug im Januar 9,2 Prozent. Das ist der höchste Wert seit November 2000. Für das ganze Jahr 2021 lag die Inflationsrate bei 5,1 Prozent. Als Ursache für diese Entwicklung gelten vor allem die hohen Energie- und Rohstoffpreise. Hinzu kommen aber auch andere Sorgen: Denn die Transportkosten, das Heizen aber auch die Preise für Lebensmittel sind deutlich gestiegen.
Die Teuerungsrate ist ein Politikum in Polen und in Umfragen die größte Sorge der Menschen - noch vor der Kriegsgefahr im Osten oder dem Thema Migration. 83 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben danach bemerkt, dass die Preise im vergangenen Jahr "entschieden" angestiegen sind. Viele Polen meinen auch, dass die Inflation in Wirklichkeit viel höher ist als es die Statistiken vermelden - sie sprechen von 30 Prozent. Mehr als 60 Prozent der Befragten befürchten, dass dieses Jahr alles noch teurer wird.
Großplakate einer Lobbygruppe konventioneller Stromproduzenten behaupten im ganzen Land, die EU-Klimapolitik sei für das Gros des Preisauftriebs bei der Energie verantwortlich. Darin steckt insofern ein Stück Wahrheit, als dass in Polen noch immer Strom vor allem aus Kohle gemacht wird, wofür besonders viele Verschmutzungszertifikate fällig werden im Rahmen der EU. Auch Premier Morawiecki machte immer wieder äußere Kräfte verantwortlich für die starke Teuerung, etwa die Lieferpolitik der russischen Gazprom-Konzerns.
Um die Folgen der Inflation für die Verbraucher abzumildern, hat die polnische Regierung ein Maßnahmen-Paket unter dem Namen "Antiinflationsschutzschild" eingeführt. Es handelt sich dabei um Steuersenkungen und finanzielle Unterstützung für die ärmsten Haushalte Polens. Seit dem 1. Februar wurde dafür die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Gas und Düngemittel ausgesetzt und der Steuersatz für Benzin und Dieselkraftstoff von 23 auf acht Prozent gesenkt. Das ist der niedrigstmögliche Satz, den die EU erlaubt. Der Benzinpreis liegt bei etwa 5,55 Zloty, das sind umgerechnet etwa 1,20 Euro. Nebeneffekt: Viele Deutsche in der Grenzregion fahren seitdem zum Tanken auf die polnische Seite, und viele Tschechen kommen zum Einkaufen nach Polen. Außerdem wurde zeitlich begrenzt ein Mehrwertsteuersatz von fünf Prozent auf Strom und Wärme eingeführt. Diese Regelung soll sechs Monate lang gelten.
Experten allerdings haben Zweifel, wie nachhaltig das wirkt und fürchten, dass die Preise erst recht nach oben schießen, wenn die Steuersenkungen auslaufen. Die Pflicht für Supermärkte, in den Auslagen auf Preissenkungen per Steuerpolitik hinzuweisen, hintertrieb ein Händler mit einem Aushang, der im Internet eifrig weitergereicht wurde: Er verwies auf höhere Energierechnungen von bis zu 360 Prozent beim Gas und ironisierte: "Suche kreativen Buchhalter, der mir daraus niedrigere Preise macht."
Frankreich: Die Teuerung treibt den Wahlkampf an
In Frankreich sind die Verbraucherpreise im Januar um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Für die nächsten Monate erwartet das französische Statistikamt INSEE einen weiteren Preisanstieg, jeweils mit einer Drei vor dem Komma. Die Menschen in Frankreich merken das beim Einkaufen, Tanken und besonders, wenn sie auf ihre Strom- und Gasrechnung schauen. Plötzlich 80 statt 47 Euro im Monat? Das kommt vor.
Die Regierung steuert dagegen. Knapp sechs Millionen Haushalte haben einen 100-Euro-Energiescheck bekommen und 38 Millionen Geringverdiener einen Inflationsausgleich von ebenfalls 100 Euro. Außerdem wurden der Anstieg des Strompreises bei vier Prozent gedeckelt und der Gaspreis bis Juni eingefroren. Doch nun musste die Regierung ein "Loch im Tennisschläger" zugeben, wie es hieß - oder besser: eins im sozialen Netz. Denn letztere Maßnahme galt nur für private Heizungsanschlüsse. Fünf Millionen Haushalte haben aber kollektive Anschlüsse, und die gibt es besonders in Sozialwohnungen.
Das Loch wird nun gestopft, und in den 20-Uhr-Nachrichten eines französischen TV-Senders dreht eine alleinerziehende dreifache Mutter daraufhin ihre Heizung wieder auf. Danach folgen ausführliche Tipps, wie man etwa durch Sammeleinkäufe mit den Nachbarn sparen oder eine Solaranlage finanzieren kann.
Inflation und Kaufkraft sind in Frankreich zum Thema Nummer Eins im Wahlkampf geworden. Auf den Straßen wird bereits wieder für höhere Löhne demonstriert und gestreikt. Die Stimmung ist angespannt - es ist ja nicht mehr weit hin bis zur Präsidentenwahl im April.
Tschechien: Die Preise steigen auch ohne den Euro
Die Preise in Tschechien sind in den vergangenen Monaten auf breiter Front gestiegen: die für Benzin und Heizöl um fast ein Drittel. Auch die Kosten für Gas und Strom, was aber durch die Aussetzung der Mehrwertsteuer erstmal nicht so sehr ins Gewicht fiel. Weil sich aber auch Rohstoffe und Transportleistungen verteuert haben, gehen die Verbraucherpreise für Lebensmittel ebenso nach oben: bei Ölen und Fetten um ein Viertel, bei Kartoffeln um rund 18 Prozent, bei Zucker um 17,5 Prozent und Backwaren um 6,6 Prozent. Kleidung, Autos, Wohnen: Alles kostet deutlich mehr.
Die Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala reagiert und macht nun genau das, was sie bei der Vorgängerregierung immer heftig kritisiert hat: Wegen der Teuerung bereitet sie eine Rentenerhöhung außer der Reihe vor - umgerechnet um etwas mehr als 40 Euro. Es ist der höchste Rentenanstieg seit 1997.
Die Tschechische Nationalbank versucht, die Inflation mit dem Instrument einzudämmen, das im Lehrbuch für diese Situationen vorgesehen ist: mit Zinserhöhungen, was allerdings in der Führung der Zentralbank umstritten ist. Fünf Mal hat sie im vergangenen Jahr den Leitzins kräftig angehoben und in diesem Monat noch einmal nachgelegt, auf nunmehr 4,5 Prozent. Fachleute aus den Wirtschaftsverbänden zweifeln aber, ob diese Rechnung aufgeht. Denn die Aufwertung der Krone macht umgekehrt die Exporte teurer. Und manchen Firmen könnten höhere Kreditkosten nach der Pandemie den Rest geben.
Ungarn: Markige Sprüche des Wahlkämpfers
Am 3. April wird gewählt in Ungarn. Es könnte knapp werden. Die rasant gestiegenen Preise, die hohe Inflationsrate von 7,9 Prozent im Januar 2022 gegenüber 2,7 Prozent im Vorjahrensmonat sind wichtiges Wahlkampfthema. Der populistische Ministerpräsident Viktor Orbán verspricht vollmundig: "STOP der Inflation" - durch staatlich verordnete Preisstopps für Nebenkosten, Sprit, Zinsen, Lebensmittel. Für Milch, Zucker, Mehl, Schweinekeulen, Hühnerbrüste gilt seit kurzem: Sie dürfen nicht teurer verkauft werden als im vergangenen Oktober. Für Normal-Benzin und Diesel wurde der Literpreis schon letzten Herbst bei 480 Forint - umgerechnet 1,35 Euro - eingefroren.
Fehlender Gewinn ist in der Folge das Problem der Händler - die ersten Tankstellen bitten ihre Kunden schon, doch woanders billig zu tanken, denn sie würden sonst Pleite gehen. Bei Erdgas setzt Orbán auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin und auf Freundschaftspreise - und hofft so auf die Stimmen von Familien, Rentnern, Geringverdiener, die das im Geldbeutel spüren. Die Opposition rechnet gegen und fordert: runter mit dem Normalsatz der Mehrwertsteuer, der aktuell bei 27 Prozent liegt. Das wäre besser für alle - ginge aber auf Kosten der Staatskasse.
Litauen: Inflation an der Spitze Europas
Litauen gehört zu den Ländern in Europa, die mit besonders hohen Inflationsraten kämpfen: 12,4 Prozent waren es im Januar dieses Jahres, Tendenz steigend. Vor allem Rentnerinnen und Renter sowie Geringverdienende sind stark betroffen, denn die Durchschnittsrente liegt bei gerade mal 465 Euro, der Mindestnettolohn bei 730 Euro. Im Schnitt haben die Litauer gut 1000 Euro monatlich zur Verfügung. Was also tun, wenn das Benzin statt 1,15 Euro plötzlich 1,55 Euro kostet und die Heizkosten fast zweieinhalbmal so hoch sind wie noch im Vorjahr?
Wer kann, fährt zum Einkaufen und Tanken nach Polen, weil dort die Mehrwertsteuer für Lebensmittel und Benzin bedeutend niedriger ist. Das lohnt sich. Zum Beispiel kostet das Kilo Schweinefleisch in Litauen das doppelte dessen, was in Polen dafür verlangt wird. Und auch Benzin ist deutlich günstiger.
Schwieriger ist es mit dem Heizen. Für eine 70 Quadratmeter große Wohnung kostete das im Januar 2021 noch im Schnitt 63 Euro im Monat, ein Jahr später sind es bereits 190 Euro. Seit Januar kann man aber beim Sozialamt einen Zuschuss zu den Heizkosten beantragen, was bereits mehr als 100.000 Haushalte getan haben.
Am Ende hilft aber nur Verzicht - auch bei denen, die ohnehin wenig zum Leben zur Verfügung haben: kein Urlaub, keine Restaurantbesuche, billigere Lebensmittel. Das Auto ist dem Litauer indes heilig. Wer sich diesen Traum verwirklichen konnte, hält bis zum bitteren Ende an dem begehrten Statussymbol fest.
Spanien: Der Staat verzichtet auf eine Milliarde Steuern
Neues Jahr, alte Preissteigerungen: Im Januar lag die Inflationsrate in Spanien laut Nationalem Statistikinstitut bei 6,1 Prozent, nur etwas niedriger als im Dezember 2021. Im Schnitt betrug sie 2021 rund drei Prozent. Haupttreiber dieser Entwicklung bleiben die Kosten für Strom, Gas und Treibstoff. Sie führen auch zu Preissteigerungen in anderen Bereichen, etwa weil Produzenten ihre gestiegenen Kosten zum Teil an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben.
Die spanische Regierung hat bereits im vergangenen Jahr die Mehrwertsteuer auf Strom und die Stromsteuer deutlich gesenkt um gegenzusteuern. Beide Maßnahmen gelten noch bis Ende April. Bis Ende März bleibt zudem die Stromerzeugungssteuer in Höhe von sieben Prozent ausgesetzt - sie beeinflusst den Strompreis natürlich auch. Insgesamt verzichtet der spanische Staat also auf fast eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen mit dem Ziel, dass die Preise wieder das Niveau von 2018 erreichen - bisher ein frommer Wunsch.
Es ist also nicht unüblich, dass Spanierinnen und Spanier auf die Uhr schauen, bevor sie die Spül- oder Waschmaschine anwerfen, denn nachts und an den Wochenenden ist der Strom am billigsten. Besonders die Unberechenbarkeit der Preisentwicklung stößt den Menschen sauer auf, denn anders als in Deutschland ist der Preis pro Kilowattstunde in den meisten Verbraucherverträgen nicht für zwölf oder sogar 24 Monate festgeschrieben. Verbraucherinnen und Verbraucher spüren also Schwankungen an den Strombörsen sehr unmittelbar.