Zinswende aufgeschoben EZB auf dem Weg zum Kontrollverlust?
Die EZB hat den Leitzins im Euroraum auf null Prozent belassen. Über eine mögliche Zinswende wurde diskutiert - beschlossen wurde aber nichts. Verliert die EZB die Kontrolle über die Inflation?
Der Leitzins im Euroraum bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent. Das entschied der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) heute in Frankfurt, wie die Notenbank mitteilte. Die EZB bestätigte zudem ihren Zeitplan, die milliardenschweren Anleihekäufe im Rahmen ihres Kaufprogramms APP im dritten Quartal einzustellen.
Die Währungshüter um Christine Lagarde ziehen die geldpolitischen Zügel somit weiterhin nur mit äußerster Vorsicht an. Weltweit sehen sich die Notenbanken derzeit mit rasant steigenden Inflationsraten konfrontiert; das primäre Ziel der Geldpolitik, nämlich Währungsstabilität, ist in Gefahr.
Euro fällt in erster Reaktion
Während die US-Notenbank die Zinswende schon vollzogen und die norwegische Zentralbank den Leitzins im März bereits zum dritten Mal auf nunmehr 0,75 Prozent erhöht hat, bleibt die EZB zögerlich.
Die Zinsschere zwischen dem Dollar- und dem Euro-Raum dürfte somit fürs Erste weiter zu Gunsten des Dollars auseinandergehen. Das spiegelt sich auch am Devisenmarkt wider: Der Euro fiel nach dem Zinsentscheid der EZB auf 1,0888 Dollar von zuvor 1,0915 Dollar.
Keine Zinswende in Sicht - trotz rekordhoher Inflation
Dabei hatte die Teuerungsrate in der Eurozone im März mit 7,5 Prozent den höchsten Stand seit Einführung des Euro als Verrechnungswährung 1999 erreicht und damit die Zielmarke der EZB von zwei Prozent erneut deutlich übertroffen.
Doch der Zeitpunkt der Zinswende ist auch nach dieser EZB-Ratssitzung offen. Klar ist nur: Vor dem dritten Quartal passiert gar nichts. Denn die Währungshüter haben sich darauf festgelegt, erst nach dem Ende der Nettokäufe die Zinsen zu erhöhen. Während die Falken, also die Anhänger einer strafferen Geldpolitik, im EZB-Rat auf eine erste Zinserhöhung bereits im dritten Quartal drängen, neigen die diesbezüglich eher zurückhaltenden Tauben zu einer Zinswende erst gegen Jahresende.
"Dieses Abwarten ist riskant"
Angesichts der zögerlichen Haltung der EZB warnen einige Ökonomen bereits davor, die Währungshüter könnten das Zepter des Handelns aus der Hand geben und die Kontrolle über die Inflationserwartungen verlieren.
"Leider hat die EZB heute trotz einer Inflationsrate von 7,5 Prozent nicht beschlossen, ihre Nettoanleihekäufe und Minus-Zinsen früher zu beenden. Dieses Abwarten ist riskant", mahnt etwa Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Je länger die EZB an ihrer sehr lockeren Geldpolitik festhält, desto mehr steigen die Inflationserwartungen der Menschen und setzt sich die sehr hohe Inflation dauerhaft fest."
Die Angst vor dem Konjunktureinbruch
Was die Entscheidung für die EZB auf den ersten Blick so schwierig macht: Es steht nicht nur die Währungsstabilität im Euroraum auf dem Spiel, sondern auch die Konjunktur. Einige Ökonomen fürchten, die EZB könne mit einer zu raschen Zinswende die von Lieferengpässen und steigenden Energiekosten gebeutelte Konjunktur abwürgen und die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer in die Rezession treiben.
Doch steht die EZB wirklich vor so einem großen Dilemma? ZEW-Experte Friedrich Heinemann verweist zu Recht auf die europäischen Verträge: "Hier findet sich eine klare Antwort, wie die EZB in einer solchen Situation zu entscheiden hat: Die Preisstabilität ist das vorrangige Ziel, diesem sind andere Ziele untergeordnet." Jeder Monat des Zauderns füge der Reputation dieser wichtigen europäischen Institution Schaden zu.
Tatsächlich besteht der gesetzliche Auftrag der EZB nur darin, für stabile Preise zu sorgen. Im Gegensatz dazu verfolgt etwa die US-Notenbank Fed auch das Ziel der Vollbeschäftigung.