30 Jahre "sozialistische Marktwirtschaft" Chinas Weg zur Wirtschaftsmacht
Vor 30 Jahren hat China die "sozialistische Marktwirtschaft" in der Verfassung verankert und die Planwirtschaft offiziell beendet. Aber die Kommunistische Partei hat sich nicht aus der Wirtschaft zurückgezogen - im Gegenteil.
Markt und Sozialismus - was das chinesische Staatsfernsehen vor 30 Jahren verkündete, ist auf den ersten Blick ein Widerspruch, hat aber Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt deutlich befördert. Unter der schützenden Hand der Staats- und Parteiführung entwickelten sich Privatunternehmen, die heute zur Weltspitze gehören: die Technologie- und Internetkonzerne Huawei, Tencent und Alibaba etwa. Gleichzeitig hat die Führung die Kontrolle über die Wirtschaft nie abgegeben; unter den 100 größten börsennotierten Firmen Chinas sind bis heute viele staatseigene Unternehmen, die ebenfalls auf der ganzen Welt Geschäfte machen: die Reederei COSCO, der Ölkonzern Sinopec oder das Stahlunternehmen Baosteel beispielsweise.
Xi hat die Zügel angezogen
In bunten Videos des staatlichen Auslandssenders CGTN erscheint die "sozialistische Marktwirtschaft" unproblematisch. Tatsächlich standen die Zeichen jahrelang auf wirtschaftliche Öffnung. Doch in der Praxis sind die Staatsunternehmen deutlich im Vorteil: etwa bei Krediten der ebenfalls staatlichen Banken oder bei der Vergabe von staatlichen Aufträgen. Und spätestens seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping vor über zehn Jahren spüren die Privatunternehmen die Kontrolle des Staates wieder sehr deutlich.
Wer die Führung kritisiert, wie 2020 Alibaba-Gründer Jack Ma, bekommt politischen Druck zu spüren, der sich auch auf die Geschäfte auswirkt - den Börsengang der Finanztochter Ant musste er Ende 2020 kurzfristig absagen. Gerade gegen die privaten Internetkonzerne ist die Führung mit immer neuen Eingriffen vorgegangen - mit dramatischen Folgen, sagt Jörg Wuttke, Präsident der europäischen Handelskammer in Peking. "Gerade nach dem furchtbaren Jahr 2021, in dem ja Firmen wie Alibaba von Jack Ma furchtbar gelitten haben, in dem ja de facto eine Billion Euro an Marktwert zerstört wurde: Diese Spuren merkt man heute noch. Wir sind eine sehr viel staatlicher geführte Volkswirtschaft als noch vor 20 Jahren."
Auch in den Privatunternehmen selbst hat die Kommunistische Partei ihren Einfluss ausgebaut - durch Parteizellen, die Einfluss auf das Management nehmen können. Zugleich versucht die Staats- und Parteiführung, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung weiterhin zentral zu lenken - durch Fünfjahrespläne, die nicht mehr wie früher Getreide- oder Stahlquoten vorgeben, aber immer noch die Leitlinien der Wirtschaftspolitik festlegen. Ganz verschwunden ist die Planwirtschaft also nicht. Mit Investitionen in Infrastruktur - Straßen, Flughäfen, Eisenbahnlinien - versucht die Führung außerdem seit Jahren das Wachstum hoch zu halten. Auch hier profitieren immer wieder die staatlichen Konzerne.
Symbolische Gesten sollen Unternehmen Hoffnung machen
In Wirtschaftskreisen gibt es aber jetzt - trotz aller Restriktionen - vorsichtige Hoffnung, dass sich unter dem neuen Premier Li Qiang doch wieder ein businessfreundlicheres Klima durchsetzen könnte. Immerhin hat er als Parteisekretär von Shanghai Tesla nach China geholt. Das Umfeld für Privatunternehmen werde sich deutlich verbessern, versprach Li auf seiner ersten Pressekonferenz als Ministerpräsident Anfang März. Die Regierung werde ein Geschäftsklima schaffen, das sich am Markt und der Rechtslage orientiert. Alle Unternehmen würden gleichbehandelt; die Aussichten für die Privatwirtschaft seien hervorragend.
Neben solchen Äußerungen sind es wie Anfang der 1990er Jahre symbolische Gesten, die die Hoffnungen privater Unternehmer beflügeln. 1992 - also noch ein Jahr, bevor die "sozialistische Marktwirtschaft" in der Verfassung verankert wurde - war es die legendäre Reise durch den Süden von Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping, der klar machte: China wird sich wirtschaftlich weiter öffnen. Den Sozialismus erwähnte er wohl hauptsächlich noch, um die konservativen Marxisten in der KP zu besänftigen.
"Jetzt müssen Taten folgen"
Diese Woche war es ein kurzes Video, das Milliardär Jack Ma zeigte, der nach langen Auslandsaufenthalten überraschend wieder in China auftauchte und eine von ihm gegründete Schule in Hangzhou bei Shanghai besuchte. Beobachter werteten das als Zeichen der Entspannung für die Privatwirtschaft.
EU-Kammerpräsident Wuttke bleibt trotzdem skeptisch. Man müsse nun "abwarten, wie der neue Premier sich zurechtfindet", sagt Wuttke. "Wir haben erst einmal positive Signale wahrgenommen von ihm, aber jetzt müssen Taten folgen. Wir sind noch in der Übergangsphase und wissen eigentlich nicht: Kommt jetzt eine stärkere Hinwendung zum liberalen Marktsystem oder nicht? Ich muss sagen, ich glaube nicht daran." Sicher, Premier Li Qiang gelte als wirtschaftsfreundlich, fügt Wuttke hinzu. Aber Li ist eben auch ein treuer Diener seines Herrn - und der heißt immer noch Xi Jinping.