Wachstumskrise mit Folgen Chinas fette Jahre sind vorbei
China hat sein Wachstumsziel für 2023 eingedampft. Experten warnen, dass die Volksrepublik vor einem wirtschaftlichen Niedergang steht - mit drastischen Folgen für die Weltwirtschaft.
Der globale Wirtschaftsmotor China stottert - das hat nun sogar die chinesische Führung zugeben müssen. Der scheidende chinesische Ministerpräsident Li Keqiang kündigte zum Auftakt der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses in Peking an, man peile dieses Jahr ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund fünf Prozent an.
Experten trauen China nicht mehr viel zu
Die Börsen reagierten enttäuscht auf dieses als wenig ambitioniert wahrgenommene Wachstumsziel. Commerzbank-Experte Tommy Wu sprach von einem "eher bescheidenen" Ziel, zumal die chinesische Wirtschaft schon 2022 nur um drei Prozent gewachsen war - und damit das letztjährige Wachstumsziel von 5,5 Prozent deutlich verfehlt hatte.
Wu rechnet damit, dass sich die Wachstumsdynamik des Landes in der zweiten Jahreshälfte bis ins nächste Jahr hinein verlangsamen wird. Für 2024 prognostiziert er ebenso wie die Ökonomen der OECD ein BIP-Plus von nur noch 4,9 Prozent, was weit unter der zehnjährigen historischen Wachstumsrate Chinas von 7,9 Prozent pro Jahr liegt.
Tiefe Demographiekrise
Experten warnen, dass die Zeiten historisch hoher Wachstumsraten in China nun endgültig vorbei sein dürften. Das Land stehe vor einem drastischen wirtschaftlichen Niedergang. Dabei ist die rigorose und letztlich gescheiterte Corona-Politik der politischen Führung nur ein Faktor.
Mittel- bis langfristig ist es vor allem die Kombination aus Immobilien- und Demographiekrise, die der Volksrepublik schwer zu schaffen macht und auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das Wachstum dämpfen wird. Schließlich war die rasant wachsende Bevölkerung jahrzehntelang die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs Chinas.
Doch diese Basis bröckelt gewaltig: Die Bevölkerung des Riesenreichs schrumpft deutlich schneller als erwartet. Die sinkende Fertilität der Bevölkerung hat dramatische Folgen: 2050 könnten die Chinesen nur noch 11 Prozent der Weltbevölkerung stellen. Zum Vergleich: Heute sind es gut 18 Prozent.
Halbierung der Bevölkerung bis zum Jahr 2100?
Obwohl China 2016 zu einer Zwei-Kind-Politik übergegangen war, erreichte die Zahl der Geburten zuletzt mit 9,56 Millionen den niedrigsten Stand seit 1790, rechnet der chinesische Demographie-Experte Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin-Madison in einem Gastkommentar für die "Neue Zürcher Zeitung" vor.
Gemäß der neuesten Weltbevölkerungsprojektionen der Vereinten Nationen (UN) wird die chinesische Bevölkerung bis ins Jahr 2100 auf 767 Millionen Menschen schrumpfen. Das bedeutet im Vergleich zu heute - China hatte 2022 geschätzt rund 1,426 Milliarden Einwohner - nahezu eine Halbierung.
Wann platzt die Immobilienblase?
Mittel- bis langfristig wird die Demographiekrise auch den Immobilienmarkt nachhaltig belasten. Dabei schlittert China schon jetzt von einer Immobilienkrise zur nächsten. Im Herbst 2021 sorgte die Zahlungsunfähigkeit des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande für Verwerfungen. Ein "Lehman-Schock" für die globalen Finanzmärkte ist zwar nicht eingetreten, doch es scheint, als ob diese Gefahr eher aufgeschoben denn aufgehoben ist.
"Wenn die Blase platzt, wird sich das Wachstum von Chinas Wirtschaft verlangsamen, und dies wiederum wird eine globale Finanzkrise nach sich ziehen", ist jedenfalls China-Experte Yi Fuxian überzeugt.
Weltwirtschaft extrem abhängig von China
Wenn der chinesische Motor stottert, hat das heftige Folgen für die Weltwirtschaft. Schließlich hat kein Land der Erde einen größeren Anteil an der kaufkraftbereinigten globalen Wirtschaftsleistung. Im Jahr 2021 betrug dieser Anteil stolze 18,6 Prozent. Prognosen zufolge dürfte er bis 2027 auf 19,9 Prozent steigen. Mit anderen Worten: Die Weltwirtschaft ist von keinem anderen Land so abhängig wie von China.
Ein nachlassendes Wachstum Chinas hat daher auch für die Weltwirtschaft dramatische Folgen. Zumal China nicht nur die größte Exportnation, sondern auch nach den USA der zweitgrößte Importeur ist. Nachhaltig niedrigere Wachstumsraten Chinas würden daher auch die Exportnation Deutschland mit all ihren Maschinenbauern und Autokonzernen schwer treffen.
Nachlassende Nachfrage dürfte Ölpreis drücken
Am Rohstoffmarkt hätte eine nachlassende Nachfrage aus China derweil einen stark preissenkenden Effekt, der etwa beim Ölpreis besonders deutlich ausfallen dürfte. Schließlich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt einer der größten Energieverbraucher.
Ein niedrigerer Ölpreis würde die globalen Inflationsrisiken dämpfen. Allerdings hat ein niedrigeres Wachstum der Volksrepublik womöglich auch einen treibenden Effekt auf die Verbraucherpreise.
Steigende Verbraucherpreise voraus?
Wird in China nämlich weniger produziert wird, so müssen die weltweit benötigten Waren und Vorprodukte woanders erzeugt werden. Das dürfte in der Regel zu höheren Kosten geschehen als bislang in China und damit Preissteigerungen zunächst auf Produzenten-, später auf Verbraucherseite nach sich ziehen.
Das Urteil von Ulrich Leuchtmann, Devisenexperte der Commerzbank: "Der jahrzehntelange Rückgang der Preise für dauerhafte Konsumgüter, den Chinas blühende Exportwirtschaft der Welt beschert hat, ist nicht lediglich durch Corona unterbrochen worden, sondern voraussichtlich beendet."