Firmen denken um China wird zum Risiko für den Mittelstand
Die Sorgen deutscher Unternehmer wegen ihres China-Geschäfts nehmen zu. Firmen verändern nun ihre Strategien: Betriebsteile sollen sich im Ernstfall schnell abtrennen lassen, Lieferketten zurück nach Europa kommen.
Ventilatoren von ebm-papst kommen überall auf der Welt zum Einsatz. Der Weltmarktführer aus Deutschland produziert seit fast 30 Jahren auch in China. Für das Unternehmen aus dem süddeutschen Mulfingen ist das Land der zweiwichtigste Markt. Vom Werk Nahe Shanghai beliefert man auch den asiatischen Markt mit Ventilatoren.
Thomas Nürnberger, bei ebm-papst seit sieben Jahren für das China-Geschäft verantwortlich, wird das langsam zu riskant. Er setzt ein Programm um mit dem Namen "Decoupling China" - auf Deutsch "China abkoppeln". Konkrete Maßnahmen für den Ernstfall werden derzeit vorbereitet.
"Wir denken über Worst case-Szenarien nach", sagt der Manager, der regelmäßig nach China reist, "Wir wollen innerhalb von drei Monaten in der Lage sein, unsere IT-Systeme vollständig zu entkoppeln."
In China nur noch für China
Das Ziel: Die Tochterfirma vor Ort so aufstellen, dass sie autark weiter produzieren könnte. Die Strategie heißt "In China für China". Das chinesische Werkt soll fast ausschließlich für den chinesischen Markt produzieren. Andere asiatische Länder sollen künftig hauptsächlich aus Indien und Singapur beliefert werden.
Nach Recherchen des ARD-Wirtschaftsmagazins plusminus bereiten sich derzeit auch andere deutsche mittelständische Unternehmen mit "Decoupling China"-Maßnahmen auf mögliche geopolitische Konflikte vor. So sollen Risiken minimiert und gleichzeitig Umsätze von morgen abgesichert werden.
Politik fordert weniger Abhängigkeit
Im Juli hatte die Bundesregierung ein Strategiepapier zu China veröffentlicht. Das asiatische Land sei zwar Deutschlands wichtigster Handelspartner, dennoch wolle man Abhängigkeiten künftig vermeiden, so Kanzler Olaf Scholz: "China bleibt Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale."
Vor Jahrzehnten war China noch angewiesen auf ausländische Investitionen, heute tritt die Wirtschaftsmacht selbstbewusster auf. Nach Einschätzung des Ökonomen Max Zenglein bekommen das nun auch deutsche Unternehmen vermehrt zu spüren.
"Wo man in den letzten Dekaden komplementär war und China primär eine Gelegenheit auch für die Industrie war, ist man jetzt im Wettbewerb", sagt der China-Experte. "In einigen Bereichen ist China uns einfach schon voraus. Das ist ein Teil der neuen Realität, wie wir auf China blicken, aber auch wie China auf uns blickt."
Mehr deutsche Investitionen
Um den chinesischen Unternehmensteil unabhängiger zu machen, investiert ebm-papst rund 25 Millionen Euro in den Standort China. Die Zeit der globalen Lieferketten zur Produktion sei vorüber, so Thomas Nürnberger vom süddeutschen Ventilatoren-Hersteller. "Viele großen Länder, insbesondere China wie auch Amerika, schreiben einen sogenannten Local Content vor. Ein gewisser Anteil der Wertschöpfung muss im Land erbracht werden. Damit dann auch Regierungs- und auch staatliche Aufträge angegangen werden können."
Damit zieht China derzeit viele Investitionen an, weil deutsche Unternehmen nicht auf den chinesischen Markt verzichten können. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft warnt, dass die chinesische Wirtschaft so noch mächtiger werden könnte:
Letztlich zieht China immer mehr Investitionen an, weil die Unternehmen das Gefühl haben, sie müssen ihr Chinageschäft isolieren können. Das heißt, China profitiert wirtschaftlich davon, dass sich unsere Unternehmen weniger abhängig machen. Das, was in China investiert wird, wird nicht von Deutschland aus exportiert. Und das ist schon paradox und so eigentlich nicht gewollt.
"China und Asien sind unverzichtbar"
Bestimmte deutsche Branchen sind besonders abhängig von Lieferketten aus China - etwa die Fahrrad-Industrie. Bei der Firma Rose aus Bocholt werden täglich bis zu 200 Fahrräder zusammengebaut. Fast alle Einzelteile kommen aus Asien, ein Großteil aus China.
Fehlten nur zwei Teile, dann habe das riesige Auswirkungen und man könne das Fahrrad nicht zu Ende bauen, sagt Thorsten Heckrath-Rose. Der Familienunternehmer macht sich deshalb große Sorgen. "China und generell der asiatische Raum sind unverzichtbar für die Fahrrad-Industrie als Handelspartner. Wenn da etwas passieren würde, dann gäbe es irgendwann tatsächlich keine Fahrräder mehr."
Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit
Um die Abhängigkeit zu reduzieren, will Heckrath-Rose Einzelteile vermehrt aus Europa beziehen. Seine bisherigen Erfahrungen waren allerdings durchwachsen. Die Lieferkette habe sich zwar verkürzt, aber "bis man dann auch die Qualität auf dem Niveau hat, wie wir es aus Asien und China gewohnt waren, dauert das ein gewisse Zeit. Und wenn wir weniger abhängig sein wollen, dann kostet das am Anfang auch mehr Geld."
Ein Dilemma: Künden müssten bereit sein, einen höheren Preis für "Made in Europe" zu zahlen. Max Zenglein vom Mercator Institut warnt daher auch vor Wettbewerbsnachteilen. "Wenn man jetzt auf Risiken einstellt und verstärkt auf neue Lieferketten setzt, dann laufen Unternehmen Gefahr, dass man sich quasi aus dem Markt preist. Unternehmen, die das nicht machen und weiterhin günstiger aus China beziehen, bleiben dann konkurrenzfähiger."
Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht daher auch notfalls die Politik in der Verantwortung. "Wenn wir merken, dass viel zu wenige Unternehmen ihre Abhängigkeiten mit China abbauen und wir gesamtwirtschaftlich zu abhängig bleiben, dann muss man darüber nachdenken, ob der Staat nicht stärker in die Förderung geht und das 'De-Risking' auch mit Vorgaben beschleunigt."
"Made in Germany" als Lösung?
Zusammen mit branchenfremden Mittelständlern entwickelt das Team von Thorsten Heckrath-Rose derzeit eine Fahrradgabel aus speziellen Kunststoffen - "made in Germany". Das sei ein sehr aktiver Schritt, die Lieferkette wieder zurückzuholen. "Wir wollen auch auf den Einsatz von kreislauffähigen Materialien wert legen. Also ein doppelter Fortschritt", so der Geschäftsführer.
Ein wettbewerbsfähiges Rose-Fahrrad zu konkurrenzfähigem Preis, mit Bauteilen komplett aus Deutschland und Europa - damit rechnet der Hersteller allerdings frühestens in acht bis zehn Jahren. So lange bleibt das Familienunternehmen abhängig von China.