Streit über Rindersteaks Asado-Alarm in Argentinien
In Argentinien geht der Fleischpreis durch die Decke. Die Regierung verhängte einen Exportstopp. Viehzüchter traten in den Streik. Der Steak-Streit wühlt das Land auf, das Asado als Teil seiner Identität versteht.
"Ohne Asado ist ein Sonntag kein Sonntag", heißt es in Argentinien. Das Asado, das berühmte Grillfleisch, ist nicht nur Grundnahrungsmittel, "es ist Teil unserer Kultur, unserer Identität", sagt Fleischhändler Emmanuel Lapetina. Am Wochenende werden überall im Land Fleischberge über dem Feuer gebrutzelt: vom fetttriefenden Flankenstück bis zu den Nierchen, alles landet auf dem Rost. Doch in den nächsten Tagen könnte der Nachschub ausgehen: Auf dem Mercado de Liniers, dem größten Rindermarkt des Landes, herrscht gähnende Leere. Denn Argentiniens Rinderzüchter sind im Streik.
Das ist eine Reaktion auf die jüngste Maßnahme der linksgerichteten Regierung von Präsident Alberto Fernández und seiner Vizepräsidentin Cristina Kirchner: Sie ließ die Fleischexporte aussetzen, zunächst für 30 Tage. Damit soll der drastische Preisanstieg auf dem heimischen Markt gestoppt werden.
Weltmeister in Verzehr von Rindfleisch
Niemand auf der Welt verzehrt so viel Rindfleisch wie die Argentinier. Doch waren es vor knapp 15 Jahren noch ganze 69 Kilo pro Bauch, sind es heute nur noch 49 Kilo. Zum Vergleich: In Deutschland kamen 2020 rund zehn Kilo Rindfleisch pro Kopf auf die Teller. Zwar ändern sich auch im Land der saftigen Steaks die Ernährungsgewohnheiten. Hauptgrund für den Rückgang dürfte jedoch sein, dass die Argentinier für ihr begehrtes Rindfleisch immer mehr Geld bezahlen müssen.
Das liegt vor allem daran, dass das südamerikanische Land eine der höchsten Inflationsraten der Welt hat. Zuletzt waren es 46 Prozent. Die Löhne halten da nicht mit. Beim Fleisch allerdings machte die Teuerungsrate noch wildere Sprünge: Sie lag laut dem Institut zur Förderung von argentinischem Rindfleisch (IPCVA) bei ganzen 66 Prozent. "Das Fleischproblem ist außer Kontrolle geraten", erklärte Präsident Fernández unlängst, der Preis steige "ohne Grund". Der Markt müsse "geordnet" werden. Und nun spaltet der Streit ums Steak das Land.
Devisen dringend benötigt
"Der Exportstopp macht überhaupt keinen Sinn", findet Raul Berrueta. Seit Generationen widmet sich seine Familie der Rinderzucht. Aktuell grasen rund 2000 Tiere auf seinen Weiden rund um Lobos in der Provinz Buenos Aires. "Ein Monat Exportstopp kostet das Land in etwa so viel wie 12.300.000 Dosen der BioNTech-Impfung", behauptet Berruetta.
Fakt ist: Argentinien, dessen Wirtschaft schon vor Corona in der Krise steckte und im vergangenen Jahr zudem um zehn Prozent einbrach, braucht nichts dringender als Devisen - auch um die Kosten der Pandemie zu tragen.
Laut dem Landwirtschaftsverband CONINAGRO werden durch Fleischexporte jährlich drei Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Die Exporte weiter zu steigern, ist eigentlich auch erklärtes Ziel der Regierung. In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres wurde 20 Prozent mehr exportiert als im Vorjahr, vor allem nach China. Das führte aber nicht zu höheren Einnahmen. Die Regierung spricht von Parallelstrukturen und gefälschten Bilanzen, die Branche von fallenden Preisen auf den globalen Märkten. Fleisch ist in Argentinien ein Politikum - umso mehr in Wahljahren.
Rinderzucht ist in Argentinien eine der wichtigsten Branche. Ihr Asado ist den Menschen heilig.
Der Streit ist nicht neu
Bereits 2006 kam es deswegen zum Konflikt. Auch damals regierte eine linksgerichtete peronistische Regierung - seinerzeit unter Präsident Néstor Kirchner, dem inzwischen verstorbenen Ehemann der Ex-Präsidentin und heutigen Vize-Präsidentin Kirchner. Auch damals wurden auf hohe Preise mit einem Exportstopp und Preiskontrollen reagiert. Das Ergebnis: Das Geschäft brach ein, Absatzmärke und Jobs gingen verloren. Dazu kam eine schwere Dürre.
Viele Rinderzüchter sattelten auf Soja um. Argentiniens Rinderbestand sank von 59 Millionen Tieren im Jahr 2007 auf den Tiefstand von 48 Millionen im Jahr 2011. Die stolze Steaknation exportierte auf einmal weniger Fleisch als Guatemala. Der Preis im Inland stieg trotzdem weiter an.
Es sei damals wie heute ein Trugschluss, dass Exporte den Preis beim lokalen Metzger erhöhten, sagen Agrarverbände, das Gegenteil sei der Fall. Schließlich gehen vor allem solche Stücke ins Ausland, die im Inland gar nicht oder nur wenig konsumiert werden: Premium-Fleisch wie der saftige Hilton Cut ist vor allem für die Europäische Union bestimmt, Hauptabnehmer ist Deutschland.
Mehr als 75 Prozent der Exporte gehen dagegen nach China: darunter viel Fleisch von Kuh und Stier, das man in Argentinien für "zäh" hält. "In Argentinien essen wir vor allem Rippenstücke und Milanesas, Schnitzel", sagt Fleischhändler Lapetina.
Droht ein fleischloser Sonntag?
"Asadazo", großer Fleischverkauf, hieß es am vergangenen Samstag in Avellaneda, einem Vorort von Buenos Aires. Die Kleinbauerngewerkschaft Union de Trabajadores de Tierra (UTT) bot in ihrer Kooperative Tira de Asado (Rippenstrang) für 460 Pesos an, halb so viel wie an der Fleischtheke im Supermarkt. "Fleisch kann billiger sein", sagt UTT-Vertreter Juan Pablo Della Villa, das Problem liege in der Vermarktungskette, in der wenige Player die Preise bestimmen könnten. Statt die Exporte zu stoppen, solle die Regierung Förderprogramme für kleine und mittelgroße Rinderzüchter auflegen, um die Produktion zu steigern.
Noch sind die Auslagen der Metzgereien und Supermärkte voll. Doch in den nächsten Tagen könnte es zu ersten Lieferengpässen kommen. Sonntage ohne Asado? Daran dürfte niemand in Argentinien Interesse haben, umso weniger inmitten des aktuellen Corona-Lockdown.