Tricks der Autohersteller Wie beim CO2 geschummelt wird
Überklebte Fugen, aufgeheizte Räume, vollgepumpte Reifen: Auf dem Prüfstand scheint den Autoherstellern kein Trick zu plump, um den CO2-Ausstoß künstlich zu senken. Ist das jüngste Kapitel im VW-Skandal also wirklich "nicht erklärbar"?
Worum geht es bei den CO2-Werten?
Die Autohersteller müssen für jeden Fahrzeugtyp den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) angeben. Die CO2-Werte sind direkt mit dem Kraftstoffverbrauch verknüpft: Ein Benziner, der fünf Liter Sprit auf 100 Kilometern verbraucht, stößt pro Kilometer 116 Gramm CO2 aus. Diesel ist anders zusammengesetzt, deshalb sind die Emissionen dort etwas höher. So bläst ein Dieselauto mit fünf Litern Verbrauch nach Norm 131 Gramm CO2 aus dem Auspuff. Das entspricht in etwa dem aktuellen EU-Zielwert für die Flottenemissionen.
Wie werden die Zahlen ermittelt?
Der CO2-Ausstoß wird auf dem Prüfstand gemessen. In rund 20 Minuten legen die Autos auf der Rolle etwa 11 Kilometer zurück. Das Durchschnittstempo beträgt also kaum 34 km/h, der Fahrstil ist bedächtig. Aus den CO2-Werten wird schließlich der Spritverbrauch errechnet.
Für die Typprüfung legen die Autohersteller der Zulassungsbehörde, also zum Beispiel dem Kraftfahrtbundesamt, Prüfprotokolle vor. Erst am Montag betonten ADAC und Deutsche Umwelthilfe bei einer Anhörung des Bundestags, dass Fachinstitute, die solche Messungen durchführen, oft von der Automobilindustrie abhängig seien: "Dies führt dazu, dass die Institute darin konkurrieren, die für den Hersteller optimalen Ergebnisse zu generieren", kritisierte die Umwelthilfe.
Wozu werden die CO2-Werte genutzt?
Ob in der Werbung oder im Autohaus - die Hersteller sind verpflichtet, dem Kunden die CO2-Werte transparent zu machen. Tatsächlich ist die Information wichtig. Denn der CO2-Ausstoß ist eine der Komponenten, nach denen die Höhe der Kfz-Steuer errechnet wird. Zu niedrige CO2-Werte führen folglich direkt zu Mindereinnahmen des Fiskus.
Seit 2011 müssen alle neuen Pkw mit einem CO2-Effizienzlabel (Skala A+, A, B, C bis G) ausgezeichnet sein. Die Einstufung wird aus den CO2-Emissionen und dem Gewicht des Fahrzeugs berechnet. Aus CO2-Werten und Absatzzahlen werden auch die Flotten-Zielwerte berechnet. Wer die EU-Vorgaben nicht einhält, dem drohen empfindliche Strafzahlungen.
Wie aussagekräftig sind die Herstellerangaben?
Die Kluft zwischen den Herstellerangaben und den Verbrauchswerten in der Praxis wird immer größer. Die europäische Umweltorganisation "Transport und Environment" (T&E) und die Forschungsorganisation ICCT beschäftigen sich schon lange mit dem Thema. Während die Abweichung im Jahr 2001 noch bei acht Prozent gelegen habe, ermittelten T&E und ICCT für 2014 eine durchschnittliche Abweichung von 38 bis 40 Prozent. Als Referenz gilt dabei ein Mix aus Testergebnissen der Motorpresse, von Autoclubs, Leasinggesellschaften und Verbrauchsportalen im Internet wie Spritmonitor.de.
Durch die praxisfernen Angaben werden die Autos zu niedrig besteuert. Grob geschätzt liegen die Mindereinnahmen in Deutschland mindestens im zweistelligen Millionenbereich. Außerdem sind die jährlichen Spritkosten für einen durchschnittlichen Autofahrer laut T&E rund 450 Euro höher als eigentlich zu erwarten wäre.
Das ICCT konnte zeigen, dass CO2-Angaben - wie Preise im Supermarkt - überdurchschnittlich häufig mit einer "9" enden. Offenbar sollen optisch niedrige CO2-Werte Kunden ködern und bestimmte Steuer- und Labelgrenzwerte in einzelnen EU-Ländern unterbieten.
Wie kommt es zu den Abweichungen?
Die Hersteller nutzen geschickt alle Schlupflöcher aus, die die Norm bietet. Nach Erkenntnissen von T&E ist für schöne Verbrauchs- und Emissionswerte offenbar kein Trick zu plump: Klebeband über Karosseriefugen soll für eine bessere Aerodynamik sorgen, prall gefüllte Leichtlaufreifen für einen niedrigen Rollwiderstand und hohe Testtemperaturen für eine verkürzte Warmlaufphase des Motors.
Die Abweichungen von zum Teil sogar 50 Prozent (genannt werden hier von Mercedes die A-, C- and E-Klasse, die BMW-5er-Reihe und der Peugeot 308) lassen sich laut T&E jedoch schwerlich allein durch die bekannten Kniffe erklären. Die riesige Kluft beweise zwar nicht, dass beim Spritverbrauch digital geschummelt wird, wie VW dies für die Abgastests eingeräumt hat. Die Behörden müssten aber näher prüfen, wie genau es zu den Differenzen komme.
Eine neue Messprozedur ("WLTP") soll in den nächsten Jahren eingeführt werden und für realistischere Angaben sorgen. Nach einem Bericht der englischen Tageszeitung "Guardian" vom 24. September versuchten Großbritannien, Frankreich und Deutschland jedoch durchzusetzen, dass auch die neue Messprozedur wieder Schlupflöcher enthält. Allein dadurch würde auch künftig der tatsächliche Spritverbrauch um 14 Prozent über dem angegebenen liegen, so der "Guardian".
Welche VW-Modelle sind von den CO2-Manipulationen betroffen?
Bislang weiß man nur, dass es sich um 800.000 Autos handeln soll. Nach Recherchen der Nachrichtenagentur dpa sind die Motoren mit den falschen Verbrauchsangaben im Wolfsburger Werk produziert worden. Die meisten hätten einen Dieselmotor mit 1,4 bis 2,0 Liter Hubraum (VW Polo, Golf, Passat; Audi A1, A3; Skoda Octavia; Seat Leon und Ibiza). Auch bei einem Benzinmotor mit Zylinderabschaltung habe es in kleiner Zahl Auffälligkeiten gegeben, sagte ein Sprecher zu dpa.
VW hat besonders sparsame und klimafreundliche Fahrzeuge unter der Bezeichnung "Bluemotion" vermarktet. Vor allem diese Autos sollen von den aktuellen "Unregelmäßigkeiten" betroffen sein. Nach Informationen des NDR soll VW statt der gemessenen Werte noch niedrigere CO2-Zahlen angegeben haben - und zwar um mehr als zehn Prozent.
Ist VW mit besonders großen Abweichungen aufgefallen?
Im letzten Report zur Spritverbrauchskluft listet T&E für 17 Modelle die Abweichung näher auf. Der neue VW-Golf landete in dem Ranking mit 42 Prozent Abweichung auf einem Mittelfeldplatz. Schlechter als der VW-Konzern schnitten Mercedes, PSA (Citroen, Peugeot) und GM (Opel) ab. Dagegen veröffentlichen Fiat und Toyota offenbar deutlich realitätsnähere Angaben.
Hinter den eigenen Ansprüchen bleibt Volkswagen übrigens deutlich zurück: Nach Greenpeace-Protesten hatte VW 2013 ausdrücklich erklärt, künftige CO2-Grenzen ganz ohne Rechentricks einzuhalten.