Fleischwirtschaft Sollten Schlachthöfe mit CO2 betäuben dürfen?
Tiere sollen in Schlachthöfen möglichst wenig leiden. Deshalb werden sie vorher mit CO2 betäubt. Aber ist dies tatsächlich so sanft wie dargestellt? Tierschützer und Juristen haben Zweifel.
Rund 45 Millionen Schweine werden pro Jahr in Deutschland geschlachtet. Doch bevor sie in den Schlachthöfen durch Entblutung sterben und zerlegt werden, müssen sie tief betäubt sein. Das Tier darf den Schlachtvorgang nicht erleben - so steht es im Gesetz. Doch wie ist die Praxis? Rund 80 Prozent aller Schweine in Deutschland, das sind pro Jahr rund 34 Millionen Tiere, werden in den Schlachthöfen mit Kohlendioxid betäubt. Die Methode ist erlaubt. Doch ist sie auch tierschutzkonform?
Vor wenigen Wochen wollen Tierrechtsaktivisten der Gruppe Animal Rights Watch dies genauer wissen. Sie steigen mit Kletterausrüstung und Atemschutzgerät in einen norddeutschen Schlachthof ein, platzieren rund um die CO2-Betäubungsanlage kleine Kameras. Sie haben für ihre Recherchen einen Schlachthof ausgewählt, der im Netz vor allem mit seinem hohen Tierwohlstandard wirbt. Tierwohl stehe bei dem Unternehmen an erster Stelle, habe oberste Priorität, heißt es da. Der Firma gehe es um Nachhaltigkeit, die Tiere würden respektvoll behandelt.
Schreiende Tiere in Panik
Doch als die Tierrechtler Wochen später die Aufnahme auswerten, zeigt sich ein anderes Bild. Zunächst ist zu sehen, wie ein Mitarbeiter im sogenannten Zutriebsbereich die Tiere zu kleinen Gruppen von vier bis sechs Schweinen zusammenstellt. Dafür schiebt er sie mit einem Paddel vor einen Aufzug. Eine Klappe öffnet sich auf Knopfdruck und ein Schieber drückt die Tiere sanft hinein. Die beladene Gondel fährt langsam nach unten. Dort befindet sich eine dichte Kohlendioxid-Konzentration.
Schon nach wenigen Metern Aufzugfahrt reagieren die Tiere. "Die Tiere bekommen Atemnot und das subjektive Gefühle zu ersticken. Sie haben sehr große Panik und wollen der Situation entkommen. Sie wollen flüchten. Das geht aber nicht, weil sie eingesperrt sind", sagt Scarlett Treml, Sprecherin der Tierrechtsgruppe Animal Rights Watch (ARIWA). Es sei vor diesem Hintergrund eine Frechheit zu behaupten, "dass die Tiere schonend und schnell ihr Bewusstein verlieren".
Das ARD-Magazin Plusminus hat die Betäubungsphase zeitlich gemessen. Demnach dauert es bis zu 90 Sekunden, bis die Tiere betäubt sind. Währenddessen schreien sie und erleben Panik.
"Das ist hochgradige Tierquälerei"
Der norddeutsche Schlachtof-Betreiber wurde mit den Bildern konfrontiert. "Wir haben nach Ansicht der Filmaufnahmen besonders den Betäubungsvorgang inklusive Zutrieb und Auswurf von einem unabhängigen Tierschutzexperten noch einmal checken lassen. Dabei ist uns höchstmögliche Qualität bescheinigt worden", schreibt der Betreiber dazu.
Die hessische Tierschutzbeauftragte und Veterinärin Madeleine Martin sieht das anders: "Das, was wir hier gesehen haben, ist hochgradige Tierquälerei. Das Hauptproblem, das man mit CO2 hat, wenn man es einatmen muss, ist neben der hochgradigen Reizung sämtlicher Schleimhäute die Atemnot, und das macht diese Betäubungsform so entsetzlich für die Tiere."
Tierquälerei ist ein Straftatbestand, festgehalten im Deutschen Tierschutzgesetz. Im Paragraph 17 Absatz 2b heißt es dazu: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt."
Komplizierte europäische Rechtslage
Demnach müsste diese Betäubungsform also verboten werden. Doch die Rechtslage ist komplizierter. Die Co- Autorin des Kommentars zum deutschen Tierschutzgesetz und Vizepräsidentin der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht DJGT e.V., Barbara Felde, weist insbesondere auf die europäische Rechtslage hin. Diese sei ein wenig verworren, sagt sie.
In einem Gutachten der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA aus dem Jahr 2004 werde so etwa betont, dass die Kohlendioxod-Betäubung nur maximal 30 Sekunden dauere. Gleichwohl spreche die EU-Kommission einige Jahre später von Tierschutzproblemen mit dieser Betäubungsform und schreibe 2009 in die neu gefasste europäische Schlacht-Verordnung: "Die Empfehlungen, den Einsatz von Kohlendioxid bei Schweinen (…) schrittweise einzustellen, werden nicht in diese Verordnung eingearbeitet, da die Folgenabschätzung ergeben hat, dass solche eine Empfehlung derzeit in der EU aus wirtschaftlicher Sicht nicht tragbar ist."
Geht Wirtschaftlichkeit also vor Tierschutz? "Schon bei einer Dauer von 30 Sekunden, würde ich sagen, widerspricht die EU und verstößt sie gegen ihre eigenen rechtlich geltenden Voraussetzungen, nämlich dass den Tieren kein vermeidbares Leid zugefügt werden darf", sagt Felde. Ihre Meinung: Die Tierschlachtverordnung müsste ganz dringend überarbeitet werden. "Und im Übrigen hat auch Deutschland die Möglichkeit, eine Änderung bei der EU anzumelden."
Warten auf "neue wissenschaftliche Erkenntnisse"
Plusminus fragte im Bundeslandwirtschaftsministerium nach. Wie steht Deutschland dazu, dass die EU-Kommission hier der Wirtschaftlichkeit offensichtlich einen höheren Stellenwert einräumt als dem Tierschutz? "Der Tierschutz hat auf alle Fälle Vorrang vor den wirtschaftlichen Aspekten, denn Tierschutz ist ja auch ein Staatsziel im Grundgesetz. Wir wissen, dass die CO2-Betäubung aus Tierschutzsicht durchaus Fragen aufwirft", sagt Silvia Bender, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium.
Als Mitgliedsstaat der EU seien Deutschland ein Stück weit die Hände gebunden, jetzt selber aktiv zu werden, was das Verbot von bestimmten Betäubungsmethoden angeht. "Wir können nur aktiv werden, wenn wir neue wissenschaftliche Erkenntnisse haben. Und an diesen arbeiten wir gerade", so Bender.
Gibt es Alternativen?
Tatsächlich wird an Alternativen zur CO2-Betäubung geforscht. Bereits vor Jahren wurden Experimente mit dem Edelgas Helium durchgeführt. Schweine schlafen unter Helium einfach ein. Das Problem: Es gibt zu wenig von diesem Gas, um es millionenfach für die Schweinebetäubung einzusetzen.
Das Friedrich-Löffler-Institut im niedersächsischen Celle hat gerade von weitreichenden Experimenten mit sogenannten inerten Gasen wie Argon berichtet. Doch auch hier wird von starken Abwehrreaktionen der Tiere berichtet. Insbesondere sollen die Tiere schreien. Jörg Altemeier, Leiter der Stabsstelle der Tönnies-Gruppe, möchte die Tests jetzt gerne "hochskalieren in die Maßstäbe, in denen Schlachthöfe auch arbeiten". Eine Umsetzung in der Praxis wird also noch Jahre dauern. Alternativen zur Kohlendioxiod-Betäubung sind in kurzer Zeit also noch nicht in Sicht.