Social-Media-Kampagnen Wenn Lauch zum Star wird
Eine Discount-Supermarktkette engagiert eine Rapperin für ein Werbevideo über Lauch - und der Clip geht auf TikTok viral. Was das über die Strategien der Marketing-Profis verrät.
Für jedes Like ein Lauch - so lautet das Versprechen der Musikerin Nina Chuba. Im Auftrag des Discounters Aldi Süd präsentiert sie das auch in Deutschland heimische Gemüse in einem Werbevideo auf TikTok. Lauch wird hier zum Star stilisiert. Und wem der schnell geschnittene und provokant gedrehte Clip gefällt, der soll das Video liken - dafür wolle Aldi dann Lauch spenden.
Die Supermarktkette ahnte offenbar das Viral-Potenzial. Die Mischung: Ein Gemüse, das jeder kennt, eine Influencerin, die gerade zu den angesagtesten Künsterinnen überhaupt gehört, und TikTok. 15,9 Millionen Aufrufe in nur wenigen Tagen erreichte das Video, 160.000 Likes sind es geworden. Und es wäre vermutlich noch mehr, wenn Aldi Süd die Aktion nicht auf 48 Stunden begrenzt hätte. Jetzt spendet das Unternehmen nach eigenen Angaben 250.000 Euro an eine Kinder-Hilfsaktion - die Summe stand wohl vor Veröffentlichung bereits fest.
"Power und Freiheit"
"Lauch steht ab heute für drei Attribute", verkündet Nina Chuba im Video, "Power und Freiheit." Dass es am Ende nur zwei geworden sind, ist vermutlich Absicht. Chuba präsentiert sich ohnehin selbstironisch, während sie über Lauch rappt. "Da ist noch Luft nach oben", bemängelt sie selbst beim Blick auf eine imaginäre Lauch-Klamotten-Kollektion. Dass Lauch im Sprachgebrauch nicht unbedingt den besten Ruf hat, gehört zum Kalkül der Werbestrategen.
Selbstironische Werbung für Lauch: Rapperin und Influencerin Nina Chuba
"Lauch ist ja ein Schimpfwort gewesen. Schmaler, schlanker, großer, junger Mann oder Mädchen, da wird als 'du Lauch' bezeichnet. Also eher beleidigt oder beschimpft aufgrund der Figur", erläutert Karsten Kilian, der an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt Markenmanagement lehrt. Aldi greife genau dieses Thema ironisierend auf und gebe einem sozusagen vernachlässigten Lebensmittel ein neues Image. "Man macht den Lauch, die Randfigur, zum Star."
Für den Experten grundsätzlich eine gelungene Kampagne - wenn auch vielleicht etwas spät. Schon 2018 landete Lauch unter den Top Ten der Jugendwörter des Jahres. In Umlauf ist der Begriff als Schimpfwort schon deutlich länger. Aldi Süd selbst schreibt in einer Pressemitteilung, man habe es sich "zum Ziel gesetzt, einen Hype auszulösen: um Lauch." Es handle sich nämlich um ein "unterschätztes Gemüse".
Was der Landwirt dazu sagt
Dabei kommt es wahrscheinlich darauf an, wen man fragt. Für Kai Reinheimer etwa ist Lauch schon immer so etwas wie ein Star. Denn Reinheimer ist der Chef eines Gemüsehofs, der ebenfalls den Familiennamen trägt und im hessischen Ginsheim-Gustavsburg liegt. Reinheimer hat gerade 180.000 Stangen Lauch geerntet, diese werden jetzt gewaschen und sortiert. Die großen, kräftigen Stangen kommen unter dem Label des Gemüsehofs in regionale Supermärkte und seinen Hofladen, der Rest landet im Suppengrün.
"Der Lauch ist eine Vitamin C-Bombe. Er hat ein Aroma, das eigentlich unvergleichlich ist. Es gibt nichts, was annähernd so schmeckt wie Lauch", sagt der Landwirt. Vielfältig sei das Gemüse, dazu auch noch dankbar im Anbau. Über das Discounter-Video muss der Bauer, der keine eigenen Geschäftsbeziehungen mit der Supermarktkette hat, lachen. Grundsätzlich findet er die Aktion gut. "Ich kann den Attributen etwas abgewinnen. Das nächste ist natürlich, dass Lauch ein Grundnahrungsmittel ist - auch nicht zu unterschätzen, weil: Auch YouTuber brauchen was zu essen."
Mehr Interesse für Herkunft der Lebensmittel?
Wenn der Blick gerade jüngerer Menschen durch eine solche Aktion auf den heimischen Anbau, auf regionale Produkte gelenkt werde, dann hätten doch alle etwas davon, meint Reinheimer. Er wünscht sich mehr Interesse für die Herkunft von Lebensmitteln und das, was vor der eigenen Haustür wächst - und schmeckt.
In seiner Region ist es seit einigen Jahren so viel wärmer geworden, dass der Landwirt das Gemüse jetzt ganzjährig anbauen kann - trotz Frost. "Solange die Wurzel unten Wasser ziehen kann, kann der Lauch immer wieder auftauen." So kommt allein der Gemüsehof Reinheimer auf bis zu 1,5 Millionen Stangen Lauch pro Jahr, etwa 40 Tonnen.
Immer mehr Werbeetats fließen in Social Media
Die TikTok-Kampagne von Aldi Süd dürfte für den Discounter zu den eher kleineren gehören - bei einem Gesamtwerbeetat von geschätzten 408,5 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Unternehmen könnten so eine junge Zielgruppe erreichen, so Marketingexperte Kilian. Ansonsten sei dahinter keine langfristige Strategie zu erkennen. "Mit Brokkoli wird es im zweiten Anlauf wahrscheinlich nicht funktionieren."
Dennoch ist sie ein Beleg dafür, dass die großen Konzerne in Deutschland ihre Werbeetats umschichten. Weg von Plakat-, Zeitungs- oder TV-Werbung, hin zu Social Media. In diesem Jahr werden die Ausgaben in Deutschland im Bereich Social-Media-Werbung auf geschätzte 3,61 Milliarden Euro steigen. Dabei spielt gerade die chinesische App TikTok eine immer größere Rolle. Während weltweit Werbung im Desktop-Bereich stagniert, geht der Trend hin zu mobil angezeigten Plattformen.