Energielieferungen Europas Gasmarkt ohne Russland
Russlands Angriff auf die Ukraine hat schwere Turbulenzen am europäischen Gasmarkt verursacht. Aber die Abhängigkeit von Russland hat stark nachgelassen, auch wenn vermehrt russisches Flüssigerdgas importiert wird.
Die EU hat bislang keine Sanktionen über russische Gaslieferungen verhängt. Erklärtes Ziel ist es allerdings, komplett unabhängig von russischen Energieimporten zu werden. Nach Angaben der Bundesregierung ist das zumindest Deutschland bereits gelungen. Seit dem 1. Januar 2023 bezieht Deutschland aus Russland kein Öl, keine Kohle und vor allem kein Gas mehr. In anderen Ländern der EU sieht es aktuell aber noch anders aus.
Russische Gasimporte eingebrochen
Russisches Gas wird derzeit noch über die beiden Pipelines Turkstream und Transgas nach Europa geliefert. Hinzu kommen schließlich die Lieferungen von russischem Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG). "Das leitungsgebundene Gas fließt überwiegend über den Ukraine-Transit und die Türkei nach Süd- und Osteuropa", erklärt Andreas Schröder, Leiter der Energieanalyse beim Energie-Informationsdienst ICIS gegenüber tagesschau.de.
"Das Flüssiggas aus Russland kommt überwiegend nach Spanien und Frankreich sowie in die Niederlande und nach Belgien." Zumindest in Spanien, Frankreich und Belgien hat der Anteil russischen Flüssiggases im vergangenen Jahr zugelegt. In den Niederlanden und Portugal nahm er ICIS-Daten zufolge ab.
Insgesamt sind die russischen LNG-Importe in die EU laut Schröder zuletzt zwar gestiegen. "Aber das erscheint als wenig verglichen mit den gesamten Gasimporten, die stark eingebrochen sind. Mit dem Export von LNG konnte sich Russland ein kleines Standbein sichern und sogar ausbauen", unterstreicht der Energieexperte. Aufgrund der gestiegenen Preise sei das ein sehr lohnendes Geschäft.
USA verdoppeln LNG-Lieferungen
Russland hat seine dominante Rolle bei der europäischen Gasversorgung insgesamt aber längst verloren. Im Jahr 2021 lag sein Anteil noch bei rund 40 Prozent. Mittlerweile ist er deutlich gesunken. Angaben des Europäischen Rats zufolge lag Russlands Anteil im November des vergangenen Jahres nur noch bei 12,9 Prozent. Seitdem ist er ICIS-Daten zufolge weiter gesunken: Im Januar 2023 lag der Anteil Russlands an den EU-Gasimporten laut Schröder sogar nur noch bei 4,6 Prozent Pipelinegas plus 4,6 Prozent LNG - also insgesamt bei 9,2 Prozent.
Der Ausfall Russlands als Lieferant wurde durch einen starken Anstieg der Einfuhren von Flüssigerdgas, insbesondere aus den USA, ausgeglichen, heißt es von der EU: "Zwischen Januar und November 2022 beliefen sich die LNG-Einfuhren aus den USA auf über 50 Milliarden Kubikmeter. Dies ist mehr als doppelt so viel wie im gesamten Jahr 2021." Aber auch Norwegen, Algerien, Katar und Nigeria gehören zu den wichtigsten Lieferanten von LNG. Hinzu kommt laut Schröder auch etwas mehr Leitungsgas aus Norwegen.
Nach Ansicht des Energie-Analysten ist es technisch mittlerweile möglich, komplett auf russisches Gas zu verzichten. "Es entstehen aber zusätzliche Kosten, weil Ersatz beschafft werden muss." Daher bestehe innerhalb EU dazu keine Einigkeit. "Zudem verzichten Italien, Ungarn und weitere Staaten ungerne auf das günstige Leitungsgas aus Russland, das über Langfristverträge geliefert wird."
Gasversorgung bleibt kritisch
Aber indem die EU und Deutschland Fortschritte bei der Abwendung von russischem Gas erzielen, entstehen neue Risiken und Abhängigkeiten. "Die Abkehr vom russischen Gas wird 2023 eine große Herausforderung sein, da die Länder Schwierigkeiten haben werden, genügend importiertes Flüssigerdgas zu finden und zu verarbeiten, um das Defizit zu decken", kommentiert Justin Thomson, Investment-Experte bei T. Rowe Price.
Um das Gas aus Russland zu ersetzen, hat sich die EU verstärkt den globalen LNG-Märkten zugewandt. "Dies hat zwar die unmittelbaren Versorgungsprobleme gemildert, aber dazu geführt, dass die Gasversorgung und die Gaspreise in der EU empfindlicher auf Schwankungen der Energienachfrage aus der übrigen Welt, insbesondere aus China, reagiert haben", heißt es in einer aktuellen Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) über die Risiken für den EU-Erdgasmarkt.
"Eine Erholung der chinesischen LNG-Importe könnte die Fähigkeit der EU einschränken, die Gasversorgung im Jahr 2023 sicherzustellen", stellen die EZB-Fachleute fest. Andere Experten sehen das ähnlich. Auf dem weltweiten Markt werde LNG künftig knapp bleiben, meint Schröder. LNG sei bereits jetzt sehr teuer, und die Preise werden 2023 wahrscheinlich steigen, wenn die Nachfrage zunehme, prognostiziert Marktbeobachter Thomson.
Russlands Angriff und die Folgen
Ob das globale Angebot in erforderlicher Weise erhöht werden kann, scheint ungewiss: "Das Problem sind vor allem die weltweit fehlenden Exportterminals der Gasproduzenten. Es dauert Jahre, bis sie fertiggestellt werden, und in den vergangenen Dekaden vergleichsweise niedriger Gaspreise wurde hier wenig investiert", erklärt der ICIS-Fachmann.
Langfristig würden Erneuerbare Energien die russischen Importe als Hauptlieferanten ersetzen, aber diese Aussicht ist laut Thomson noch einige Jahre entfernt: "Es ist also klar, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine noch längere Zeit an den Energiemärkten nachhallen wird."