Drohende Energie-Knappheit Gas sparen - aber wie?
Die Lieferungen aus Russland stocken - und Politiker und Experten rufen dazu auf, Gas zu sparen. Das geht auch ohne zusätzliche Wolldecken in der Wohnung. Welche Möglichkeiten Verbraucher haben.
Nachdem der russische Konzern Gazprom seine Lieferungen nach Deutschland durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 weiter reduziert hat, sorgen sich Experten um die Gasversorgung im kommenden Winter. Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck sind die Gasspeicher derzeit zu 56 Prozent gefüllt. Das sei überdurchschnittlich gut, reiche aber nicht, sagte der Vizekanzler. "Wir können nicht mit 56 Prozent in den Winter gehen. Da müssen die voll sein. Sonst sind wir wirklich offen", sagte der Grünen-Politiker in den tagesthemen.
Zwar sei die Versorgungssicherheit aktuell gewährleistet, die Lage für die Heizperiode sei aber ernst, so der Minister. Denn Fakt ist: Knapp die Hälfte aller Haushalte heizten 2020 nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hierzulande mit Erdgas. Was also tun, um kalte Wohnungen zu verhindern?
Vermieter fordern niedrigere Mindesttemperaturen
Die Bundesnetzagentur und der Städte- und Gemeindebund fordern niedrigere Vorgaben zu Mindesttemperaturen in Wohnungen, um auf Engpässe reagieren und Gas sparen zu können. "Im Mietrecht gibt es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsanlage während der Heizperiode so einstellen muss, dass eine Mindesttemperatur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht wird. Der Staat könnte die Heiz-Vorgaben für Vermieter zeitweise senken. Darüber diskutieren wir mit der Politik", sagte Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller der "Rheinischen Post".
Nur noch 18 Grad in der Wohnung?
Auch der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) findet bei einem drohenden Gasmangel eine Absenkung der Mindesttemperatur sinnvoll - auf eine Untergrenze von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts. "Der Gedanke dahinter ist, die Rechtssicherheit für Vermieter und Mieter zu verbessern", erklärt Ingrid Vogler, Leiterin Energie und Technik beim GdW, gegenüber tagesschau.de. In Deutschland gebe es keine Gesetzgebung, wie warm es in Wohnungen sein muss. Durch Gerichtsurteile sei jedoch klar, dass der Mieter ein Mietminderungsrecht habe, wenn die Temperatur im Gebäude 20 Grad nicht erreicht.
"Wenn wir uns im Katastrophenfall mit Gasabschaltungen bei nicht-geschützten Kunden und nötigen Einsparungen bei geschützten Kunden sinnvoll verhalten wollen, können wir keine Mietminderungen riskieren", so Vogler. Die Idee gehöre zur Vorbereitung auf eine Notsituation, in der ein Herunterfahren der Temperaturen in den Gebäuden nötig ist. Ein Absenken auf 18 Grad könne insgesamt bestimmt 15 Prozent Gas einsparen. "Das soll aber nicht auf den Rücken von Vermietern abgelagert werden."
Viel Wärme kann verlorengehen
Doch was bedeutet überhaupt Mindesttemperatur? "Technisch könnte der Vermieter die Vorlauftemperatur im Notfall herunterfahren, sodass man es in den Wohnungen nicht mehr wärmer bekommt", sagt Vogler. Im Detail sei das schwierig einzustellen, da es keine Formel für den direkten Zusammenhang zwischen der Vorlauf- und der Raumtemperatur gebe. Der Vermieter müsse jeweils ausprobieren, was in dem Haus passiere.
"Eine exakte Raumtemperatur können die Vermieter damit nicht einstellen", sagt auch Martin Brandis, Referent für Energieberatung der Verbraucherzentralen, im Gespräch mit tagesschau.de. Bei der Vorlauftemperatur gehe es lediglich um die Temperatur des durch den Wärmeerzeuger mithilfe von Gas erhitzten Wassers, das in die Heizkörper gepumpt wird. Das Problem: Wenn das Wasser zu heiß ist, geht viel Wärme dorthin verloren, wo sie gar nicht gebraucht wird.
Daher plädiert der GdW für geringere Mindestgrenzen: "So ein Prozess kann notwendig sein, um das Gesamtsystem stabil zu halten. Wenn es so weit kommt, dass bei geschützten Verbrauchern das Gas abgeschaltet werden muss, riskieren wir gesundheitliche Schäden und Verlust von Gebäudesubstanz zum Beispiel durch Schimmelpilzbefall", betont Vogler. Keine Wohnungsgesellschaft wolle die Gebäude zu sehr auskühlen lassen.
Vorlauftemperatur oft zu hoch
Experte Brandis hält die Maßnahme dagegen für nicht hilfreich: "Da es keine gesetzlichen Ansprüche gibt, halte ich es für kein probates Mittel, um erhebliche Verbesserungen herbeizuführen." Allerdings: In vielen Häusern seien die Vorlauftemperaturen ohnehin viel zu hoch eingestellt. "Um meine Räume auf 20 Grad zu heizen, brauche ich je nach Gebäude, Wärmeverteilsystem und Außentemperatur vielleicht 50 Grad Vorlauftemperatur. Tatsächlich wärmt die Heizung das Wasser aber oft auf 70 Grad - das merken Bewohner und Besitzer meist gar nicht."
In der Heizperiode sei die Absenkung der Systemtemperatur daher eine Möglichkeit, um einen unnötig hohen Energieverbrauch zu verhindern. An vielen Heizungsanlagen könne die Energieeffizienz somit verbessert werden, ohne dass dadurch jemand frieren müsse. "Eigentlich müssten die Einstellungen an das jeweilige Gebäude an die individuellen Gegebenheiten wie etwa den Heizflächen angepasst werden. Das passiert sehr häufig nicht", so Brandis.
Auch von anderen Seiten kommt Kritik an der Idee auf. "Gesetzlich verordnetes Frieren halte ich für unsinnig", sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) sieht die Absenkung der Temperatur ebenfalls kritisch und will stattdessen Hauseigentümer dazu verpflichten, möglichst noch in diesem Jahr digitale Heizkörperthermostate einzubauen. Der Deutsche Mieterbund hält den Vorschlag für zu undifferenziert. Ältere Menschen würden häufiger und schneller frieren als jüngere. Ihnen jetzt pauschal zu sagen, sie sollten sich eine Wolldecke mehr nehmen, könne nicht die Lösung sein, sagte Präsident Lukas Siebenkotten den Zeitungen der "Funke Mediengruppe".
Haushalt verbraucht fast ein Drittel des Erdgases
Sinnvoller wäre es seiner Ansicht nach, auf Freiwilligkeit zu setzen. Viele Mieter sparten bereits jetzt Energie. Tatsächlich schaut laut einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom knapp die Hälfte der Deutschen wegen des Ukraine-Kriegs stärker auf den Energieverbrauch. 48 Prozent der Befragten gaben an, sie gingen bewusster mit Energie um - etwa beim Heizen.
Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck rief die Bürger zuletzt immer wieder zum Energiesparen auf. Im vergangenen Jahr nutzten private Haushalte dem BDEW zufolge 31 Prozent des Erdgases in Deutschland. Doch was können Verbraucher, die noch nicht auf andere Heizsysteme wie Wärmepumpen umgestellt haben, konkret tun - besonders im Sommer, wenn nicht geheizt werden muss? Darauf geben die Verbraucherzentralen eine Vielzahl von Tipps.
Heizungen laufen oft das ganze Jahr durch
"Gas wird derzeit außerhalb der Heizperiode typischerweise für die Warmwasserversorgung genutzt", so Brandis. Zum einen könne schlicht weniger warmes Wasser verbraucht werden - durch die Verkürzung der Duschzeit oder die Verringerung des Durchflusses mithilfe eines Sparduschkopfes. Zum anderen gebe es vermutlich nicht wenige Wohngebäude, in denen die Heizungsanlage das ganze Jahr durchlaufe. Viele Haushalte bemerkten das gar nicht, weil die Heizkörper kalt bleiben. In den Rohrleitungen ströme dennoch das aufgewärmte Wasser, was mit Energieverbrauch verbunden sei.
"Das kann man ändern, indem man die Heizungsanlage auf den reinen Warmwasserbetrieb umschaltet beziehungsweise komplett ausstellt", erklärt der Fachmann. Zusätzlich könne dabei Strom eingespart werden, da die Wärmeverteilung elektrisch angetrieben wird. Generell sollte auf den Stromverbrauch geachtet werden, da ein Teil der Erzeugung auch über Erdgas stattfindet.
Während der Heizperiode sollte man den Verbraucherzentralen vor allem darauf achten, was wirklich nötig ist. "Heizen Sie nur da, wo sie die Wärme auch brauchen", sagt Brandis. Wenn die Wohnung tagsüber leer stehe, brauche man nicht heizen und könne die Temperatur herunterregeln. Wer dafür ungern jedes Ventil einzeln bedienen oder die Räume kurz vor der Ankunft bereits wieder aufwärmen will, könne programmierbare oder vernetzte Thermostate verwenden.
Sechs Prozent Einsparung je Grad
"Aktuell laufen die allermeisten Heizungen einfach den ganzen Tag durch - egal ob die Wärme wirklich gebraucht wird. Das hat ein großes Potenzial", so der Experte. Rein rechnerisch könnten Haushalte mit jedem Grad Raumtemperatur rund sechs Prozent Heizenergie einsparen.
Zudem empfehlen die Verbraucherschützer, die Heizung regelmäßig zu entlüften und nicht durch Möbel zu verdecken. Staub und Flusen können demnach ebenfalls die Wärmeabgabe mindern. Des Weiteren könne die Dämmung von Rohrleitungen vielerorts verbessert werden. Auch das richtige Lüften - also ein möglichst weites Öffnen der Fenster für wenige Minuten - dürfe nicht unterschätzt werden.
"Wir haben festgestellt, dass im Schnitt jeder Nutzer durch sein Verhalten im Jahresverlauf locker zehn Prozent Gas einsparen kann", resümiert Brandis. Zwar betrage der der Gasabsatz im Sommer schätzungsweise unter 20 Prozent des Gesamtverbrauchs. Somit seien die Maßnahmen außerhalb der Heizperiode weniger wirksam. Dennoch gelte: "Jede Kilowattstunde zählt."