Bahnfahren während des Streiks Schöne Landschaften und manche Überraschung
Wer Bahn fahren muss, braucht starke Nerven. Diesen Satz hört man diese Tage immer wieder. Wie ist es, wenn man während des Streiks von Köln nach München muss?
So viel habe ich von Deutschland schon lange nicht mehr gesehen. Gemütlich schlängelt sich der ICE 2405 von Köln nach München den Rhein entlang. Wir sind irgendwo hinter Mainz. Wie wir hierhergekommen sind? Keine Ahnung, denn bis Frankfurt waren wir noch auf der Schnellstrecke, die Route, die der ICE immer nimmt, wenn nicht gestreikt wird. Nun fühlt es sich ein bisschen so an wie früher, als man übermüdet nachts in den Fernseher glotzte und sich "Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands" reinzog.
Inzwischen gibt der Zugchef eine Verspätung von 95 Minuten durch, vor kurzem war noch von 40 Minuten die Rede. Offenbar wurde die Streckenführung geändert. Darmstadt hatte ich bislang noch nie auf meiner Reise nach München gesehen; spielt aber auch keine große Rolle, denn wir fahren nur durch. Der Halt entfällt, das Stellwerk wird bestreikt.
Der Bahnsteig in Köln bietet denselben Anblick wie an den vorangegangenen Streiktagen: gähnende Leere.
Züge sind fast leer
Lange hatte ich mir überlegt, ob ich diese Reise antreten soll. Aus allen Radios, Handys, Fernsehern kamen die Warnungen: "Nichts geht bei der Bahn". Vorsichtig sehe ich im Internet mal nach. Vier durchgehende Verbindungen von Köln nach München kann ich finden.
Völlig überraschend lässt sich die Sitzplatzreservierung öffnen, und - noch überraschender - sind die Züge fast leer. Haben sich wirklich alle abschrecken lassen? Nun bin ich motiviert, reserviere Sitze auf drei Verbindungen und packe meine Sachen. Vorsichtshalber nehme ich mir viel Arbeit mit, man weiß ja nie.
Reporter Jens Eberl ist am Kölner Hauptbahnhof noch gespannt, was auf ihn zukommt, wenn er mit dem Zug nach München fährt.
Am Kölner Bahnhof sehe ich dann die Bilder, die auch jeden Tag im Fernsehen zu sehen sind. Leere Bahnhofshalle, leere Bahnsteige. Auf der Anzeigentafel steht, dass mein Zug eine Verspätung von 18 Minuten hat. Neben dem Infopoint werde ich mit einem Kaffee begrüßt - so könnte die Bahnfahrt immer beginnen.
Am Servicepoint gibt's ein Heißgetränk: Die Bahn versucht, ihre wenigen Kunden mit Kaffee zu beschwichtigen.
Zug wird oft umgeleitet
Auf Gleis 6 fährt der Zug dann doch früher ein als angekündigt. Die Wagen sind genauso leer, wie es mir das Internet versprochen hat. Mein Platz ist so ziemlich der einzige, der reserviert ist. Auf der Fahrt komme ich ins Gespräch mit meinen Sitznachbarn. Schräg gegenüber sitzt ein junges Pärchen aus El Salvador. Die beiden haben sich eine dreimonatige Auszeit genommen. Eigentlich wollten sie schon vor einigen Tagen von Köln nach Stuttgart fahren, aber sie hatten nur Verbindungen gefunden, auf denen man oft umsteigen musste. Das war ihnen zu riskant. Heute versuchen sie es.
Rafael Deras fragt mich, was die Landwirte denn davon hätten, wenn die Bahn streikt. Ich muss ihm erst einmal erklären, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat und wir gerade mehrere strittige Themen in Deutschland haben. Dann erzählt er mir, wie schön Deutschland sei - und die Menschen so freundlich. Etwas verwundert sei er über die Strecke, die der Zug nimmt, das sei außergewöhnlich für Deutschland.
Rafael Deras und Gabriela Mozo lernen auf ihrer Zugfahrt viel über Deutschland.
Panoramatour durch Deutschland
Das ist aber nur wegen des Streiks so. Wie wir bei der Borddurchsage erfahren, musste der Zug viele Umwege in Kauf nehmen, um bestreikte Stellwerke zu umfahren.
Der Monitor, der normalerweise die Wegstrecke anzeigt, ist inzwischen überfordert, es ist nur noch ein weißes Bild zu sehen. Rafael Deras und seine Freundin Gabriela Mozo bekommen dank Streik eine Panoramatour durch Deutschland. Die war aber ziemlich teuer für die beiden. Die vergangenen Wochen sind sie mit dem Deutschlandticket durch das Land gereist. Jetzt müssen sie fast 150 Euro pro Person für die einfache Fahrt nach Stuttgart bezahlen.
Eine Reise quer durchs Land: ein bisschen wie "die schönsten Bahnstrecken Deutschlands".
Zwei Plätze weiter sitzt ein Ehepaar aus Bobingen. Die beiden waren mit der Familie ihres Sohnes vergangenen Samstag zum Ferienende nach Köln gefahren. Nun müssen sie irgendwie zurückkommen. "Vorgestern habe ich geschaut, welche Züge noch fahren, unserer war gestrichen worden. Statt 9.28 Uhr ist die Abfahrt jetzt um 10.55 Uhr. Aber das ist mir egal", sagt Hans Hackl. Seine Frau Anneliese ergänzt: "Ich habe mir etwas Sorgen gemacht, dass der Zug übervoll wird. Beim Einsteigen war ich überrascht, wie leer er ist." Auf der Hinfahrt sei es deutlich voller gewesen.
Anneliese und Hans Hackl haben es glücklicherweise nicht eilig, von Köln nach Bobingen zu kommen.
Hauptsache ankommen
Mittlerweile hält der Zug immer häufiger. Zwischen Darmstadt und Ludwigshafen steht er mehr als eine halbe Stunde. Diesmal ist aber nicht der Streik schuld. Laut Borddurchsage sind Personen im Gleis. Inzwischen liegt die Verspätung bei 105 Minuten.
"Mich wundert es, dass wir ständig rückwärts und vorwärts fahren. Ich komme mir vor wie im Bummelzug", sagt Anneliese Hackl. Ihr Mann ist froh, einen frühen Zug genommen zu haben. "Ich will einfach nur heute noch ankommen, der Rest ist nicht so wichtig", sagt er schmunzelnd. Von Augsburg nach Bobingen steigen die beiden auf den Zug eines Privatunternehmens um. "Da wird nicht gestreikt, das klappt", ist Hans Hackl überzeugt.
Der Zug ist leer - und erreicht sein Ziel am Ende mit anderthalb Stunden Verspätung.
Bei Verspätung: Geld zurück
Das Pärchen aus El Salvador hat es geschafft. Wir sind in Stuttgart angekommen. Beim Aussteigen mache ich die beiden noch darauf aufmerksam, dass sie bei Verspätung Geld zurückbekommen. 25 Prozent, wenn es mehr als 60 Minuten sind. Sie bedanken sich und versprechen mir, ein Bier auf mich zu trinken.
Gute Idee, denke ich mir und gehe ins Bordbistro. Doch mein Bier bleibt erst einmal ein Wunsch. Leider hat das Bordbistro inzwischen geschlossen. Streik! Immerhin stehen Tetrapaks mit Wasser neben der Theke. Und mit 90 Minuten Verspätung habe ich es dann am Ende auch bis nach München geschafft. Hier schmeckt das Bier eh besser.