Zehn Jahre Foodsharing Spitzkohl möchte gerettet werden
1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel werden pro Jahr weggeworfen, warnen die Vereinten Nationen. Der Verein Foodsharing versucht seit zehn Jahren, Lebensmittel vor dem Müll zu retten.
"Salat, etwas Gemüse und Obst", schreibt Ute. "Massenhaft Backwaren im Rad. Kommt retten", schreibt Stephanie. "Es gibt Backwaren und Obst im Bike", schreibt Sonja. Alles aktuelle Beiträge auf der Internetseite von Foodsharing. Die Lebensmittel finden sich in Köln-Ehrenfeld am Rochusplatz. Hier steht ein unscheinbares Rad an einem Zaun. Dort haben es die verantwortlichen Foodsaver angeschlossen. In zwei großen Boxen am Lenkrad und auf dem Gepäckträger spenden die Retter regelmäßig Lebensmittel, die sonst weggeschmissen würden.
An diesem sogenannten "Fairteiler" darf jeder die Spenden kostenlos mitnehmen. Öffentlich zugängliche Regale und Kühlschränke stehen allen zur Verfügung. "Wir haben uns bewusst entschieden, dass wir keine Bedürftigkeitsnachweise verlangen", sagt Valentin Thurn vom Verein Foodsharing, "weil wir dadurch auch Studierende, Flüchtlinge erreichen und auch viele, die sich aus Scham nicht zur Tafel in die Schlange stellen wollen."
Ehrenamtliche retten Essen
Der Verein wurde 2012 von einer Gruppe um den Dokumentarfilmer Thurn in Köln ins Leben gerufen, der ein Jahr zuvor mit dem Film "Taste the Waste" für Aufsehen gesorgt hatte. Seitdem haben registrierte Foodsaver in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach eigenen Angaben mehr als 82 Millionen Kilogramm Lebensmittel erfolgreich vor dem Abfall gerettet.
Ein Netzwerk von Ehrenamtlichen bildet das Rückgrat der Foodsharing-Initiative. Diese holen die Lebensmittel von teilnehmenden Betrieben in der jeweiligen Region ab und bringen sie zu den diversen Fairteilern. Belegte Brötchen, Salate, Bananen oder Radieschen sind keine Seltenheit. Vieles lässt sich im Handel zwar nicht mehr verkaufen, aber noch essen. "Viele der Ehrenamtler zählen eigentlich selbst zum Kreis der Bedürftigen", sagt Thurn. "Die sind darauf angewiesen, dass ihr Budget entlastet wird. Die bringen sich ein und wollen auch der Gesellschaft etwas zurückgeben und bewahren sich dadurch ihren Stolz und ihre Würde."
Auch wenn sich das öffentliche Problembewusstsein zum Thema geändert habe und Unternehmen sich zu weniger Verschwendung verpflichten würden, reicht das nicht, findet Thurn. "Wir schmeißen ein Drittel unserer Lebensmittel weg in Deutschland. Das ist zu viel. In diesen Zeiten ist das unmoralisch", beklagt er. Dabei stehe an erster Stelle das Ziel, die Verschwendung von Lebensmitteln bis zum Jahr 2030 zu halbieren und in der Folge zu beenden. Hier wähnt sich die Initiative auf einem guten Weg: Nach eigenen Angaben hat Foodsharing ein Bewusstsein geschaffen für Lebensmittelverschwendung.
Foodsharing als Graswurzelbewegung
Mit ihrer Mission wollen sie die Probleme der globalisierten Weltwirtschaft und den "Irrsinn der Überflussgesellschaft" erlebbar und sichtbar machen. "Das Ziel sollte sein, dass wir als Bewegung am Ende überflüssig sind. Der Staat sollte sich hier verantwortlich fühlen und Armut verhindern", sagt Thurn. Seit zehn Jahren verteilen nun aber Menschen ehrenamtlich und kostenfrei von privat zu privat im Bekanntenkreis, der Nachbarschaft, in Obdachlosenheimen oder über die Plattform foodsharing.de. Und das funktioniert bundesweit in vielen Städten wie Wuppertal, Dortmund oder in Hamburg. Die Einsätze, berichtet Thurn, schaffen eine soziale Nähe und stärken den Zusammenhalt im Kleinen. "Das hat sich als Graswurzelbewegung von selbst ausgebreitet. Wir haben mit nicht viel Kapital begonnen."
Nach eigenen Angaben verbindet die unkommerzielle Plattform bundesweit schon 35.000 Freiwillige. Dabei soll es nicht zur Konkurrenz mit den Tafeln kommen. Seit 2015 besteht deshalb eine offizielle Kooperation. "Wir haben ein anderes Konzept gewählt. Die Tafel macht einen tollen Job. Da, wo die Tafel erfolgreich abholt und arbeitet, da mischen wir uns nicht ein", sagt Thurn. Nach zehn Jahren Foodsharing müsse noch viel passieren: Steuerliche Hürden für Lebensmittelspenden müssten abgebaut und die Spender selbst von der Haftung befreit werden. Solche Gesetze könnten wirken, sagt die Initiative. Denn Länder wie Frankreich oder Italien haben seit 2016 neue Regelungen eingeführt, und seitdem würden dort weniger Lebensmittel verschwendet.