Ex-Manager Bellenhaus vor Gericht "Wirecard war ein Krebsgeschwür"
Ex-Manager Bellenhaus hat Wirecard vor Gericht als "System des organisierten Betrugs" bezeichnet. Vorstandschef Braun habe "absolutistisch" geherrscht. Brauns Anwalt kündigte an, sein Mandant werde im Januar aussagen - vorbehaltlich.
Im Wirecard-Prozess hat der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft den früheren Vorstandschef Markus Braun als maßgebliche Figur bei jahrelangem Milliardenbetrug beschuldigt. "Wirecard war ein Krebsgeschwür", sagte der mitangeklagte Manager Oliver Bellenhaus vor dem Landgericht München. "Es gab ein System des organisierten Betrugs."
Braun sei ein "absolutistischer CEO" gewesen, sagte Bellenhaus. "Wenn er etwas sagte, wurde es so gemacht." Er bezeichnete das Unternehmen als System der Unterwürfigkeit.
Braun und Bellenhaus sitzen beide seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft, dritter Angeklagter ist der frühere Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen und weiteren Beschuldigten vor, eine kriminelle Betrügerbande gebildet und mit erfundenen Gewinnen die Kreditgeber des 2020 zusammengebrochenen Dax-Konzerns um 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben.
"Braun sieht sich als Opfer"
Braun bestreitet die Vorwürfe. "Er sieht sich als Opfer, und das ist ein bekanntes Muster", sagte Bellenhaus über seinen früheren Chef. Blinde Loyalität zu Braun und dem seit zweieinhalb Jahren flüchtigen früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek habe ihn das Gesetz brechen lassen und ins Gefängnis gebracht.
Bellenhaus war Statthalter von Wirecard in Dubai. Er hatte sich bereits kurz nach der Pleite von Wirecard im Sommer 2020 den Behörden gestellt und gegenüber der Staatsanwaltschaft umfassend ausgesagt. Anwälte des 49-Jährigen hatten für ein Geständnis ihres Mandanten vor Gericht einen Strafnachlass und seine Entlassung aus der Untersuchungshaft verlangt. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft hatten dies aber abgelehnt.
Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm beschuldigte Bellenhaus, er sei als Kronzeuge unglaubwürdig und habe während der Ermittlungen die Veruntreuung von Millionensummen verschwiegen.
Braun will aussagen - unter Vorbehalt
Dierlamm kündigte zudem nun doch eine Aussage von Braun in der zweiten Januarhälfte an - allerdings nur, falls das Gericht dem noch offenen Antrag der Verteidigung auf Aussetzung des Verfahrens nicht folge. Ursprünglich hatte Braun bereits in der vergangenen Woche aussagen sollen; wegen neuer Beweismittel, die die Staatsanwaltschaft nachgereicht hatte, tat er es dann aber doch nicht.
Dierlamm erweiterte vor Gericht seinen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens. Die von der Staatsanwaltschaft noch nach der Anklageerhebung geführten Ermittlungen seien "ein Fass ohne Boden", sagte er. Die Verfahrenssituation sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar, weshalb das Verfahren ausgesetzt werden müsse.
Er begründete dies damit, dass die Anklage noch nach Eröffnung des Hauptverfahrens im großen Stil Beweismittel nachliefere, was eine Verteidigung unmöglich mache. So habe die Verteidigung nach dem zweiten Verhandlungstag 11.000 PDF-Seiten und mehr als 8000 E-Mails erhalten, die nun gesichtet werden müssten. Wie der Vorsitzende Richter Markus Födisch jedoch sagte, wird über den Aussetzungsantrag wahrscheinlich in diesem Jahr nicht mehr entschieden.
Einer der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegszeit
Der Wirecard-Skandal gilt als einer der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Nachkriegszeit. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft erfand die Konzernführung Umsätze, um sich Milliardenkredite von Banken zu sichern. Das damals im DAX gelistete Unternehmen ging Mitte 2020 pleite, in den damaligen Bilanzen ausgewiesene 1,9 Milliarden Euro gelten als verschwunden.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren lauten auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, Marktmanipulation und unrichtige Darstellung. Das Gericht hat zunächst gut 100 Verhandlungstage für den Prozess angesetzt.