Anklage gegen Ex-Wirecard-Chef Wie viel wusste Markus Braun?
Im Wirecard-Skandal hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den früheren Vorstandschef Braun und zwei weitere frühere Top-Manager erhoben. Die Verteidigung widerspricht der Anklage vehement.
Dass eine Ermittlungsbehörde eine Pressemitteilung über die gerade erhobene Anklage zunächst für die ausführliche Würdigung ihrer eigenen Arbeit nutzt, kommt so oft nicht vor: Die Staatsanwaltschaft München I weist in ihrer siebenseitigen Stellungnahme gleich zu Beginn darauf hin, dass ein überaus komplexer Sachverhalt aufzuklären war. "Akribische Kleinarbeit" im In- und Ausland habe eine extra eingerichtete Sonderkommission geleistet, "450 Vernehmungen wurden durchgeführt", so die Ermittlungsbehörde.
700 Aktenbände
"Damit Sie eine Vorstellung haben: Die Akten umfassen über 700 Aktenbände", sagt die Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft, Anne Leiding, später in einem kurzen Statement. Ihre zentrale Botschaft: Der frühere Wirecard-CEO Markus Braun wird sich wohl in einem Prozess verantworten müssen.
Darüber entscheiden muss allerdings die 4. Strafkammer des Landgerichts München I. Sie hat die bereits am vergangenen Donnerstag erhobene Anklage erhalten. Diese richtet sich gegen Braun sowie zwei weitere führende Manager des insolventen Zahlungsdienstleisters: Gegen den ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von E. und gegen Oliver B., den Statthalter von Wirecard in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate).
Mehrjährige Haftstrafen drohen
Die gegen Braun, B. und von E. erhobenen Vorwürfe wiegen schwer: "Marktmanipulation und Untreue - begangen gewerbs- bzw. bandenmäßig." Sollte es zu einem Prozess kommen, drohen den Angeklagten mehrjährige Haftstrafen. Konkret werfen die Ermittler ihnen vor, maßgeblich daran beteiligt gewesen zu sein, dass der Aschheimer Zahlungsdienstleister für die Jahre 2015 bis 2018 falsche Bilanzen vorgelegt hat.
Wirecard habe Erlöse aus Geschäften mit ausländischen Drittpartnern unter anderem "auf Treuhandkonten in Singapur verbucht und in die Bilanz aufgenommen", so die Staatsanwaltschaft weiter. Nach Überzeugung der Behörde haben diese Umsätze aber nie existiert.
Erheblich geschönte Zahlen
"Mit der Veröffentlichung der erheblich geschönten Zahlen wollten die Beteiligten gegenüber den Anlegern den Eindruck erwecken, dass es sich bei der Wirecard AG um ein geschäftlich erfolgreiches und zahlungskräftiges Unternehmen handelte", teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit.
Vor diesem Hintergrund begründen die Ermittler auch ihren Vorwurf des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. So habe sich der frühere DAX-Konzern von Banken Kredite und Schuldverschreibungen in Höhe von 3,1 Milliarden Euro gewähren lassen und diese mit den jeweils aktuellen Geschäftszahlen unterfüttert - "die, wie alle Angeschuldigten wussten, grob falsch waren".
Braun-Verteidigung weist Vorwürfe zurück
Die Verteidigung von Markus Braun weist diese Vorwürfe "vollumfänglich" zurück. Der frühere Wirecard-CEO "war nie Teil einer Bande, die Millionensummen hinter seinem Rücken veruntreut hat", teilte Braun-Sprecher Dirk Metz in einer schriftlichen Stellungnahme mit. Dieser habe von der "Existenz dieser Schattenstruktur (…) erst aus den Akten erfahren".
Schon seit vielen Wochen lässt Braun immer wieder über seine Verteidiger verbreiten, dass Wirecard über Jahre mit ausländischen Drittpartnern hohe Umsätze erzielt hat. Allein zwischen 2016 und 2020 seien auf deren inländischen Konten "Umsätze von knapp einer Milliarde Euro" eingegangen. Dass die Staatsanwaltschaft trotzdem an der gegenteiligen These festhalte, macht die Braun-Verteidigung "fassungslos". Sie wirft den Ermittlern deswegen "Versäumnisse und Defizite in der Sachverhaltsaufklärung" vor.
Der frühere DAX-Konzern Wirecard hatte am 25. Juni 2020 Insolvenz angemeldet, nachdem 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf einem philippinischen Treuhandkonto des Unternehmens liegen sollten, nicht mehr auffindbar waren. Hauptverantwortlich dafür, so die Überzeugung vieler Beobachter und Unternehmens-Kenner, ist Jan Marsalek. Der frühere Wirecard-Vorstand war wenige Tage vor der Wirecard-Pleite untergetaucht und ist seitdem auf der Flucht. Nach ihm wird weltweit gefahndet.
Möglicher Prozessbeginn im Herbst
Die Staatsanwaltschaft betonte, dass ihre Ermittlungen trotz der jetzt vorgelegten Anklage noch nicht abgeschlossen sind. Da zumindest bei Markus Braun eine weitere turnusmäßige Haftprüfung angestanden hat, war die Behörde unter Zugzwang geraten, die Anklage zügig vorzulegen. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft könnte ein Prozess gegen Braun im Herbst beginnen. "Das ist wahrscheinlich eine gute Prognose, aber ich will dem Gericht nicht vorgreifen", so Sprecherin Leiding.