Firmenkultur im Silicon Valley Die Beweglichkeit der Tech-Konzerne
Konzerne wie Google oder Netflix begannen als Start-up und sind heute Großkonzerne. Doch in der Firmenkultur haben sie Ideen aus den Gründungsjahren bewahrt. Was ist das Geheimnis ihres Erfolges?
Längst sind Google, Facebook, Netflix und Hunderte andere Tech-Unternehmen im Silicon Valley keine kleinen Start-Ups mehr. Allein der Google Mutterkonzern Alphabet beschäftigt weltweit mehr als 150.000 Menschen. Bei Facebook sind es 45.000, bei Netflix 12.000. Dennoch haben sich viele Unternehmen hier im Silicon Valley, wenige Kilometer südlich von San Francisco, ihre eigene Führungskultur bewahrt.
"Lieblingsbeispiel" Netflix
"Viele der Gründer haben einen dauerhaften Einfluss auf ihre Organisationen ausgeübt", sagt die Organisationspsychologin Jennifer Chatman, die als Professorin an der Universität von Berkeley lehrt. "Manche aus strukturellen und strategischen Gründen, weil sie für sehr lange Zeit Chef des Unternehmens waren. Andere haben aber wirklich gute Arbeit geleistet, indem sie ein Höchstmaß an Beweglichkeit in die Unternehmenskultur eingewoben haben: die Idee nämlich, dass ein Teil des Erfolgs auf Agilität beruht. Lässt diese nach, leidet der Erfolg."
Beim Thema Führung gehe es bei den Tech-Unternehmen des Silicon Valley meist um die Frage, ob diese Firmen zentral oder dezentral organisiert seien, sagt Chatman. "Mein Lieblingsbeispiel ist Netflix. Vorstandschef Reed Hastings ist hier führend. Er hat eine Kultur geschaffen, die auf persönlicher Verantwortung und Rechenschaftspflicht der Mitarbeitenden beruht. Es ist außergewöhnlich, wie sehr Netflix diese Elemente betont."
Flache Hierarchien können überfordern
Die Verantwortung der einzelnen Mitarbeitenden geht bei Netflix sogar so weit, dass sie selbst entscheiden können, wie viel Urlaub sie nehmen wollen. Die wenigsten Angestellten der Videoplattform aus Los Gatos haben eigene Büros. Netflix-Chef und Gründer Hastings legt Wert darauf, dass das für ihn genauso gilt.
Doch dieses Konzept der Eigenverantwortung und Selbstorganisation stößt an Grenzen. Zum Beispiel zu Beginn der Pandemie, erzählt Psychologin Chatman. Da hätten die Netflix-Mitarbeitenden sich gewünscht, dass ihr Vorstandschef Hastings mehr die Chefrolle übernimmt und ins Unternehmen kommuniziert. "Hastings hat offenbar befürchtet, dass dadurch das Führungskonzept von flachen Hierarchien und geringer Distanz zwischen Vorstand und Mitarbeitenden untergraben werden könnte", sagt Chatman. "Er wollte vermeiden, dass all die Nachrichten, die plötzlich aus dem Büros des obersten Chefs kommen, den Angestellten das Gefühl der Distanz geben und letztlich die Eigenverantwortung leidet."
Die Organisationspsychologin Jennifer Chatman, Professorin an der Universität Berkeley, hat sich mit den Organisationsstrukturen der großen Tech-Konzerne auseinander gesetzt.
Wettbewerbsvorteil Flexibilität
Auch das Suchmaschinen-Unternehmen Google ist stark dezentral organisiert. Das haben die beiden Gründer Larry Page und Sergei Brin von Anfang an so festgelegt. "Entscheidungen sollen dort fallen, wo etwas passiert. Experten sagen allerdings, solch ein Modell kann ziemlich teuer werden, weil es oft für Doppelstrukturen in der Firma sorgt", so die Berkeley-Professorin Chatman. Der Vorteil dieser Organisationsstruktur und der damit verbundenen flachen Hierarchien sei eine hohe Flexibilität, um auf die Markterfordernisse reagieren zu können. Auch der Onlinehändler und Cloudanbieter Amazon sei ähnlich aufgebaut.
Chatman räumt allerdings ein, dass diese Beispiele auch im Silicon Valley die Ausnahme seien. "Ehemalige Start-ups vor 20 oder 30 Jahren sind heute normale Unternehmen mit vielen Hierarchie-Ebenen. Dadurch haben Mitarbeitenden weiter unten oft das Gefühl, dass ihr Einsatz verpufft. Für diese Firmen ist es schwierig, die Leute bei der Stange zu halten und zu motivieren, ihr Bestes zu geben."
Neue Ideen als Erfolgsgarant
Auf der anderen Seite des Spektrums stehen für Chatman Konzerne mit narzisstischen Führungspersönlichkeiten. Larry Ellison, der Gründer des Datenbank-Unternehmens Oracle, sei dafür ebenso ein Beispiel wie Tesla-Chef Elon Musk. "Hier ist die Unternehmenskultur weniger kooperativ", sagt die Expertin. "Es gibt weniger neue Ideen. Bei Entscheidungen zu ethischen Fragen werden die Grenzen meist ausgereizt. Narzissten an der Spitze benötigen viel Aufmerksamkeit. Sie nehmen ihren Angstellten oft Ideen weg - und damit die Anerkennung."
Gute Führungskultur, selbst mit vielen Hierarchie-Ebenen, zeichnet sich nach Meinung der Psychologin dadurch aus, dass die jeweilige Organisation trotz Überbau ständig neue Ideen produziert.