Öffentlicher Dienst "Teuerster Tarifabschluss aller Zeiten"
Die Gewerkschaften sprechen von der größten Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte. Die Kommunen beklagen den teuersten Tarifabschluss aller Zeiten. Die Einigung im öffentlichen Dienst birgt nicht nur für Städte und Gemeinden Probleme.
Vertreter der Kommunen haben die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst als hohe finanzielle Belastung ihrer Haushalte eingestuft. "Unterm Strich ist es für die Städte ein sehr teurer, aber gerade noch machbarer Kompromiss", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, der Nachrichtenagentur dpa.
Es gebe aber nun Planungssicherheit bis Ende 2024. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sprach zwar von einem "guten Kompromiss". Er fügte aber hinzu: "Mit rund 17 Milliarden Euro ist das der teuerste Tarifabschluss aller Zeiten. Dies trifft gerade die Kommunen, die ohnehin unter einer schwierigen Finanzlage leiden, hart."
Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, hob hervor, dass der öffentliche Dienst seine Attraktivität als Arbeitgeber stärke und die Leistungen seiner Mitarbeiter anerkenne. "Allerdings haben die Gewerkschaften deutlich zu wenig im Blick, dass es den Kommunen gerade bei qualifizierten Fachkräften wie Ingenieuren, Ärzten und IT-Verantwortlichen immer schwerer gelingt, Personal zu halten und zu gewinnen."
Die Einigung sorge für überproportionale Zuwächse bei unteren Lohngruppen. Sager sprach angesichts der zusätzlichen Personalkosten von einer "Hypothek, die wichtige Investitionen in anderen Zukunftsfeldern deutlich erschweren wird".
Insgesamt geht die Präsidentin der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge, von zusätzlichen Kosten für Städte und Gemeinden von 17 Milliarden Euro während der gesamten Laufzeit des neuen Tarifvertrags aus. Auch Welge sprach vom "teuersten Tarifabschluss aller Zeiten. Die kommunalen Arbeitgeber seien bis an die finanzielle Belastungsgrenze gegangen.
Esken spricht von "starkem Signal"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einem guten und fairen Tarifabschluss in schweren Zeiten. Mit Blick auf die Haushaltslage sei zugleich ein verantwortbarer Tarifabschluss erreicht worden. Werde der Abschluss auch auf die Beamten übertragen, lägen die Kosten für den Bund ihren Angaben zufolge bei insgesamt 4,95 Milliarden Euro.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken lobte die Einigung als "ein starkes Signal für die 2,5 Millionen Beschäftigten gerade in Zeiten von Inflation und hohen Energiepreisen". Insbesondere für die niedrigen Einkommen bringe die Einigung eine wesentliche Verbesserung, sagte sie den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Deutlich kritischer bewertete Die Linke den gefundenen Kompromiss. "Diese Tarifeinigung bedeutet trotz der Inflationsausgleichszahlung für viele Beschäftigte angesichts der Preisexplosion bei Lebensmitteln, steigender Mieten und hoher Energiepreise einen Reallohnverlust", sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch den Zeitungen des RND. "Das überschreitet Schmerzgrenzen."
Die Gewerkschaften halten die Einigung für vertretbar. Ver.di-Chef Frank Werneke sagte: "Das ist die größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst." Das Ergebnis sei ein Kompromiss mit Stärken, "aber auch mit Dingen, die uns schwergefallen sind", so Werneke. Für untere Entgeltgruppen bringe der Tarifabschluss zum Ende der Laufzeit eine Steigerung von 16 Prozent, für andere "wichtige Mitgliedergruppen von über elf Prozent".
Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes könnten mit dem Ergebnis leben, sagte Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach. Ab März 2024 werde es Einkommenserhöhungen von monatlich mindestens 340 Euro geben. Zuvor helfe die steuerfreie Inflationsausgleichsprämie "erst mal über den Berg".
Ökonomen warnen vor Folgen für Kommunen
Ökonomen hoben unterschiedliche Aspekte der Tarifeinigung hervor. "Alles in allem fällt das Lohnplus für den öffentlichen Dienst verglichen mit der Privatwirtschaft nicht völlig aus dem Rahmen", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer der Nachrichtenagentur Reuters.
Nach dem Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation sei klar gewesen, dass die Löhne auch im öffentlichen Dienst deutlich steigen werden. "Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Kommunen einen Teil der gestiegenen Arbeitskosten durch höhere Gebühren an die Bürger weitergeben werden - ähnlich agieren die Unternehmen", fügte Krämer hinzu.
BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels geht davon aus, dass der Tarifabschluss bei der Europäischen Zentralbank die Alarmglocken läuten lassen wird. Denn dieser "erhöht durchaus die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale und dürfte der EZB Kopfzerbrechen bereiten", sagte Michels. Auch wenn ein großer Teil der Einigung gestaffelte Einmalzahlungen und daher kein dauerhafter Lohnkostentreiber seien, dürften in der Folge Abgaben und Gebühren stärker steigen.
Auf die Kommunen kommen nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) massive finanzielle Belastungen zu. Die geschätzten Mehrkosten von 17 Milliarden Euro werden laut DIW-Präsident Marcel Fratzscher "zu weiteren Einschränkungen der Daseinsvorsorge führen".
Seit mehr als 20 Jahren sei fast jede dritte Kommune in Deutschland nicht in der Lage, die Daseinsvorsorge ausreichend zu gewährleisten. "Die Krise der Kommunen wird sich solange weiter verschärfen, bis die Politik eine dringend notwendige Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs und eine bessere finanzielle Ausstattung und eine Entschuldung der Kommunen umsetzt", sagte Fratzscher.