Barzahlung im Kleingewerbe Wenn der Kassenbon die Ausnahme ist
Zwei Brötchen, ein Kaffee - kleine Summen werden oft in bar bezahlt. Das sei eine Einladung zur Steuerhinterziehung, sagen Experten. Der Schaden für Steuer- und Finanzkassen geht offenbar in die Milliarden.
Es sind nur zwei Schokoriegel, die auf dem Tresen liegen, der Gesamtpreis lässt sich eigentlich leicht addieren - aber die Verkäuferin holt erst einmal einen Taschenrechner hervor. 2.25 Euro erscheint auf dem Display, das sie wortlos zeigt. Eine alltägliche Szene in Berlin, egal ob in einem der zahlreichen Spätverkaufs-Kioske - kurz "Spätis" genannt - oder beim Bäcker, in Bistros oder Restaurants. Von Bonpflicht keine Spur.
Die Riegel sind bezahlt. Die Frage nach einem Kassenbon scheint die Dame zunächst nicht zu verstehen. Nach mehrfachem Nachfragen geht sie dann in eine Ecke hinter der Theke und tippt etwas in eine Kasse ein. Schließlich reicht sie einen Bon herüber. "Bitte schön." - "Danke schön."
Verdacht: Steuerhinterziehung
Dass viele kleinere Läden es mit der Pflicht zur Belegerstellung nicht so genau nehmen, habe einen Grund, sagt Florian Köbler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG): "Der Verdacht lautet ganz klar: Steuerhinterziehung." Dass Kunden in der Regel keinen Bon erhielten, sei nur die Spitze des Eisbergs.
Wo nicht ordnungsgemäß abgerechnet und verbucht werde, herrsche eine illegale Schattenwirtschaft - quasi in aller Öffentlichkeit beim Bäcker oder Kiosk in der Nachbarschaft. Wenn die Finanzämter jemanden beim Betrug erwischten - was selten genug der Fall sei -, zeige sich eine Faustregel, nach der häufig vorgegangen werde. "Zwei Drittel legal, ein Drittel Cash und ohne Steuern", fasst Köbler die Erkenntnisse zusammen.
Die Belegausgabepflicht, umgangssprachlich auch Bonpflicht, ist zum 1. Januar 2020 eingeführt worden. Sie soll Manipulation bei der Kassenabrechnung verhindern. Unternehmen mit einem elektronischen Kassensystem müssen ihren Kundinnen und Kunden einen Kassenbon ausstellen. Kunden müssen den Bon allerdings nicht mitnehmen. Gültig sind auch elektronische Belege, die dem Kunden zugestellt werden, zum Beispiel per E-Mail. Das muss das Kassensystem aber können. Für Kleinunternehmer, die eine offene Ladenkasse haben, gilt die Bonpflicht nicht. Wenn Kunden allerdings eine Quittung verlangen, muss der Betrieb eine solche ausstellen.
Kaskade des Betrugs
Hinter der Umgehung der Bonpflicht stehe eine ganze Kaskade des Betrugs: "Es wird in der Regel Umsatzsteuer hinterzogen, Ertragssteuern wie Einkommenssteuer oder Körperschaftssteuer", sagt Köbler. Zudem würden die Angestellten meist vollständig oder zumindest anteilig in bar bezahlt. "Über diesen Vorgang wird Lohnsteuer hinterzogen, aber natürlich auch gesetzliche Sozialabgaben."
In den recht seltenen Fällen einer Tiefenprüfung stelle sich zudem oft heraus, dass der Mindestlohn nicht eingehalten werde, die Angestellten also zu Dumpinglöhnen arbeiteten - jedoch ohne Steuern oder Abgaben zu zahlen. Köbler sagt: "Und was wir in Fahndungsfällen sehr häufig beobachten, ist, dass die Angestellten überhaupt nicht angemeldet sind, so dass sie auch noch Bürgergeld beziehen, obwohl sie tagtäglich arbeiten."
Trick in Restaurants: eine "Zwischenrechnung"
Die Masche mit dem Bargeld scheint vor allem in kleinen, inhabergeführten Geschäften verbreitet: Bäckereien, Imbisse, Kioske und "Spätis" also. Doch auch in Restaurants wird schwarz abkassiert - sogar mit Bon. "Da steht dann so etwas wie 'Zwischenrechnung' drauf", berichtet Köbler. Die Einnahmen würden aber letztendlich nicht im System verbucht, sondern wieder aus der Kasse gelöscht.
Unterm Strich, so schätzt die DSTG, ergebe sich jedes Jahr eine Schadenssumme, die höher liegt als die beim CumEx-Steuerskandal. Köbler beziffert die mutmaßlichen Summen, die in vielen kleinen Unternehmen durch Unterschlagung der Mehrwertsteuer und Folgetaten zusammenkommen, so: "Allein an Steuern dürften dem Staat 15 Milliarden Euro pro Jahr entgehen. Und Sozialabgaben und Folgewirkungen, da können 70 Milliarden Euro gut und gerne zusammenkommen."
Prüfer kommen nicht hinterher
Das Problem sei, dass die Prüfer nicht hinterher kämen, all die kleinen Läden unter die Lupe zu nehmen. Die Untersuchung einer einzigen Kasse könne unterm Strich bis zu zwei Tage dauern. Wie oft geprüft wird, obliegt den Ländern. Niedersachsen etwa gilt als Positivbeispiel, hier werde am häufigsten nachgeschaut. Berlin beispielsweise kontrolliert vergleichsweise selten.
Die DSTG hat den Bundesdurchschnitt errechnet: Wie oft muss ein Kleinunternehmer, der Bareinnahmen verbuchen soll, mit einer Kontrolle rechnen? Köbler: "Ungefähr alle 70 bis 100 Jahre. Also das heißt: faktisch nie."
In Berlin - wo der Taschenrechner in vielen Spätis, Bäckern und Bistros ein übliches Arbeitsmittel ist - wurden im vergangenen Jahr genau 962 Kassen-Nachschauen durchgeführt. Das entspricht einer Kontrolle pro Laden circa alle 130 Jahre. Die Senatsverwaltung für Finanzen teilt mit, man gehe "grundsätzlich sämtlichen Hinweisen nach, die auf ein steuerliches Vergehen hinweisen".
Anders ausgedrückt: Kassen werden offenbar nur kontrolliert, wenn zuvor bereits ein Hinweis auf Steuerhinterziehung vorliegt.