Ukrainische Skoda-Zulieferer Mit "Duplizierung" gegen Materialmangel
Der Krieg in der Ukraine führt dazu, dass die Lieferketten der Autoproduktion noch stärker gestört sind als zuvor. Ein wichtiger Skoda-Zulieferer mit Hauptwerk in Lwiw baut nun eine zweite Produktionsstätte in Tschechien auf.
Seit Ende März arbeitet Svitlana Kavalchuk in der Werkshalle in Mlada Boleslav. Lange hat sie gezögert, ob sie das Angebot ihres Arbeitgebers annehmen und nach Tschechien gehen sollte. "Ich konnte mich lange nicht entscheiden", sagt die 45-Jährige. "Aber am Tag vor der geplanten Abreise hat in der Nähe meiner Wohnung eine Bombe eingeschlagen, und das war der ausschlaggebende Punkt zu sagen: Ich gehe nach Tschechien."
Ihre beiden Söhne sind über 19 und mussten in der Ukraine bleiben. Bis vor wenigen Wochen war der Arbeitsplatz von Svitlana Kavalchuk noch im Hauptwerk des Unternehmens PEKM Kabeltechnik im ukrainischen Lwiw. Wegen der unsicheren Lage hat dann aber die Firmenleitung beschlossen, in Tschechien einen zweiten Produktionsstandort aufzumachen - am Skoda-Hauptsitz in Mlada Boleslav, der für den Hersteller dieselbe Bedeutung hat wie Wolfsburg für den Mutterkonzern VW. Duplizierung heißt die neue Strategie. Wer von den Beschäftigten wollte, konnte mitgehen.
Kabelstränge für mehrere Modelle entstehen in Handarbeit
"Wir haben in der ersten Märzhälfte das Angebot gemacht und Ende März waren die Mitarbeiterinnen hier. Es ging also alles recht schnell", sagt Jan Chabera, der Geschäftsführer der PEKM. 35 Mitarbeiterinnen hätten sich gemeldet, überwiegend Frauen ohne größere familiäre Verpflichtungen.
Die Firma hat für die Arbeiterinnen acht Wohnungen gemietet. Svitlana ist mit der Unterbringung zufrieden. Dass sie als Gruppe hierher gekommen sind, macht das Leben in der Fremde etwas leichter. "Wir kennen uns alle aus der Fabrik in der Ukraine, wenigstens vom Sehen her", sagt sie. "Aber ich habe auch meine beste Freundin dabei. Wir kennen uns seit 20 Jahren. Das hilft sehr, die Situation besser zu bewältigen."
In der noch halbleeren Fabrikhalle, gekauft von Skoda und vermietet an den Zulieferer PEKM, montieren sie nun Kabelstränge für mehrere Fahrzeugmodelle von Skoda. Verschiedenfarbige Kabel werden nach vorgegebenen Schemata übereinandergelegt und dann mit Isolierband verbunden. Das ist Handarbeit, die viel Geduld und Präzision erfordert. "Normalerweise haben wir in der Ukraine 30.000 bis 40.000 Kabelbäume pro Tag produziert. Jetzt, in der Tschechischen Republik, da sprechen wir über 800, 900 pro Tag", sagt Geschäftsführer Chabera.
Probleme auch bei Chips und Schaltern
Es ist erst der Anfang. Bis Ende August soll die Produktion so weit hochgefahren sein, dass die gesamte Halle genutzt wird. Mit den Kabelbäumen "made in Mlada Boleslav" kann Skoda einen von mehreren Engpässen bei seinen Komponenten zumindest teilweise beheben. Fehlende Bauteile und wie man an sie herankommt gehören seit längerem zum Alltag von Karsten Schnake, im Vorstand von Skoda zuständig für die Materialbeschaffung. "Man muss sagen, dass der Ukraine-Krieg alles toppt, was wir alle gemeinsam die letzten zwei, zweieinhalb Jahre erlebt haben", sagt der Manager.
Die Corona-Pandemie hat Fertigungsprozesse und Lieferketten unterbrochen; die Folgen sind noch immer nicht vollständig bewältigt. Im ersten Quartal hat Skoda ein Viertel weniger Autos verkauft als im Quartal davor. Und nun der Krieg in der Ukraine, der Karsten Schnake vor andauernde Herausforderungen stellt - nicht nur wegen der Versorgung mit Leitungssträngen. Auch die Schalterfertigung in der Ukraine sei ein Thema, sagt der Skoda-Vorstand. "Dann die steigenden Kosten für Energie und auch für Rohmaterialien. Und der dritte Punkt: Wir haben immer noch viele Störungen im Bereich der Halbleiterversorgung."
In Gedanken bei den Familien
Wie das alles am Ende auf die Preise für die Fahrzeuge durchschlägt, sei im Moment die große Frage. Wichtig ist dem Auto-Manager Schnake aber noch etwas anderes: "Am Ende des Tages ist all das, was da passiert ist, ein menschliches Thema. Wir leben in einem Netzwerk von Menschen. Die wollen Zukunft und Absicherung haben. Das wird häufiger mal ausgeblendet, aber das ist eigentlich das einzig Wichtige."
Svitlana Kavalchuk sagt, sie könne eigentlich keinen Moment nicht an ihre Familien denken. "Und an die Situation, in die wir geraten sind. Also auch während der Arbeit sind wir in Gedanken bei ihnen." Für sie völlig klar: Nach dem Krieg geht es zurück nach Hause. Nur wann das sein wird, das ist die große und sehr belastende Frage.