Seeschifffahrt Die große Krise ist vorbei
Bei den deutschen Reedern ist nach zwölf Jahren Krise wieder Optimismus eingekehrt - trotz der Corona-Krise. Was hat sich gebessert, und warum hat die Krise so lange gedauert?
Die Container-Reederei Hapag-Lloyd hat im Corona-Jahr 2020 dank günstigen Treibstoffs und gestiegener Frachtraten glänzend verdient und rechnet in diesem Jahr mit noch besseren Ergebnissen. Der Nettogewinn legte im vergangenen Jahr um 150 Prozent auf 935 Millionen Euro zu - während der Umsatz nur um gut ein Prozent auf 12,8 Milliarden Euro anzog. Im laufenden Jahr soll das Ergebnis weiter steigen, auch wenn sich Konzernchef Rolf Habben wegen der laufenden Pandemie nicht auf eine konkrete Zahl festlegen will.
Mit seiner glänzenden Bilanz steht Hapag-Lloyd stellvertretend für die gesamte deutsche Seeschifffahrt. Denn auch die meisten anderen Reeder blicken nach zwölf langen Krisenjahren wieder optimistisch in die Zukunft. "Wir haben die Krise, die uns seit 2009 beschäftigt hat, weitgehend hinter uns gelassen und sind in vielen Bereichen bislang auch erstaunlich unbeschadet durch die Pandemie gefahren", sagte kürzlich der Präsident des Verbands Deutscher Reeder (VDR), Alfred Hartmann, bei der Vorlage der Jahresbilanz. Zugleich warnte er jedoch, dass niemand vorhersehen könne, ob der positive Trend anhalten werde.
Das Corona-Jahr 2020 sei außerordentlich herausfordernd gewesen. "Wir hatten im Frühjahr noch große Sorgen, dass wegen der Pandemie der Markt komplett zusammenbricht", sagte Hartmann. Zum Herbst habe es dann aber eine überraschende Wende vor allem bei der Containerfracht gegeben. "Wenn ich außerordentlich gut sage, dann beziehe ich mich natürlich schon auch auf das Ende von zwölf Krisenjahren", so Hartmann.
Zu viele Containerschiffe auf einmal
Dabei sind noch keine vier Jahre vergangen, als eine Nachricht in der Schifffahrtsbranche einschlug wie eine Bombe: die Insolvenz der Hamburger Traditionsreederei Rickmers im Juni 2017. Sie galt als Höhepunkt der seit 2008 andauernden Probleme in der Branche. Was war geschehen?
Anfang der 2000er Jahre, als in den Jahren der Globalisierung der Welthandel boomte und die Nachfrage nach Containtertransporten zwischen China und Europa und den USA das Angebot überstieg, begannen die Reeder, neue Schiffe zu bestellen. Denn wegen des völlig aus Gleichgewicht geratenen Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage waren die Frachtraten immer weiter gestiegen und hatten Mitte 2005 ein historisches Hoch erklommen. Daran wollten die Reeder natürlich teilhaben. Also bestellten sie massiv neue Containerschiffe, denn ein abruptes Ende des Wachstums der Handelsströme schien schlicht undenkbar.
Doch genau das passierte mit der Lehman-Pleite 2008, als die New Yorker Investmentbank Insolvenz anmelden musste. Die Finanzkrise löste die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg aus, der Welthandel brach ein. Just zu diesem Zeitpunkt wurden jedoch viele der zuvor bestellten Containerschiffe fertig und mussten abgenommen werden. Zwar war die Finanzkrise nur von kurzer Dauer, Handel und Wirtschaft erholten sich ebenso rasch wie sie eingebrochen waren, doch gab es plötzlich ein Überangebot an Containerschiffen. Die Frachtraten erholten sich also nicht, sie gingen weiter in den Keller.
Milliardenschulden angehäuft
Leidtragende waren die Reeder sowie die Banken, allen voran die HSH Nordbank, die den Bau vieler Schiffe finanziert hatten - übrigens durch die Ausgabe sogenannter Schiffsfonds, die bei privaten Anlegern Geld einsammelten. Die Banken verloren Milliarden, wurden teilweise zerschlagen oder notverkauft, wie die HSH. Auch die Reeder gerieten ins Wanken. So soll allein der Hamburger Reeder Heinrich Schoeller in der Zeit von 2005 bis 2008 Kredite in Höhe von 1,5 Milliarden Euro angehäuft haben.
Doch das ist Geschichte. Die Hamburger Reederei Rickmers wurde von der größten Bremer Reederei, Zeaborn, übernommen. Und die gesamte Branche sieht längst wieder Licht. Zwar liegen die Charterraten laut VDR immer noch unter dem Niveau von 2008, doch sei die Branche nach den Jahren des ungewöhnlichen Wachstums in der Containerschifffahrt Anfang der 2000er Jahre und dem darauffolgenden Rückgang zur Normalität zurückgekehrt, sagt Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des VDR.
Fünftgrößte Schifffahrtsnation
Auch hat die deutsche Seeschifffahrt wieder zu alter Stärke zurückgefunden. "Die deutsche Flotte ist ähnlich stark, in großen Teilen stärker als vor diesem Boom", sagte Nagel. Das betreffe etwa die Zahl der Schiffe in verschiedenen Segmenten, der Auszubildenden, der Seeleute als auch die Zahl der Reedereien. "Trotz der Pandemie sehen wir eine neue Dynamik in einigen Schifffahrtsmärkten, in denen deutschen Unternehmen aktiv sind."
So ist Deutschland trotz eines Rückgangs von 0,4 Punkten auf 4,5 Prozent beim Anteil an der Welthandelsflotte immer noch die fünftgrößte Schifffahrtsnation. Ende 2020 umfasste die Handelsflotte 2001 Schiffe mit 48,7 Millionen BRZ (Bruttoraumzahl/Bruttoregisterzahl), das sind 139 Schiffe oder 4,1 Millionen BRZ weniger als im Jahr zuvor. Besonders stark am Weltmarkt ist die deutsche Handelsflotte in der Containerschifffahrt mit einem Marktanteil von 12,5 Prozent.
Fast die Hälfte der deutschen Handelsflotte fährt allerdings unter der Flagge eines anderen EU-Staats, neben Deutschland vor allem Portugal, Zypern und Malta, sagte Nagel. Den Rest teilten sich vor allem der karibische Inselstaat Antigua und Barbuda sowie das westafrikanische Land Liberia. Die Zahl der nur in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Seeleute bezifferte Nagel auf knapp 7600. "Das sind natürlich weniger als in früheren Jahren. Aber wir haben da eine gewisse Stabilisierung erreichen können."
Noch Probleme beim Transport von Erdöl
In einzelnen Segmenten gibt es aber noch immer Probleme, etwa beim Transport von Erdöl. Schlecht sieht es auch bei den Fähr- und Förderschiffen aus, die zu den Inseln fahren. "Der Markt ist sehr eingeschränkt", sagte Hartmann mit Blick auf die Osterferien. Ähnlich verhalte es sich bei den Kreuzfahrtschiffen. "In dem Bereich haben wir noch große Sorgen, nicht nur bei den Reedereien, sondern auch bei den Werften, die keine neuen Aufträge bekommen."
Weiter weltweit Schwierigkeiten bereitet wegen der Corona-Pandemie der Wechsel der Crews auf den Seeschiffen. "Nach wie vor befinden sich in etwa 400.000 Seeleute auf den Schiffen, die nicht planmäßig abgelöst werden können", sagte Hartmann. Auf der anderen Seite sitze noch einmal die gleiche Menge an Seeleuten zu Hause und habe keine Arbeit. Auch die Corona-Impfungen seien ein großes Problem. So müssten die Impfstoffe weltweit anerkannt sein. Und: "Die Zweifachimpfungen können in den seltensten Fällen bei den Seeleuten durchgeführt werden, es sei denn sie sind zu Hause im Urlaub."