Beton-Recycling Neues Leben für die alte Platte
DDR-Plattenbauten galten erst als praktisch, dann als hässlich - und jetzt als Abrisskandidaten. Doch den Baustoffen der "Platten" kann neues Leben eingehaucht werden - und sie sehen dabei sogar noch gut aus.
Das Sportlerheim im Cottbuser Kolkwitz ist ein moderner Neubau. Nichts lässt auf die alten Ost-Platten schließen. Dabei hat die Cottbusser Bauingenieurin Angelika Mettke 80 Betonteile einem - wie sie es nennt - "Spendergebäude" in Cottbus entnehmen lassen: aus einem Plattenbau, der abgerissen werden sollte. Doch Mettke hatte andere Pläne: Wie vor einem chirurgischen Eingriff hat die Professorin für Bauingenieurwesen an der BTU Cottbus den "Patienten" besichtigt, die infrage kommenden Bauteile markiert und sie anschließend präzise und ohne Beschädigungen herausnehmen lassen.
Preisgekröntes Beton-Recycling
Zwei Jahre lang hat sie den Eingriff geplant. In nur vier Tagen steht der neue Rohbau. 30.000 Euro hat der Bauherr so an Kosten gespart; der Eigentümer des alten Plattenbaus einen Teil der Entsorgungskosten. Mettke sagt: 50 Prozent ließen sich durch gebrauchte Betonplatten einsparen - Kosten für Abbau, Transport und Neueinbau inklusive.
Bis zu 90 Prozent der alten Platten könne man garantiert wiederverwenden, sagt die Cottbusserin, aber selbst bei Wiederverwendungsprojekten wie dem für das Sportlerheim würden nur rund 30 Prozent genutzt. "Da blutet mir das Herz, wenn ich sehe, dass so viel wiederverwendungsfähige Betonelemente dem Schredder zugeführt werden." Als "Pionierin des Betonrecyclings" wurde die Cotbusserin 2016 für ihr Engagement mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet.
Wiederverwertung in Zeiten hoher Preise
Für Mettke ist die Wiederverwertung zum beruflichen Lebensprojekt geworden. Schon in den 1980er-Jahren untersuchte sie eingeschossige DDR-Mehrzweckhallen. Die Ergebnisse überraschen sie: Plattenbauten, die eigentlich nie zur Demontage konzipiert worden waren, können auseinander gebaut werden. "Und das war für mich der erste Punkt, zu dem ich gesagt habe: Hier kann man enorme Ressourcen sparen. Bisher legt die Politik den Fokus nur auf Energieeffizienz, kaum auf Wiederverwertung. Das ist zu wenig."
Vor allem, da Sand und Kies für die Betonproduktion mittlerweile eine Menge Schotter kosten. Ein Ende der Preissteigerungen ist laut einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nicht in Sicht. Um zehn bis 15 Prozent würden die Preise der Hauptbestandteile jährlich steigen. "Ich denke, das spielt uns jetzt sogar in die Karten: Dadurch, dass neue Baustoffe jetzt sehr teuer werden und wir noch gar nicht wissen, wo das hinführen wird, werden gebrauchte Betonelemente interessanter werden", sagt Mettke.
Beton ist ein langlebiger Baustoff
Das hofft auch der Unternehmer Axel Bretfeld. Seine Firma Ecosoil Ost hat das Sportlerheim in Kolkwitz gebaut. 15 bis 20 solcher Projekte realisiere Ecosoil in Ostdeutschland pro Jahr. Es könnten viel mehr sein, wären da nicht der Fachkräftemangel und die mangelnde Vernetzung zwischen abzureißenden Plattenbauten und Neubauprojekten. "Normalerweise werden die Platten sofort geschreddert und gehen in eine Deponie", sagt Bretfeld. Dabei ließen sich durch die Wiederverwendungbis zu 95 Prozent der CO2-Ausstöße bei der Zementherstellungvermeiden. "Diese zwei Millionen Tonnen Bauschutt in jedem Jahr, die durch Rückbau entstehen, könnte man sich weitgehend ersparen."
Ecosoil baut nicht nur neue Gebäude aus abgetragenen Plattenbauten. Die Firma erhält sie auch, schrumpft Mehrgeschosser auf zwei oder drei Etagen herunter, fügt Dachterrasse hinzu oder legt Wohnungen zusammen. Statt die alten Platten abzureißen, werden sie so erhalten. Auch das ist nachhaltig - und sinnvoll, findet Bauingenieurin Mettke: "Beton ist ein dauerhafter Baustoff. Es wird immer mit einer Nutzungszeit von 50 Jahren gerechnet. Aber nach 50 Jahren fällt kein Beton bei ordnungsgemäßer Nutzung auseinander. Viele Plattenbauten aus den 1970ern werden ja bald 50 Jahre alt und sind gut in Schuss. Theoretisch gilt sogar eine Nutzungsdauer von bis zu 120 Jahren." Zwei bis drei Mal könnten Betonplatten so wiederverwertet werden.
Hoffnung auf EU-Fördermittel
Bauunternehmer Bretfeld arbeitet mit über 60 Wohnungsbaugenossenschaften in Ostdeutschland zusammen. "Aber die bräuchten Unterstützung in ihren Genehmigungsprozessen. Die haben viele Ideen und werden ein bisschen alleine gelassen an der Stelle." Viele hätten nicht die Kraft und Vision, sich um Wiederverwertung zu kümmern. "Und wir als Firma sind auch nicht in der Lage, diese Logistik zu stemmen. Das Geld, das erspart werden kann: Das geht nur, wenn die Transportwege gut organisiert sind und die Platten sauber zwischengelagert werden können. Der Bauherr, der sich dafür entscheidet, ist eher Idealist als Sparfuchs, da der Spareffekt im Moment gar nicht so groß ist."
Bretfeld wünscht sich Hilfe von der Politik bei Genehmigungsfragen. Das komplexe Baurecht mache es nicht leicht, mit gebrauchten Baustoffen eine Bauabnahme hinzubekommen. BTU-Professorin Mettke versucht im Rahmen des EU-weiten Projekts "ReCreate" Qualitätskennzeichnungen zu erarbeiten. Mit Expertinnen und Experten aus Schweden, Finnland, den Niederlanden und Kroatien arbeitet sie an Prototypen für Jugendheime. Auch eine digitale Plattform soll entstehen, um Abriss-Bauherren mit Neubau-Bauherren zu vernetzen - damit die alten, noch guten Plattenbauten nicht auf der Deponie landen müssen, sondern ein zweites Leben bekommen.