Übernahme der MV Werften Kreuzfahrtwerft baut künftig U-Boote
Der Rüstungskonzern TKMS kauft den Standort der insolventen MV Werften in Wismar, um dort Aufträge der Marine schneller abarbeiten zu können. Rettet die Bundeswehr den deutschen Schiffbau?
Der Rüstungskonzern Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), eine Tochter von Thyssenkrupp, übernimmt die Werft der insolventen MV Werften-Gruppe in Wismar. Das teilte das Unternehmen heute offiziell mit. Der Kaufpreis wurde nicht genannt. Der Schiffbau in Mecklenburg-Vorpommern sei damit "langfristig und dauerhaft gesichert", sagte Insolvenzverwalter Christoph Morgen.
"Wir kommen nach Wismar, um Marine Systems, aber auch dem Standort und den Menschen hier eine echte Perspektive zu geben", sagte der Vorstandschef von TKMS, Oliver Burkhard. Das Unternehmen will an der Ostsee ab 2024 U-Boote und später möglicherweise auch Korvetten und Fregatten bauen. Seit 2016 war in Wismar an großen Kreuzfahrtschiffen gearbeitet worden.
Abhängig von der Auftragslage sollen zunächst 800 Mitarbeiter beschäftigt werden. Die Beschäftigtenzahl könne mittelfristig aber auf 1500 steigen, hieß es. Eine Transfergesellschaft für die aktuell etwa 1470 Beschäftigten will das Land nun bis zum Herbst verlängern. Zuvor waren bis zu 2000 Menschen auf der Werft tätig gewesen.
Branche schwer getroffen
Die Rettung der Werft in Wismar gilt als Hoffnungszeichen für den schwer getroffenen Industriezweig. Denn anders etwa als viele Reedereien, die nach der Corona-Krise von einem weltweiten Boom der Containerschifffahrt profitieren, steckt der deutsche Schiffbau in einer tiefen Krise. "Die Corona-Pandemie war ein herber Schlag für die Branche", sagt Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), gegenüber tagesschau.de.
Denn Corona hat das bisherige Geschäftsmodell ins Wanken gebracht. Im Geschäft mit Fähren, Luxusyachten und Kreuzfahrtschiffen fanden deutsche Werften bislang lukrative Nischen. Aber vor allem die Aufträge für moderne Kreuzfahrtschiffe, die bislang häufig auch in Deutschland gefertigt wurden, brachen weg.
Der Markt für Kreuzfahrtschiffe ist Lüken zufolge kollabiert. Die Kreuzfahrtbranche habe in den Pandemiejahren rund 50 Milliarden Dollar verloren. Das müsse erst wieder eingefahren werden, um über Neubestellungen nachdenken zu können. "Es wird mindestens zwei bis drei Jahre dauern, bis wir Neubestellungen in größerem Umfang erwarten können", so der Verbandschef.
Europa verliert an Boden
Im Schiffbau landen Aufträge und Neubestellungen mittlerweile vorwiegend in Asien. So stellt der VSM in seinem Jahresbericht fest, dass 2021 der Weltschiffbau insgesamt zwar geprägt war von einem starken Anstieg der Neubaubestellungen. Demnach wurden zivile Seeschiffe im Wert von 110 Milliarden Dollar auf den Werften in Auftrag gegeben.
Doch Deutschland gehört zu den Verlierern, weil rund 85 Prozent aller Bestellungen an China und Südkorea gingen, weitere rund zehn Prozent an Japan. Europa habe nach zwei schwachen Jahren nochmals an Boden verloren bei den neuen Aufträgen, sagte der VSM-Hauptgeschäftsführer bei der Vorstellung des Jahresberichts im Mai.
Der Verband klagt seit langem über einen unfairen Wettbewerb. "Das Hauptproblem für die deutschen Werften ist ein völlig verzerrter Weltmarkt. Staaten wie China und Südkorea unterstützen ihre Werften mit Milliardensubventionen. Dagegen kommen Privatunternehmen nicht an", sagt Lüken. Die Preise der asiatischen Werften seien nicht kostendeckend.
Hohe Nachfrage durch den Krieg
Die MV Werften hatten im Januar einen Insolvenzantrag gestellt, nachdem dem Eigner - dem asiatischen Genting-Konzern - wegen der Krise des weltweiten Kreuzfahrt-Tourismus das Geld ausgegangen war. Nun sieht der Rüstungskonzern TKMS neue Chancen durch die massive Erhöhung des deutschen Wehretats wegen des Ukraine-Kriegs.
Bereits vor dem Angriff Russlands auf das Land habe TKMS volle Auftragsbücher gehabt, sagte Konzernchef Burkhard. Wegen des Krieges sei Nachfrage deutlich gestiegen. Die Pleite der MV Werften sei eine Gelegenheit gewesen, die Kapazitäten zu erweitern - um Aufträge schneller abarbeiten zu können. "Damit wird Wismar ein wichtiger Standort in unserem Verbund."
Könnten nun auch andere Werften-Standorte auf das Rüstungsgeschäft hoffen? Für die MV Werften sei ein starker Investor positiv, sagte Verbandschef Lüken. "Wir haben einen gewaltigen Investitionsstau in der Deutschen Marine, und es ist gut, dass der jetzt angepackt wird. Aber der deutsche Schiffbau muss auch die zivile Seite entwickeln."
"Schiffbau als strategische Fähigkeit"
Jede Menge Arbeit für den deutschen Schiffbau gebe es auch an anderer Stelle - beispielsweise bei Spezialfahrzeugen im Offshore-Einsatz für Windenergieanlagen. "Und das ist nur ein Beispiel“, sagte Lüken. "Wir können uns nicht von China abhängig machen. Die Frage ist doch, welche strategischen Fähigkeiten wir in Europa und Deutschland sicherstellen wollen. Und der Schiffbau gehört gewiss dazu."
In Wismar bleibt indes unklar, was mit der Hinterlassenschaft aus der Zeit des Kreuzfahrschiff-Baus geschieht: In der fast 400 Meter langen Dockhalle der MV Werften - einer der größten Europas - liegt noch das zu drei Vierteln fertiggestellte Schiff "Global One". Der Genting-Konzern wollte mit dem Ozeanriesen für 9000 Passagiere ursprünglich chinesische Kundschaft anlocken. Einen Käufer für das Schiff hat der Insolvenzverwalter bislang nicht gefunden.