Stockende Lieferketten Materialmangel trifft Exportnation
Die Industrie kämpft mit den Folgen der Pandemie. Zwar ist die Auftragslage vieler Firmen gut. Doch Materialmangel bremst Produktion und Exporte. Das zeigen auch die neuesten Zahlen zum Außenhandel.
Am frühen Morgen stimmen sich Dieter Keuser und Petra Baron nochmals ab. Der Inhaber und die Geschäftsführerin der Firma Lahntechnik sprechen den anstehenden Arbeitstag durch. "Vor Corona hatten wir eine monatliche Produktionsplanung mit einer wöchentlichen Feinplanung. Heute müssen wir täglich immer nochmal alles nachjustieren", erklärt Keuser. "Der Grund ist der Materialmangel. Das stört unsere normalen Betriebsabläufe massiv. Wir können nur das an Aufträgen umsetzen, was gerade im Lager ist. Das hat Auswirkungen auf Umsatz und Export. So etwas hatten wir noch nie."
Bei Lahntechnik im rheinland-pfälzischem Nassau produzieren 150 Mitarbeiter Kühlanlagen und Kältetechnik - unter anderem für den Werkzeugmaschinenbau oder die Automobilindustrie. "Die Aufträge haben nach der Corona-Krise sehr gut angezogen", erzählt Keuser. "Wir können das aber aufgrund des Materialmangels nur eingeschränkt abarbeiten. Unsere Lieferzeiten haben sich deutlich verlängert."
Exporte leiden
Zehn Prozent der Kühlaggregate gehen direkt ins Ausland - etwa nach Österreich, Russland oder die USA. Weitere 70 Prozent der Waren gehen an inländische Kunden, werden dort weiter verbaut und dann exportiert. "Weil Lieferketten gestört sind und Material fehlt, ist unser Umsatz um fünf Prozent zurückgegangen. Das Exportgeschäft ist schwach. Ich sehe da noch Risiken auf uns zukommen", fasst Keuser zusammen.
Es habe im Frühjahr mit Stahlblech angefangen, das plötzlich nicht mehr verfügbar gewesen sei. Viele Standardmaterialien fehlten jetzt dauerhaft. Manche Lieferungen kämen gar nicht an, weil es kaum Holzpaletten für den Transport gebe. "Aktuell fehlen vor allem Elektronikkomponenten", erklärt Baron. "Auch Antriebe wie Pumpen oder Ventilatoren bis hin zu Hydraulikschläuchen sind kaum zu kriegen. Im Moment werden die Probleme eher größer als kleiner."
Laufende Umfrage bei den Maschinenbauern
Solche Klagen wie von der Firma Lahntechnik hört Ralph Wiechers zuletzt immer öfter. Wiechers ist Chefvolkswirt des Verbands für Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). "Zum Thema Materialmangel führen wir deshalb gerade eine Umfrage unter unseren Mitgliedern durch. Nächste Woche gibt es die Ergebnisse. Ich kann aber schon mal sagen: Die Lage hat sich nicht entspannt, sondern könnte sich sogar verschärft haben."
Dabei litt die Branche bereits im August unter Materialengpässen. 70 Prozent der Unternehmen im Maschinenbau sahen ihre Produktion deutlich erschwert. "Das war mit Abstand der höchste Wert in diesem Bereich", erklärt Wiechers. Im April lag die Zahl der Betriebe mit Materialmangel noch bei 40 Prozent. Inzwischen seien sogar alle Branchenbereiche betroffen. Besonders problematisch: die Versorgung mit Elektronikkomponenten und Stahl.
"Das bremst zusätzliches Wachstum"
"Materialmangel bei massiv anziehender Konjunktur ist eigentlich nichts Ungewöhnliches", erklärt Wiechers. "Aber so einen Mangel bei gleichzeitig sehr guter Auftragslage haben wir noch nie gehabt. Die große Frage lautet jetzt: wie produktionsbehindernd sind diese Materialengpässe?"
Der VDMA rechnet zwar nach der Corona-Krise 2020 in diesem Jahr mit einem Produktionsplus von zehn Prozent. "Mit genügend Material hätte das aber mehr werden können. Manche Aufträge aus dem Ausland können die Unternehmen derzeit einfach nicht bedienen. Das bremst zusätzliches Wachstum. Uns bereitet das schon Kopfzerbrechen."
Produzierendes Gewerbe besonders betroffen
Das Problem fehlender Materialien und Vorprodukte betrifft aber nicht nur den Maschinenbau, sondern alle Bereiche des produzierenden Gewerbes. Das sagt Timo Wollmershäuser. Er ist Konjunkturexperte beim Ifo-Institut. "Wir stellen einen ganz gravierenden Mangel fest. 70 Prozent aller Unternehmen sind betroffen. Das geht quer Beet - von der Autobranche bis zur Möbelindustrie."
Laut Statistischem Bundesamt kam es im zweiten Quartal sogar zu einem Rückgang bei der Industrieproduktion, auch wenn im Juli ein kleines Plus folgte. Maßgeblich für den Abwärtstrend im Frühjahr waren Versorgungsengpässe - vor allem bei den Halbleitern im Automobilbereich. Diese schwierige Lage setzt sich auch aktuell fort. Laut einer neuen Ifo-Studie nehmen die Klagen In der Industrie zu. "Für die Produktion bleibt das nicht ohne Folgen. Die Beschaffungskrise stellt eine reale Gefahr für den Aufschwung dar", sagt der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe.
"Die Fertigung in den Firmen ist schwach. Das zeigt sich dann auch bei den Exporten", analysiert Wollmershäuser. Deutschland sei als mit der Weltwirtschaft eng vernetzte Exportnation von dieser Entwicklung derzeit besonders stark betroffen.
Zwar nahm der Wert der exportierten Waren im Juli den 15. Monat hintereinander zu, wie die heute vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen zeigen. Aber das Wachstum schwächte sich im Juli deutlich ab und lag nur noch bei 0,5 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Im Juni hatte die Steigerungsrate noch bei 1,3 Prozent gelegen. Berücksichtigt man zudem die hohe Inflationsrate, dann zeigt sich: Die Menge der exportierten Waren lag im Juli bereits leicht niedriger als im Juni.
Entspannung in den kommenden Monaten?
"Die schwierige Gesamtlage dürfte sich in den kommenden Monaten aber entspannen", blickt der Konjunkturexperte optimistisch in die nahe Zukunft. Bei Holz etwa gingen die Preise international inzwischen zurück. "Das könnte eine Trendwende einläuten, die bald auch bei anderen Rohstoffen und Vorprodukten zu sehen sein dürfte."
Anfang nächsten Jahres rechnet Wollmershäuser dann mit einem kräftigen Schub bei den Exporten und damit für die Konjunktur. "Der Materialmangel sollte dann überwunden sein. Die Firmen können dann ihre Aufträge endlich angehen und auch der Export sollte wieder deutlich anziehen."
Wachsende Sorgen im Mittelstand
Im rheinland-pfälzischen Nassau kann man bei der Firma Lahntechnik diesen Optimismus nicht teilen. Die Auftragsbücher sind voll, aber die Beschaffung von Material wird immer schwieriger. "Wir haben ja auch laufende Kosten im Betrieb, aber wegen des Mangels einen kleineren Output. Dazu sind die Einkaufspreise deutlich nach oben gegangen, die sich auch noch ständig ändern. Das einfach an die Kunden weiterzugeben, ist für einen Mittelständler schwierig", rechnet Geschäftsführerin Baron vor.
"Es gibt Komponenten, die erst Anfang nächsten Jahres gefertigt und dann erst geliefert werden können", erklärt Firmeninhaber Keuser. "Wir wären schon froh, wenn wir im zweiten Halbjahr nächsten Jahres wieder anfangen könnten, einigermaßen normal zu arbeiten. Wir haben noch eine Durststrecke vor uns. Umsätze und Exporte dürften doch noch längerfristig leiden."