Zugausfälle bei Unwetter Warum ist die Bahn nicht sturmfest?
Wenn es heftig stürmt, kommt es immer wieder zu Problemen im Schienenverkehr. Zugreisende, Mitbewerber und Politik fordern Abhilfe. Was tut die Bahn, um ihre Gleise zu schützen?
"Das ist schon die hohe Kunst", sagt Stephan Landrock und schaut zu seinem Kollegen - 15 Meter weiter oben in der Krone einer Eiche. Landrock leitet eine der Vegetationsabteilungen bei der Bahn und schickt seine Trupps los, um Bäume wie eine Eiche an der Strecke zwischen Berlin und Potsdam zu fällen. Sie muss dran glauben, weil sie nicht mehr bruch- und standfest ist. Oben in der Krone sitzt Kletterer Sascha Kreusel, die Motorsäge baumelt lässig von der Hüfte herab. Ast für Ast sägt er ab, bis nur noch der Stamm übrig ist und mit einer Seilwinde umgezogen wird. Eine komplizierte Fällung, um zu verhindern, dass der Baum dabei auf die Schienen fällt. "Jetzt war ja im Oktober ein Sturm, da könnte man sagen: Der Baum steht doch noch. Aber wir können eben nicht garantieren, dass er die nächsten zwei Stürme noch durchhält." Sechs Meter links und rechts der Gleise darf ohnehin nicht viel stehen, dort ist ein bodentiefer Schnitt in U-Form vorgeschrieben. Die Eiche stand knapp dahinter, in der sogenannten Stabilisierungszone. Hier werden einzelne Bäume rausgeholt, die zur Gefahr werden könnten.
Streckensperrungen während "Ignatz" und "Hendrik"
Und das passiert immer wieder, so wie im Oktober wegen der Sturmtiefs "Ignatz" und "Hendrik". In Nordrhein-Westfalen wurde der Fernverkehr zeitweise komplett eingestellt, in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen traf es den Regionalbahnverkehr. Und auch in Rheinland-Pfalz, Nordbaden und im Saarland kam es zu starken Einschränkungen im Nahverkehr der Deutschen Bahn.
Der Vorsitzende des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen, Ludolf Kerkeling, hat das am eigenen Leib erfahren. Zweieinhalb Stunden habe er kurz vor Fulda gestanden, weil ein Baum auf die Oberleitung gefallen war. "Die spannende Frage ist: Warum steht da überhaupt ein Baum, der umfallen kann?" Kerkeling vertritt mit seinem Verband die Eisenbahnverkehrsunternehmen im Güterverkehr. Sie nutzen das Schienennetz der Bahn, das von der eigenständigen DB Netz AG geführt wird. Grundsätzlich sei in den vergangenen Jahren nicht genug passiert, sagt er. Man sei nach wie vor zu wenig auf Sturmereignisse, deren Anzahl wegen der Klimaveränderungen ja noch zunehmen werde, vorbereitet.
Bahn hat Naturgefahrenmanagement eingerichtet
Die Deutsche Bahn sieht das anders. Seit 2018 hat sie zwei Studien beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Auftrag gegeben. Forscher rechnen dort anhand vorliegender Wetterdaten hoch, wie sich in 34 Verkehrsregionen die Wetterextreme voraussichtlich entwickeln werden und wie die Bahn davon betroffen sein wird. Ergebnisse sind unter anderem, dass in den Regionen Mainz, Karlsruhe und in Teilen Nordostdeutschlands die Anzahl der Hitzetage vermutlich zunehmen wird. Die südlichen Bundesländer und die Region Hagen müssen dagegen besonders mit vermehrtem Starkregen rechnen. Auch auf eine höhere Anzahl an Sturmtagen muss die Bahn sich einstellen, allerdings ist hier das Bild regional nicht so eindeutig.
Seit 2018 existiert auch ein eigenes Naturgefahrenmanagement im Unternehmen: ein Team aus Spezialisten, das die Bahn wetterfest machen soll. Die Experten werteten Wetterereignisse aus, sagt die Bahn, und entwickelten gezielte Maßnahmen zu den Themen Hitze, Winter, Regen - und vor allem auch Sturm.
Die zersägten Teile eines Baumstamms, der am Rand einer Bahnstrecke gefällt wurde, werden weggetragen.
125 Millionen Euro im Jahr für Grünpflege
Ein wichtiges Element dabei: Eine intensivere Grünpflege um die Gleise herum. Hier hat der Konzern nach eigenen Angaben aufgestockt. Mehr als 1000 Mitarbeiter sind wie Landrock und seine Baumfäller rund ums Jahr damit beschäftigt, links und rechts der Trassen die Vegetation zurückzuschneiden oder - in der schnittfreien Zeit zwischen Ende Februar und Anfang Oktober - zu analysieren, was gemacht werden muss. Pro Jahr gibt die Bahn 125 Millionen Euro für diese Arbeiten aus. Mit Erfolg, wie sie sagt: Seit 2018 seien die Sturmschäden durch Bäume um 25 Prozent zurück gegangen.
"Bei solchen Aussagen ist es immer die Frage, von welchem Niveau man kommt", gibt Kerkeling zu bedenken. "Ich zweifele die Zahlen gar nicht an, aber die Situation ist aus Sicht der Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht befriedigend." Ideal wäre es laut Kerkeling, überall den V-Schnitt anzuwenden - also alle Pflanzen schräg abfallend in Richtung Schienen so zu stutzen, dass sie, auch wenn sie umfallen, nicht auf die Trasse stürzen. Doch das sei aufwendig und teuer.
Bahn eine der größten Waldbesitzerinnen Deutschlands
"Sie können nicht einfach durch Deutschland gehen und überall die Bäume abschneiden", sagt eine Bahnsprecherin. "Kahlschlag macht keinen Sinn. Uns ist wichtig, dass alles nach festen Regularien erfolgt. Wir arbeiten Hand in Hand mit den Naturschutzbehörden. Wir als DB wollen so viel wie möglich erhalten, sehen uns als Umweltvorreiter."
Die Bahn besitzt mit mehr als 26.000 Hektar viele Waldflächen, aber etwa genauso viele sind im Besitz anderer Eigentümer. Außerdem würden oft auch Äste von weiter hinten stehenden Bäumen auf die Schienen geweht; das sei kaum zu verhindern, wenn man nicht alles abholzen wolle.
Jährlich investiert die Deutsche Bahn 125 Millionen Euro in Streckenpflege.
Kritik an präventiven Streckensperrungen
Matthias Gastel, in der vergangenen Wahlperiode Sprecher für Bahnpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht trotzdem genau hier das Problem. Auch er sagt, die Vegetationskontrolle sei vernachlässigt worden und fordert mehr Zuverlässigkeit und Resilienz im Bahnnetz. "Die bei früheren Stürmen praktizierten präventiven Streckensperrungen in weiten Teilen des Netzes können nicht die letzte Antwort sein, sondern müssen die Ausnahme bleiben", sagt er.
Das sieht auch Kerkeling so. "Die DB Netz AG ist schnell dabei, flächendeckend den Verkehr auszusetzen, wir Eisenbahnverkehrsunternehmen sind der Meinung, dass man differenzierter dran gehen muss. Wir würden auch nicht sehenden Auges in einen Sturm reinfahren, aber wenn ein Güterzug auf freier Strecke stecken bleibt, ist das nicht ganz so unangenehm wie im Personenverkehr."
Kletterer Kreusel hat jetzt erstmal Pause. Seine Kollegen räumen auf. In diesem Fall heißt das: Eiche klein sägen. Dann geht es weiter. Heute haben sie sich vorgenommen, noch sechs weitere Bäume entlang der Strecke zu fällen.