Medikamente Apotheker warnen vor Lieferengpässen
Der Apothekerverband hat vor einem anhaltenden Lieferengpass vieler Medikamente gewarnt. Grund sei auch die starke Abhängigkeit von Asien. Der Verband will die Produktion nach Europa verlagern - Pharmakonzerne widersprechen.
Ob Fiebersäfte für Kinder, Hustenmittel, Blutdrucksenker, Brustkrebsmedikamente oder Magensäureblocker: Wer in der Apotheke eine bestimmte Arznei haben will, stößt gelegentlich auf Schwierigkeiten. Denn Lieferengpässe haben das Angebot verknappt - Kunden bekommen dann oft ein Alternativmittel, das nicht erste Wahl war. Apotheker sehen die Engpässe mit Sorge.
"Die Lage ist schlimm", sagt der Vorsitzende des Apothekerverbandes Nordrhein, Thomas Preis. So etwas habe er in über 30 Berufsjahren nicht erlebt. Ein Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) spricht von einer "großen Herausforderung", die auf absehbare Zeit bleiben werde. Im Moment gehe zwar niemand "unversorgt" aus der Apotheke, aber: "Die Arzneimitteltherapie, die mit den noch verfügbaren Arzneimitteln möglich sein wird, kann auch zu Qualitätseinbußen führen."
Als Beispiel für Engpässe nennt Branchenvertreter Preis den Wirkstoff Pantoprazol, der gegen Magenprobleme eingesetzt wird. Weil Pantoprazol-Präparate nicht mehr zu haben seien, müsse man ausweichen auf Omeprazol. Dieser Wirkstoff aber habe mehr Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Auf das kommende Jahr blickt Preis mit Bedenken. "Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefizite."
"Lieferengpass kein Versorgungsengpass"
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht dagegen "keine Hinweise auf eine generelle akute Verschlechterung der Versorgungslage in Deutschland". Die Behörde führt derzeit etwa 300 Meldungen zu Lieferengpässen auf - bei rund 100.000 zugelassenen Arzneimitteln in Deutschland. Für viele knappe Medikamente gibt es aber Alternativen. "Ein Lieferengpass muss daher nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein", betont die Behörde. Derzeit gebe es nur rund zehn Meldungen zu versorgungskritischen Wirkstoffen.
Als Ursache der Engpässe sehen Apotheken und Gewerkschaften die Globalisierung. Rund 68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien, heißt es in der Studie des Pharmaverbands vfa. Kommt es dort zu Fertigungsproblemen, Verunreinigungen oder zum Produktionsstillstand, kann das auch Deutschland treffen.
Vor wenigen Jahrzehnten seien die aktuellen Lieferengpässe undenkbar gewesen, kritisiert Apotheker Preis. "Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, heute sind China und Indien die Apotheke der Welt." Aus seiner Sicht wäre es wichtig, möglichst viel Produktion nach Deutschland zurückzubringen.
Holetschek fordert EU-Produktion
Das fordert auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, der sich vom Bund ein Förderkonzept für mehr Arzneimittelproduktion in Europa wünscht. "Es ist kein Geheimnis, dass Deutschland und die gesamte EU bei Arzneimitteln zu sehr auf China oder auch Indien angewiesen sind", sagte der CSU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Allein China sei für rund 40 Prozent der weltweiten Antibiotikaexporte verantwortlich. Dagegen müsse die Bundesregierung "endlich nachhaltig" vorgehen.
Holetschek erinnerte daran, dass auch in Deutschland in den vergangenen Jahren die negativen Folgen von Abhängigkeiten zu spüren gewesen seien: "Nicht nur Fiebersäfte für Kinder waren knapp, sondern zeitweise auch überlebenswichtige Medikamente zur Brustkrebstherapie und Allergiemedikamente. Deshalb muss jetzt endlich gehandelt werden."
Gefahr durch Resistenzen
Die Abhängigkeit von China habe noch weitere Konsequenzen, warnte Holetschek. "Werden beispielsweise Antibiotika fast nur noch in Ländern mit niedrigeren Produktionsstandards hergestellt, dann fördert das die Entstehung von Resistenzen gegen diese Antibiotika." Hintergrund dafür seien Antibiotika, die in jenen Ländern bei der Produktion ins Abwasser gelangen. Dadurch könnten Bakterien Abwehrstrategien gegen entwickeln, also resistent werden.
Die Forderung, die Produktion wieder stärker von Asien nach Europa zu bringen, stößt in der Pharmabranche aber auf Widerstand. "Die Produktionsstätten in Indien oder China, von denen wir Ware beziehen, sind nach europäischen Standards geprüft", sagt Peter Goldschmidt, Vorstandschef des Pharmariesen Stada. Zudem könne es auch in Europa Ausfälle und Engpässe geben, während die Arzneikosten steigen würden. "Die Preise würden explodieren."