Vorwürfe gegen Bundesregierung TÜV beklagt Prüfverbot für Motorsoftware
Warum fielen die Abgasmanipulationen bei VW nicht auf? Die Antwort des TÜV Nord fällt simpel aus: Die Politik habe den Prüfern auf Drängen der Autoindustrie verboten, die Motorsoftware zu untersuchen. Die Bundesregierung konterte den Vorwurf umgehend.
Im VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte hat der TÜV Nord schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung erhoben. Diese habe den Prüfern auf Drängen der Automobilindustrie untersagt, die Motorsoftware zu untersuchen, sagte TÜV-Nord-Chef Guido Rettig der Zeitung "Die Welt". "Wir haben leider gesetzlich keinerlei Möglichkeit, Einblicke in die Motorsteuerung und die dort verbaute Software der Fahrzeuge zu nehmen", fügte er hinzu. Deshalb hätten die Sachverständigen keine Chance gehabt, "die Manipulationen bei Stickoxiden von Dieselfahrzeugen zu erkennen". Ein Fehlverhalten des TÜV liege nicht vor.
Autokonzerne verwiesen auf Betriebsgeheimnisse
"Wir haben jahrelang darauf hingewiesen, dass die Motorsoftware Teil unseres Prüfauftrags werden muss. Ohne Erfolg", sagte Rettig. Die Autoindustrie habe dies mit dem Argument abgelehnt, es handele sich um Betriebsgeheimnisse. Die zuständigen Bundesministerien hätten im Sinne der Autokonzerne entschieden. Für die Zukunft forderte Rettig, dass die Typenzulassungen nicht mehr von den Herstellern beauftragt werden, sondern vom Kraftfahrtbundesamt. Zusätzlich solle das Regelwerk so erweitert werden, dass die Prüforganisationen die Motorsoftware kontrollieren dürfen.
Die Bundesregierung erklärte nach Rettigs Aussagen einerseits, dass bereits eine Ausweitung der Prüfbefugnisse von Sachverständigen erwogen werde. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums sagte, eine Kommission des Ministeriums gehe bereits der Frage nach, ob eine Offenlegung der Motor-Steuerungssoftware Teil der EU-Gesetzgebung sein könnte. Deutschland unterstütze die Weiterentwicklung der Prüfverfahren seit Jahren.
Bundesregierung kritisiert TÜV Nord
Zugleich wurde aber auch scharfe Kritik am TÜV laut. "Wir wollen vom TÜV wissen, wieso die falschen CO2-Werte bei Volkswagen nicht erkannt worden sind", sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums. "Dieser Punkt hat mit der Motorsteuerung nichts zu tun. In dem Interview steht dazu nichts - wir erwarten darauf aber Antworten." Der TÜV Nord sei für Dienstag in die Untersuchungskommission des Ministeriums bestellt worden.
Mehrere Nachrichtenagenturen berichteten unter Berufung auf Regierungskreise übereinstimmend, dass im Verkehrsministerium der Ärger über den TÜV groß sei. Der TÜV Nord müsse erst einmal eigene Versäumnisse erklären. "Wenn über eine Weiterentwicklung der Prüfsysteme nachgedacht wird, dann sicherlich nicht in die Richtung, den TÜV Nord zu stärken", hieß es.
Die Opposition wertete Rettings Kritik als "schallende Ohrfeige für die Bundesregierung". "Die Prüfbehörde bestätigt die jahrelange Kumpanei zwischen Bundesregierung und Automobilbranche", sagte der Vize-Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer. Verkehrsminister Alexander Dobrindt werde immer stärker zum Problem inmitten der Aufklärung. "Es darf nicht sein, dass das Verkehrsministerium Prüfern verbietet, die Motorsoftware zu untersuchen - nur weil die Automobilindustrie darum bittet." Kritik kam auch von der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Deren verkehrspolitische Sprecherin Sabine Leidig sprach mit Blick auf Rettigs Äußerungen von einem "weiteren Skandal im ganzen Abgassumpf".
Zahlreiche Rückrufe im Abgasskandal
Hintergrund des Streits ist die Abgasaffäre bei Volkswagen. Der Konzern hatte eingestanden, weltweit mehrere Millionen Dieselfahrzeuge mit einer Software ausgestattet zu haben, die bei Abgastests die Ergebnisse so verfälscht, dass der Ausstoß von Stickstoff niedriger erscheint, als es tatsächlich der Fall ist. Zudem manipulierte der Wolfsburger Konzern auch bei 800.000 Autos die Angaben zum Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids. Allein in Deutschland ordnete das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf von 2,4 Millionen Fahrzeugen des VW-Konzerns an. Für die USA legte VW am Freitag ebenfalls einen Rückrufplan vor.