Schiedsstellen im TTIP Schutz oder Ende des Rechtsstaats?

Stand: 06.02.2015 04:46 Uhr

EU und USA haben ihre Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP wieder aufgenommen. Besonders in der Kritik stehen die geplanten Schiedsgerichte. Mit der neuen EU-Kommission könnte es eine Kursänderung geben.

Von Anna-Mareike Krause, tagesschau.de

Schon lange ist bei TTIP-Gegnern ein Element besonders umstritten: die Schiedsgerichte. Dieser Teil des Freihandelsabkommens soll es ermöglichen, dass Konzerne in Partnerschaftsländern nicht vor Gerichten den im Abkommen vereinbarten Investitionsschutz einfordern, sondern vor unabhängigen Schiedsstellen.

Die Kritik daran ist breit, von Aktivisten über Politiker aller Parteien bis hin zum ehemaligen Bundesverfassungsrichter Siegfried Broß werden Bedenken geäußert. Die neue EU-Kommission erwägt, anders als ihre Vorgängerin, auf Schiedsgerichte zu verzichten. Auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, ein Abkommen ohne diese Investorenschutzklausel abzuschließen.

"Investor-Staat-Streitbeilegung" heißt die umstrittene Maßnahme offiziell, kurz: ISDS für die englische Bezeichnung "Investor-to-State Dispute Settlement". ISDS besteht bereits in etlichen Investitionsverträgen zwischen zwei oder mehreren Ländern. Nach Angaben der EU-Kommission hat Deutschland bisher 130 bi- oder multilaterale Investitionsabkommen abgeschlossen, in allen EU-Ländern zusammen bestehen rund 1400. In wie vielen dieser Verträge es Schiedsgerichtsklauseln gibt, darüber gibt es keine Angaben.

Ursprünglich gedacht als Schutz vor Enteignung

Die Funktion solcher Schiedsgerichte: Ausländische Investoren, die ihre von dem Handelsabkommen geschützten Interessen diskriminiert sehen, müssen diese nicht vor Gerichten einklagen. Ursprünglich waren diese als Instrument gegen Enteignung gedacht, in Ländern, in denen kein funktionierendes Rechtssystem bestand oder deren Gesetze ausländische Unternehmen nicht vor Enteignung schützten. Entsprechende Verträge sicherten Unternehmen beispielsweise bei Investitionen in der damaligen Sowjetunion ab. Bis heute bestehen zahlreiche Verträge zwischen EU-Mitgliedsländern und ehemaligen Sowjetstaaten.

"Bei einem Freihandelsabkommen mit den USA ist das allerdings nicht notwendig", sagt Pia Eberhardt von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO). "Die USA haben ein funktionierendes Rechtssystem, außerdem schützen die Gesetze auch ausländische Investoren bereits vor Enteignung." Eine Position, die Gabriel teilt. Bei seinem Besuch in Washington im Oktober vergangenen Jahres sagte er nach einem Treffen mit dem US-Vizepräsidenten Joe Biden: "Ich habe darauf hingewiesen, dass es aus unserer Sicht keines besonderen Schutzes von Investoren bedarf."

Im Januar allerdings musste Gabriel einräumen, dass ihm nicht gelungen war, Schiedsgerichte aus dem CETA-Abkommen mit Kanada heraus zu verhandeln. CETA gilt als Blaupause für TTIP.

Kurswechsel der EU-Kommission

Die alte EU-Kommission unter José Manuel Barroso hatte immer so argumentiert: Das US-System erlaube Unternehmen nicht, internationale Abkommen als rechtliche Basis in nationalen Gerichten zu verwenden. Europäische Unternehmen könnten also solche Abkommen nur durch Schiedsgerichte wie ISDS durchsetzen.

Mit dem Antritt des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker verändert sich diese Haltung. Schon bevor die Kommissare ihren Dienst antraten, schrieb die designierte Handelskommissarin Cecilia Malmström auf die schriftliche Frage von Abgeordneten im vergangenen September: "Keine Begrenzung der Zuständigkeit von Gerichten in den EU-Mitgliedsstaaten wird in diesem Zusammenhang akzeptiert werden; das bedeutet eindeutig, dass keine Investor-Staat-Streitbeteiligung Teil dieser Vereinbarung wird."

Diesen klaren Satz, der noch vor ihrem Amtsantritt eine Abkehr von den Schiedsgerichten bedeutet hätte, zog sie zwar nur wenige Tage später zurück. Doch aus dem EU-Parlament hieß es, der Satz sei direkt aus dem Büro von Juncker selbst gekommen. Einen Monat später äußerte sich der Kommissionspräsident vor dem EU-Parlament ähnlich: "Ich werde es nicht hinnehmen, dass die Zuständigkeit der Gerichte in den Mitgliedstaaten durch Sonderregelungen für Konflikte zwischen einem Investor und einem Staat beschnitten wird", sagte Juncker im Oktober 2014.

EU-Kommissarin Cecilia Malmström

Seit Amtsantritt des Juncker-Teams für die TTIP-Verhandlungen verantwortlich: EU-Handelskommissarin Malmström.

Nicht mit Richtern besetzt

Denn diese Schiedsgerichte sollen mit drei Personen besetzt werden, die aber alle keine hauptamtlichen Richter sind, sondern oft Anwälte oder Juristen. Nach Angaben der OECD sind mehr als die Hälfte der Entscheider dort im Hauptberuf Firmenanwälte. Und mehr als 60 Prozent von diesen vertreten auch Investoren.

Trotzdem haben diese die gleiche Macht wie Gerichte: Sie erhalten Einblick in Gesetzentwürfe oder in Urteile. Und ihre Urteile sind bindend für den Staat. Gleichzeitig können diese Schiedsgerichte aber nur von den ausländischen Investoren angerufen werden - nicht von Staaten. "Das ist rechtsstaatlicher Irrsinn", sagt Eberhardt.

"Rechtsverweigerung" - oder "kein systemisches Problem"?

Die alte Kommission hatte in ihrer Begründung für die Notwendigkeit von Schiedsgerichten zwei Fälle von "Rechtsverweigerung" in den USA angeführt. Die kanadische Firma Loewen war involviert in einen Rechtsstreit um einen Streitwert in Höhe von fünf Millionen Dollar. Bevor die Firma das Urteil anfechten konnte, musste sie 500 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen. In einem anderen Fall konnte die kanadische Firma Mondev die Bostoner Stadtentwicklungsbehörde wegen einer Immunitätsklausel gar nicht erst verklagen.

Doch dieser Vergleich hinkt. Die Notwendigkeit von Schiedsgerichten werde dadurch nicht begründet, so der Juraprofessor Jan Kleinheisterkamp: "Loewen und Mondev sind sicherlich Beispiele für unglückliche Fälle, die Mängel in den lokalen US-Gerichten suggerieren", schreibt er. "Sie sind aber kein Beleg für ein breiteres oder systemisches Problem, das erfordern würde, durch internationales Recht anstatt durch interne Reformen gelöst zu werden."

Der Fall Mondev geschah bereits auf der Grundlage des nordamerikanischen Handelsabkommen NAFTA. Es gilt als unwahrscheinlich, dass das TTIP-Abkommen weiter führen würde als NAFTA. Deshalb würde auch ein Schiedsgericht dem Unternehmen nicht weiterhelfen. Und der Loewen-Fall führte sogar zu einer Reform des lokalen Gerichtssystems im US-Bundesstaat Mississippi im Jahr 2004. NAFTA ermöglichte Loewen aber keinerlei Entschädigung.

In Deutschland erhielten solche Schiedsgerichte Aufmerksamkeit, als der schwedische Stromkonzern Vattenfall wegen des Atomausstieges Deutschland auf Schadensersatz in Höhe von 3,5 Milliarden Euro verklagte - und zwar nicht vor einem Gericht, sondern vor dem ICSID, dem International Centre for Settlement of Investment Disputes, das der Weltbank untergeordnet ist. RWE und E.on klagten ebenfalls, als deutsche Konzerne aber vor einem deutschen Gericht.

Dabei wurden wesentliche Unterschiede zwischen beiden Verfahren deutlich: Anders als vor Gericht, ist ein Verfahren vor dem ICSID nicht öffentlich - und damit nicht transparent. Anfragen sowohl von Medien als auch von Abgeordneten wurden gar nicht oder nicht verwertbar beantwortet. Das Wirtschaftsministerium berief sich darauf, dass solche Schiedsverfahren vertraulich seien. Die Entscheidung der Schiedsstelle ist aber für den verklagten Staat rechtlich bindend.

"Wir brauchen keine Schiedsstellen"

Pia Eberhardt hält Schiedsstellenklauseln in Investitions- oder Handelsabkommen nicht für notwendig. "Es gibt mehrere private und staatliche Versicherungen, bei denen international operierende Unternehmen sich gegen politische Risiken im Ausland versichern können", sagt sie. Außerdem könnten Unternehmen auch Verträge mit dem Land abschließen, in dem sie investieren wollen. "Dafür brauchen wir keine im Abkommen verankerte Schiedsstellen. Man darf nicht vergessen: Die würden dann auch andersherum gelten, und ermöglichen, dass internationale Firmen europäische Staaten vor intransparenten Schiedsstellen verklagen können."

Ob eine Investorenschutzklausel schlussendlich in dem Abkommen stehen wird oder nicht, hängt an der Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten. Hinter vorgehaltener Hand wird ein anderes Argument genannt, weshalb nicht alle Länder auf die Schiedsgerichte verzichten wollen: Eigentlich bräuchte man diese nicht für ein Abkommen mit den USA - wohl aber für eines mit China. Und es wäre diplomatisch ein Affront, mit China andere Bedingungen zu verhandeln als mit den USA.