Massenproteste in Italien Gewerkschaften auf Konfrontationskurs
In Rom sind Hunderttausende Menschen gegen die Arbeitsmarktreformen von Ministerpräsident Renzi auf die Straße gegangen. Der allerdings denkt gar nicht daran, dem Druck nachzugeben. Stein des Anstoßes: Renzi plant, den Arbeitnehmerschutz in den ersten Beschäftigungsjahren zu lockern.
Italiens Gewerkschaften haben Position bezogen gegen eine Regierung, die man bislang eher dem eigenen Lager zurechnen durfte. Kämpferische Töne kommen von der Vorsitzenden des größten Gewerkschaftsbunds in Italien, Susanna Camusso: "Wir delegieren die Sache des Arbeiters an niemand anderen, wir bleiben besessen von der hohen Arbeitslosigkeit im Land und betroffen von den Mienen der jungen Frauen und Männer, die sich fragen, ob sie hier eine Zukunft haben und einen Arbeitsplatz."
Vor der Lateranbasilika - dem Platz im Herzen des Roms der kleinen Leute - waren die Demonstrationszüge zur Abschlusskundgebung zusammengeströmt. Strahlendes Herbstwetter. Die Veranstalter sprechen von einer Million Teilnehmer. Eine ganz bestimmt stark übertriebene Zahl. Aber die Fallbeispiele, die die Gewerkschaftschefin anführte, kennen fast alle aus eigenem Erleben: "Arbeiter, für die jede Ausschreibung eines Auftrags eine weitere Lohnsenkung bedeuten kann, die sie hinnehmen müssen, um nicht den Job zu verlieren. Rentner, die jedes Jahr wieder feststellen, dass sie immer weniger haben. Frauen, die aus dem Job fliegen, weil sie schwanger werden. Mütter, die einen Kindergartenplatz bräuchten wegen ihrer Arbeit, ihn aber nicht finden, und die dann nicht mal die 80 Euro Unterstützung bekommen, die ihnen versprochen sind. Studierende, die nicht wissen, ob es etwas bringt, sich weiter reinzuhängen, die sich fragen, wie lange es sich die Eltern noch leisten können, sie weiterstudieren zu lassen…"
Italien habe als einziger EU-Staat keine Steuer für Superreiche und Höchstverdiener, so Gewerkschaftschefin Camusso weiter. 10 Prozent der Privathaushalte verfügten über 50 Prozent der Privatvermögen im Land. Eine tiefgreifende Umverteilung müsse her, um mit öffentlichen Geldern Arbeitsplätze zu schaffen und mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Mehr Arbeitslosengeld. Vor allem aber: Hände weg vom Kündigungsschutz, im Gegenteil - ihn ausweiten, auch auf Unternehmen von unter 15 Personen Belegschaft.
Kritik an Renzi und Fiat-Boss Marchionne
Die Plakate, die zur Abschlussdemo des Generalstreiks aufriefen, zeigen denn auch drei Köpfe: Premier Renzi, die Arbeitsministerin und FIAT-Chef Sergio Marchionne. Er hat Italiens Großunternehmen Nr. 1 zu einem nicht-mehr-italienischen Global Player umgewandelt. "Entlassen wir sie mit gutem Grund", steht über den Köpfen auf dem Plakat. Dieser "gute Grund" rechtfertigt bislang die Kündigung. Klagt der Gekündigte dann, und das Gericht stellt fest, die Kündigung war unbegründet, muss der Betrieb ihn wieder einstellen, und das volle entgangene Gehalt zurückerstatten - und zwar auf ein Mal.
Premier Matteo Renzi schlägt vor, die wenigen Kläger abzufinden. Anstatt Jahre um Wiederanstellung zu streiten, mit offenem Ausgang, dabei aber keinen anderen Posten annehmen zu dürfen, könnten sie so gleich was Neues suchen. Diese Lockerung des sehr strikten Kündigungsschutzes - Renzi spricht Obama-like vom "Jobs Act" - werde Privatunternehmern Anreiz bieten, zu investieren und einzustellen. Woran die Kritiker der Reform - es gibt sie auch in Renzis eigener Partei - nicht glauben. Schon gar nicht für das arme Süditalien.
Sollte Renzi als Linksdemokrat auf mehr Entgegenkommen für seine Reformen gesetzt haben, als es vergangene Mitte-Rechts-Regierungen bekamen - dann haben ihm die Gewerkschaften heute erst Mal die Tür vor der Nase zugeschlagen.