Geschichte der Streiks Tumult und Trillerpfeifen
Immer wieder ist es im Nachkriegsdeutschland zu teils nervenaufreibenden Arbeitskämpfen gekommen. Der längste Branchenstreik dauerte fast vier Monate. Für Gewerkschaften haben die Konflikte auch eine interne Bedeutung.
Der Streik des Öffentlichen Dienstes 1974 war kurz, wirkungsvoll und folgenreich. Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, die Postgewerkschaft und die Deutsche Angestelltengewerkschaft - heute sämtlich in ver.di vereint - hatten 15 Prozent mehr Lohn verlangt. Dabei stand Westdeutschland gerade in einem Wirtschaftsschock durch steigende Ölpreise. Drei Tage Streik genügten, um die staatlichen Arbeitgeber in einer hochpolitisierten Zeit zu bezwingen. Elf Prozent Gehaltssteigerung wurden vereinbart, was der Beginn einer jahrelangen Lohn-Preis-Spirale war.
Reine Verkehrsstreiks sind mit Umbau ehemals behördlicher Verkehrsbetriebe in öffentliche Wirtschaftsunternehmen verbunden. Damit gehörte das Personal nicht mehr zum allgemeinen Öffentlichen Dienst. Spezielle Branchenforderungen können mit eigenen Gewerkschaften durchgesetzt werden, auch indem ohne Rücksicht auf Kolleginnen und Kollegen anderer Branchen hoher Druck aufgebaut wird. 2001 und 2014/2015 streikten die Piloten der Lufthansa, 2007 zwei teils konkurrierende Bahngewerkschaften. 2014/15 legte die Lokführergewerkschaft GDL tagelang den Bahnverkehr lahm.
Längster Arbeitskampf: Werftenstreik ab 1956
Der längste Branchenstreik ist lange her. Wenn in den 1950er-Jahren in Westdeutschland Angestellte krank wurden, bekamen sie weiter Lohn; Arbeiter dagegen nicht. Nachdem die Bundesrepublik wirtschaftlich auf die Beine gekommen war, beschloss die Industriegewerkschaft Metall 1956, für Lohnfortzahlung bei Krankheit zu kämpfen.
Streikende Arbeiter 1956 vor dem Eingang der Kieler Howaldts-Werft.
Die seinerzeit bedeutende Werftindustrie mit Zehntausenden Arbeitern bot sich an. Gerade Werftarbeiter waren an zugigen, kalten Arbeitsplätzen anstrengenden Tätigkeiten ausgesetzt - teilweise über Kopf und in verwinkelten Schiffsrümpfen bei Staub, Splittern, Spänen und Funkenflug. Krankheit war ein hohes Risiko.
Im Herbst 1956 traten die Stahl- und Werftarbeiter in Schleswig-Holstein in Streik. Er sollte über den Winter inklusive der Weihnachtszeit gehen und ist bis heute der längste Branchenstreik Deutschlands seit mehr als einhundert Jahren. Nach fast vier Monaten waren Lohnausgleich bei Krankheit, mehr Urlaub und Urlaubsgeld erkämpft.
Streikziele jenseits der Bezahlung: Beispiel Arbeitszeit
Versuche der IG Metall, ab Ende der 1970er-Jahre erst in Westdeutschland, dann in der vereinigten Bundesrepublik Ziele jenseits von mehr Geld zu erkämpfen, waren mühselig. 1978 trat die Gewerkschaft mit der Forderung nach 35 Stunden Wochenarbeitszeit an, die genauso bezahlt werden sollten wie die bisherigen 40 Stunden. Ein langer Streik scheiterte an der Kernforderung.
1984 versuchte es die IG Metall erneut: 70.000 Metaller streikten sieben Wochen lang. 130.000 wurden von den Arbeitgebern ausgesperrt. Die 38,5-Stunden-Woche war das Ergebnis. Erst 1995 wurde die 35-Stunden-Woche in der westdeutschen Metallindustrie erkämpft. Der Versuch der Gewerkschaft, die kurze Arbeitswoche 2003 mit einem harten Streik auch in der ostdeutschen Metallindustrie durchzusetzen, scheiterte. Die Arbeitgeber blieben eisern - auch angesichts der nach der Vereinigung Deutschlands vereinbarten Löhne, die lange über der Produktivität langen.
Mitte der 1990er-Jahre erkämpfte die IG Metall die 35-Stunden-Woche.
Streiks werden regelmäßig, aber nicht immer von Gewerkschaften getragen. 1969 war die Bundesrepublik tief zwischen links und rechts gespalten. Die erste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit war durchlebt. Im "Heißen Herbst von 1969" brach Unwillen über langlaufende Tarifverträge mit geringen Lohnsteigerungen vielerorts in wilden Streiks hervor, die teils von der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes gestützt wurden. Ergebnis waren Zulagen und längerer bezahlter Urlaub.
In der Bundesrepublik die Ausnahme: politische Streiks
1948 waren in der US-amerikanischen und der britischen Besatzungszone viele Preise freigegeben, damit sich eine Marktwirtschaft entwickeln konnte. Als die neue Deutsche Mark schwächelte, warnten die Gewerkschaften mit einem eintägigen Generalstreik vor Preistreiberei zu Lasten der verarmten Bevölkerung. Dieser einzige politische Streik Westdeutschlands war harmlos im Vergleich mit den politischen Streiks der Weimarer Republik und den politischen Arbeitsniederlegungen im Ostblock.
Im Juni und Juli 1953 streikten Arbeiter in der DDR, vor allem in Berlin, Magdeburg und Halle - erst gegen höhere Arbeitslast, dann für politische Freiheit. Das führte zu großer Repression mit Toten, Verletzten und Verhaftungen. Der 17. Juni 1953 blieb der DDR-Führung aber stets Mahnung. "In der Zukunft sollten Konflikte unterhalb der Schwelle eines solchen Aufstands gehalten werden", schreibt der Wirtschaftshistoriker André Steiner. "Die Versorgung und der private Verbrauch durften um den Preis der Machtsicherung nicht zu stark beeinträchtigt werden".
In den 1950er-Jahren klärte die Rechtsprechung in der Bundesrepublik, dass Streiks nur bei Tarifverhandlungen statthaft sind. Politische Streiks sind in Deutschland verboten. Angesichts des westdeutschen Nachkriegsmodells der "Einheitsgewerkschaft" haben die ohnehin kein Interesse an Politisierung. Denn anders als in der instabilen Weimarer Republik und in vielen westeuropäischen Ländern gilt es als Vorteil, große, schlagkräftige, aber auch abwägende Gewerkschaften zu haben, die christlich-konservative, liberale und linke Mitglieder vereinen.
Nicht immer einig: Gewerkschaftsspitze und Basis
Tarifauseinandersetzungen und damit auch Streiks sind für Gewerkschaften auch intern wichtig. Während Tarifforderungen diskutiert und später Tarifverhandlungen mit oft großen regionalen Kommissionen geführt werden, haben Gewerkschaftsfunktionäre engen Kontakt zu großen Teilen ihrer Mitgliedschaft. Sie erfahren direkt und bei Warnstreiks konkret, wie viele Leute sich für welche Ziele begeistern lassen. Umgekehrt ist das Streikgeld, das Gewerkschaften ihren Mitgliedern zahlen, wesentliches Argument für die hohen Gewerkschaftsbeiträge - oft werden ein Prozent des Bruttoverdienstes berechnet.
Schwierig ist die Lage, wenn die Mitgliedschaft hochmotiviert ist, die Funktionäre aber wissen oder eingesehen haben, dass zu hohe Löhne üble Folgen haben werden. Das zeigte sich schon im Werftenstreik 1957: Vereinbarte Abschlüsse wurden von der Mitgliedschaft erst mit 76 Prozent abgelehnt und bekamen bei einer zweiten Abstimmung auch nur 39 Prozent Zustimmung. Das genügte allerdings: Um übermotivierte Streikende in den Griff zu bekommen, reichen meist 25 Prozent Zustimmung zum Verhandlungsergebnis.