Ifo-Chef Sinn fordert HRE-Verstaatlichung "Nur der Staat kann es machen"
Die Regierung hat noch nicht über einen Einstieg bei der Hypo Real Estate entschieden. Für Ifo-Chef Sinn steht fest: Die Bank muss verstaatlicht werden. Im Gespräch mit tagesschau.de sagt er, der Staat müsse einspringen - er sei zwar kein guter Banker, aber habe Geld. Die Ursache für die Finanzkrise sieht Sinn in einem "Laschheitswettbewerb".
tagesschau.de: Welche Vor- und Nachteile hat eine mögliche Verstaatlichung der HRE?
Hans-Werner Sinn: Die Frage ist: Gibt es Alternativen? Ich sehe keine. Es ist kein privater Investor bereit, dort einzusteigen, also kann es nur der Staat machen.
tagesschau.de: Sie hatten im Oktober auf tagesschau.de gesagt, die Verstaatlichung der Banken würde Probleme multiplizieren.
Sinn: Inzwischen ist viel passiert. Ich sehe bei der Hypo Real Estate leider nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln: Untergang mit unübersehbaren Folgen oder Verstaatlichung. Im Übrigen habe ich auch schon im Oktober, unmittelbar nach der Verabschiedung des deutschen Rettungspaketes, darauf hingewiesen, dass man Wege finden muss, den Banken Eigenkapital zuzuführen, wenn sie es freiwillig nicht nehmen wollen, um eine Kreditklemme zu verhindern.
Allerdings meinte ich damit eine stille Teilhaberschaft des Staates. Wenn systemrelevante Banken pleite zu gehen drohen, wie im Fall der HRE, kommt man um eine echte Verstaatlichung nicht herum. Sobald sich die Märkte wieder beruhigt haben, muss man die Bank aber wieder privatisieren. Der Staat ist, wie die Landesbanken zeigen, kein guter Banker, aber er hat Geld. Deswegen muss er jetzt einspringen. In dem damaligen Interview wurde nach dem Börsencrash die Verstaatlichung als Gesamtverstaatlichung des Bankenwesen diskutiert – das würde ich weiterhin ablehnen.
Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Er gehört zu den Ökonomen, die im Arbeitsmarktbereich für "weniger Staat" und Deregulierung plädieren, für die Schaffung eines Niedriglohnbereiches und die Senkung der sozialen Transferleistungen.
tagesschau.de: Ist es nicht besser, die HRE pleite gehen zu lassen und dann die Banken in der zweiten Reihe, die besser gewirtschaftet haben, vor dem Dominoeffekt zu schützen?
Sinn: Wenn man die HRE nicht rettet, schadet man nicht der Bank, sondern ihren Gläubigern. Es sind Leute, die ihr Geld dort angelegt haben, und es sind andere Banken, die dann auch betroffen sind. Es gäbe viele Ansteckungseffekte.
Möglicherweise weitere Banken betroffen
tagesschau.de: Ist die HRE ein Einzellfall oder werden noch weitere folgen?
Sinn: Sie ist im Moment ein Einzelfall. Doch der Abschreibungsbedarf bei den Banken ist riesig. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es noch andere gibt, die da betroffen sein werden. Wir haben ja sehr viele Banken in Deutschland.
tagesschau.de: In den vergangenen Jahren hieß es oft, die Nationalstaaten seien zu klein, um solche Probleme auf dem internationalen Finanzsektor zu lösen. Nun werden staatliche Interventionen gefordert. Ist der Nationalstaat doch nicht überholt?
Sinn: Die Krise zeigt, dass der Nationalstaat mit der Bankenregulierung überfordert ist. Es hat in der Vergangenheit ein Laschheitswettbewerb stattgefunden, bei dem sich die Staaten in den Anforderungen an das Bankengeschäft gegenseitig unterboten haben, um das Bankengeschäft in das eigene Land zu ziehen.
Die Folge war, dass die Banken mit viel zu wenig Eigenkapital arbeiten durften und in der Krise in Schwierigkeiten kamen. Das war neben den politischen Vorgaben zur Häuserfinanzierung in Amerika der Grund für den Kollaps. Die Deregulierung lässt sich nicht aus einzelstaatlicher Sicht überwinden. Denn wenn ein einzelnes Land damit anfängt, vertreibt es die Banken in ein anderes Land. Das geht nur, wenn alle Länder gemeinsam Regeln entwickeln.
"Wenn es schlecht läuft, gibt man den Schlüssel ab"
tagesschau.de: Welche Regeln schlagen Sie vor?
Sinn: Das wichtigste sind hohe Eigenkapitalquoten. Dann haben die Banken auch mehr zu verlieren und werden nicht mehr so riskante Geschäfte machen. Wenn man wenig Eigenkapital hat, geht man hohe Risiken ein. Wenn es gut geht, steckt man die Gewinne ein. Wenn es schlecht geht, gibt man den Schlüssel ab und überlässt die Zeche dem Steuerzahler oder den Gläubigern der Bank.
tagesschau.de: Welche staatliche Instanz ist in der Lage, diese Bank nach einer Verstaatlichung zu führen?
Sinn: Keine staatliche Instanz ist in der Lage, so etwas gut zu machen. Daher kann es nur eine temporäre Verstaatlichung geben. Auch die Landesbanken müssen privatisiert werden, wenn die Krise vorbei ist. Aber wir müssen jetzt erst einmal die nächsten zwei, drei Jahre überstehen.
tagesschau.de: Können Sie verstehen, dass viele Leute nicht nachvollziehen können, warum so viel Geld in den Bankensektor gegeben wird?
Sinn: Verstehen kann ich es, aber es gibt keine Alternative.
tagesschau.de: Was passiert denn, wenn Banken wie die HRE pleite gehen?
Sinn: Dann bekommen Anleger ihr Geld nicht zurück, es kommt zu Abschreibungen bei anderen Banken, die auch Geld angelegt haben. Wenn die Staaten ihre systemrelevanten Banken nicht stützen, kommt es zum Kollaps des Finanzsystems. Deshalb haben die G8-Länder und die EU im Oktober beschlossen, dass sie keine systemrelevanten Banken mehr untergehen lassen. Die Kernschmelze des Bankensystems stand damals kurz bevor und ohne diese Rettungspakete hätte es sie gegeben - und es wäre zu Verhältnissen wie im Jahr 1929 gekommen.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de