Verkehrsverbände kritisieren 2022 noch keine Bahnstrecke reaktiviert
Hunderttausende Menschen in Deutschland könnten davon profitieren, wenn stillgelegte Gleise wieder ans Streckennetz der Bahn angeschlossen würden. Doch seit knapp einem Jahr hat sich nichts getan.
Aus der Sicht mehrerer Verkehrsverbände kommen Bund und Länder mit der Reaktivierung einst stillgelegter Bahnstrecken weiterhin kaum voran. Seit der Bundestagswahl im vergangenen Jahr sei bislang "kein einziger Kilometer Schienenstrecke in Deutschland" reaktiviert worden, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer des Interessenverbands Allianz pro Schiene heute in Berlin.
"Das ist ein sehr ernüchterndes Signal, auch vor dem Hintergrund der Koalitionsvereinbarung, die unmissverständlich und ohne Einschränkung sagt: 'Wir werden Strecken reaktivieren'." Die Verbände fordern, stillgelegte Bahnstrecken wieder schneller ans Netz zu nehmen. Mit der Reaktivierung könne man in der Fläche den Rückzug der vergangenen Jahrzehnte korrigieren und umdrehen.
Reaktivierung einiger Strecken noch in diesem Jahr
Einer der Gründe dafür, dass es stockt: Länder und Kommunen haben laut Flege in diesem Jahr zunächst auf eine neue rechtliche Grundlage für die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Wiederertüchtigung alter Schienenwege gewartet, die im Juli in Kraft getreten sei.
Flege bewertete diese als Fortschritt gegenüber älteren Regelungen und geht davon aus, dass zum Fahrplanwechsel im Dezember in diesem Jahr doch noch einige Strecken reaktiviert werden. Dazu gehörten etwa jeweils ein Kilometer lange Abschnitte im brandenburgischen Beelitz sowie im niedersächsischen Einbeck. "Wir rechnen aber auch im Dezember nur mit einer einstelligen Kilometerzahl von reaktivierten Strecken", sagte er. Die Allianz pro Schiene kritisiert schon seit Jahren ein mangelndes Tempo bei der Wiederinbetriebnahme stillgelegter Strecken.
Die Reaktivierungen alter Bahnstrecken gelten in diesem Zusammenhang als effektive Maßnahme, um bundesweit mehr Menschen ans Schienennetz anzubinden. "Die Bereitschaft, die Schiene zu nutzen, ist da - und das Potenzial für mehr Schienenverkehr enorm. Die Menschen erwarten mit Recht einen zügigen Ausbau - auch da, wo es heute keinen Anschluss an die Schiene gibt", so Flege.
Hunderttausende wieder ans Schienennetz anbinden
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schlägt in einer aktualisierten Broschüre bundesweit insgesamt knapp 280 sogenannte entwidmete Strecken mit einer Gesamtlänge von knapp 4600 Kilometern vor, die für eine Reaktivierung in Frage kämen. 332 Städte und Gemeinden könnten laut durch die vorgeschlagenen Reaktivierungen wieder Anschluss an das Bahnnetz erhalten und auf diese Weise Hunderttausende Menschen wieder ans Schienennetz angebunden werden.
Das marode und überlastete Schienennetz der Bahn soll bis 2030 umfangreich saniert werden. So sollen etwa mehr als 19 Milliarden Euro in neue Lokomotiven fließen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat die Sanierung des Bahnnetzes im Sommer zur Chefsache gemacht.