Nach Warnung vor Zusammenbruch des Euro Regierung sieht keine Kollaps-Gefahr
Europa steht nach Einschätzung der Bundesregierung "nicht am Rande einer Katastrophe". Diese Meinung führender Ökonomen werde "ausdrücklich nicht geteilt". In einem Gutachten hatten sie mit dramatischen Worten vor dem Euro-Kollaps gewarnt und mehr Engagement von Deutschland gefordert.
Die Bundesregierung hat Warnungen von führenden Ökonomen vor einer Zuspitzung der Eurokrise als überzogen bezeichnet. "Die Einschätzung, dass Europa am Rande einer Katastrophe steht, wird von der Bundesregierung ausdrücklich nicht geteilt", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter. "Das ist eine von vielen Expertenmeinungen, die wir zur Kenntnis nehmen." Streiter betonte, viele der Expertenpositionen deckten sich mit denen der Regierung, etwa die Ablehnung von Eurobonds oder einer langfristigen Transferunion. Deutschland habe sich von Beginn der Krise an dafür eingesetzt, dass die Konstruktionsfehler der Währungsunion beseitigt würden. "Vieles ist ja auch schon erreicht", sagte Streiter. "Die Verschärfung des Stabilitätspaktes und der Fiskalpakt sind nur Beispiele dafür."
"Wirtschaftliche Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes"
17 Wirtschaftswissenschaftler hatten in einem Gutachten vor einer dramatischen Verschärfung der Eurokrise gewarnt und ein schnelles Gegensteuern verlangt. Europa steuere auf eine wirtschaftliche Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes zu.
Die US-Denkfabrik Institute for New Economic Thinking hatte das Gremium aus 17 renommierten europäischen Volkswirten ins Leben gerufen. Dem Rat gehören mehrere in Deutschland prominente Vertreter der Zunft an. Zwei Mitglieder des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Lars Feld und Peter Bofinger, sowie Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, sind vertreten.
Bofinger: Situation verschlechtert sich "auf allen Feldern"
Der Wirtschaftsweise Bofinger warnte in der Tagesschau, die Krise in der Eurozone sei dabei, "außer Kontrolle zu geraten". Unter Verweis auf die steigenden Zinsen der Krisenländer sagte er, "auf allen Feldern" werde die Situation schlechter statt besser. Eindringlich warnte er vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone. Die Folge wäre ein "konjunktureller Schock" ähnlich dem nach der Lehman-Pleite. Der Tenor der Ökonomen lautet daher: Nicht weniger Engagement, sondern mehr ist nötig.
Mehr Engagement nötig
"Es braucht von deutscher Seite größere Anstrengungen, um die hohen Refinanzierungskosten für Länder wie Spanien und Italien zu senken", sagte der Mitautor Feld der "Financial Times Deutschland". Das Problem: Der Rettungsschirm ESM sei zu klein, um den größeren Euro-Ländern zu helfen. Daher verständigten sich die europäischen Wirtschaftswissenschaftler als akute Krisenmaßnahme auf den vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds. Damit könnten die Verbindlichkeiten langfristig wieder auf ein tragfähiges Niveau fallen, sagte Feld.
Dabei würden die Euro-Staaten für den Teil ihrer Verbindlichkeiten, die die 60-Prozent-Marke übersteigen, gemeinsam einstehen und sich zugleich verpflichten, die Schulden auf 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung abzubauen.
Die Bundesregierung hatte diesen Vorschlag bisher aus rechtlichen Gründen immer wieder abgelehnt, hält sich aber die Möglichkeit einer Meinungsänderung offen. Vize-Regierungssprecher Streiter sagte, wenn jemand einen Vorschlag unterbreite, wie dieses Modell verfassungsgemäß umgesetzt werden könne, spreche nichts dagegen, das zu prüfen. "Aber es gibt aus sich heraus keinen Anlass dazu", fügte er hinzu. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hatte erst vor wenigen Tagen erklärt, er arbeite an der Weiterentwicklung seines Konzepts für einen Altschulden-Tilgungsfonds, der auch europa- und verfassungsrechtlichen Maßstäben genüge.
Schaffung einer Bankenunion
Zu den weiteren Vorschlägen der Gruppe gehört die Schaffung einer gemeinsamen Bankenunion mit einer zentralisierten Aufsicht. So werde die Stabilität der Banken zu einem Anliegen der ganzen Union. Langfristig sei es möglich, den Währungsraum so auszugestalten, dass europäische Schulden nicht vergemeinschaftet würden, glauben die 17 Ökonomen.
Alle Strukturreformen könnten aber nur Erfolg haben, wenn die Staaten ihre hohen Schulden abbauten und ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellten, erklärten die Ökonomen.
Widerspruch zu Offenem Brief deutscher Ökonomen
Die 17 europäischen Wirtschaftsexperten widersprechen in ihren Einschätzungen auch den rund 170 deutschen Ökonomen, die nach dem jüngsten EU-Gipfel Anfang Juli in einem Offenen Brief vor einem stärkeren Engagements Deutschlands in der Euro-Krise gewarnt hatten. Der Protestaufruf hatte seinerseits Protest bei anderen Ökonomen und seitens der Politik ausgelöst.