Gewinne statt Gemeinwohl Der Profit mit der Pflege
Jahrhundertelang war die Pflege Sache der Familie, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände. Inzwischen drängen internationale Kapitalanleger in den Markt. Auf Kosten der Pflegebedürftigen?
Uringeruch, Schimmel, überfordertes Personal: Immer wieder werden unzumutbare Zustände in deutschen Pflegeheimen bekannt. Bei zwei Häusern der Alloheim-Gruppe beispielsweise wurde vor einiger Zeit wegen massiver Pflegemängel die Schließung angeordnet. Sie konnten nur weiterbetrieben werden, weil ein anderer Betreiber sie übernahm. In weiteren Heimen der Gruppe wurden ähnliche Missstände öffentlich. Auch wenn Alloheim diese teilweise bestreitet.
Alloheim ist mit rund 170 Einrichtungen einer der größten Anbieter auf dem privaten Pflegemarkt. Zumindest in einigen dieser Einrichtungen scheint Profitmaximierung offenbar Priorität zu haben. Innerhalb weniger Jahre wechselte das Unternehmen mehrfach den Eigentümer. Inzwischen gehört es dem schwedischen Finanzinvestor Nordic Capital.
"Heuschrecken quetschen Pflegeheime aus"
"In den letzten zwei Jahren zeigt sich immer deutlicher ein Trend, dass große internationale Investmentgesellschaften Einrichtungen aufkaufen und diese auf 'bestclass profitibility' trimmen", sagt der Pflegeexperte Hanno Heil vom Verband der Katholischen Altenhilfe. Diese sogenannten Heuschrecken würden die Pflegeheime ausquetschen, um sie nach wenigen Jahren wieder gewinnbringend zu verkaufen.
Eine Entwicklung, die so sicherlich niemand im Blick hatte, als 1995 die Pflegeversicherung eingeführt wurde. Damit wurde der Markt für private Anbieter geöffnet, nachdem die Pflege zuvor jahrhundertelang eine Sache der Familien, Kirchen und Wohlfahrtsverbände war. Das Ziel des Gesetzgebers war es, die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen finanziell abzusichern und den Ausbau von dringend benötigten Pflegeeinrichtungen anzukurbeln. "Markt" und "Wettbewerb" waren die Schlagworte der Zeit.
"Private Anbieter waren findiger und engagierter"
Ein notwendiger Schritt, meint der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang: "Seit Einführung der Pflegeversicherung haben wir eine beachtliche Expansion der Pflegeinfrastruktur." Die sei getrieben worden von privaten Anbietern, die in vielen Bereichen schneller, findiger und engagierter gewesen seien als die gemeinnützigen Träger.
Oft waren es engagierte Kranken- oder Altenpfleger, die ihre Chance sahen, sich selbstständig zu machen, sich Kapital beschafften und ein Pflegeheim eröffneten. Solche gebe es auch heute noch, die mit viel Herzblut sehr gute Arbeit leisten würden, sagt Heil von der Katholischen Altenhilfe, die zur Caritas gehört. Andererseits sei es viel schwieriger geworden, heute ein einzelnes Pflegeheim mit 60 bis 80 Plätzen wirtschaftlich zu führen.
Pflegebranche - ein lukrativer und sicherer Anlagemarkt?
Diese Heime sind es nun häufig, die von großen Betreibergesellschaften aufgekauft werden - mit zum Teil hohen Renditeerwartungen. Die Pflege ist ein lukrativer Markt geworden. Mehr und mehr Immobilienkonzerne, Pensions- oder Hedgefonds investieren hier. Denn die Anlage gilt als vergleichsweise sicher. Knapp dreieinhalb Millionen Pflegebedürftige gibt es schon jetzt. Bis 2050 dürften es Schätzungen zufolge mehr als fünf Millionen werden. Die müssen versorgt werden. Und wenn sie selbst dafür nicht aufkommen können, springt die Solidargemeinschaft ein.
Gerade deshalb sind Gesundheitsminister Jens Spahn allzu hohe Renditen in diesem Bereich ein Dorn im Auge. "Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften - das ist nicht die Idee einer sozialen Pflegeversicherung", sagte er in einem Interview mit der "Zeit". Er könne sich vorstellen, diese Renditen zu deckeln. In der Branche sorgte das für Empörung.
Spahn: "Gewinne auf Kosten der Pflegebedürftigen"
Doch die Frage ist angebracht: Wie gerecht ist es, dass private Kapitalanleger Gewinne aus einem Bereich ziehen, in dem der weit überwiegende Teil der Leistungen aus Pflegeversicherung oder Sozialhilfe kommt? Also über Beiträge und Steuern finanziert wird. Zudem äußert Spahn den Verdacht, dass sehr hohe Gewinne quasi zwangsläufig auf Kosten der Pflegebedürftigen gehen müssten.
Das jedoch ist schwer zu belegen. Vergleichsstudien zur Qualität von Pflegeheimen privater und frei gemeinnütziger Träger können kaum Unterschiede feststellen. "Das Problem ist, dass es an verlässlichen Instrumenten fehlt, die Pflegequalität zu beurteilen", sagt Rothgang von der Uni Bremen. Die Pflegenoten hätten versagt. "Es gab Heime, die wegen Pflegemängeln geschlossen werden mussten, die zuvor Bestnoten erhalten hatten." Derzeit werde an einem neuen System zur Qualitätskontrolle gearbeitet.
Privat ist nicht gleich schlecht
Auch der Vorwurf, private Träger würden schlechter bezahlen, lässt sich schwer beweisen. Der Markt ist undurchsichtig, es gibt keine einheitlichen Tarife, und vorhandene Studien stützen sich lediglich auf Stichproben. Bei Personalausstattung und Fachkraftquote schneiden die privaten Träger sogar minimal besser ab als die frei gemeinnützigen.
Die Formel "privat ist gleich schlecht" und "frei gemeinnützig ist gleich gut", geht also nicht auf. "Es gibt einzelne schwarze Schafe im Markt, allerdings auf beiden Seiten", sagt der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer. "Aber ich kann deswegen nicht ein ganzes System ändern wollen, das viele Vorteile hat." Seiner Meinung nach sind die gesetzlichen Regelungen und die Kontrollen zur Qualitätssicherung ausreichend.
Klar ist aber auch: Der Anreiz, höhere Gewinne zu machen ist bei privaten Anbietern höher. Denn gemeinnützige Träger dürfen Gewinne gar nicht an Dritte ausschütten. Und irgendwo müssen die Gewinne ja herkommen.
Niemand weiß, wie viel tatsächlich verdient wird
Wie hoch die allerdings in der Branche tatsächlich sind, kann niemand genau sagen. Der Marktführer Korian, der in Deutschland rund 230 Pflegeheime betreibt, erzielte 2017 laut eigenen Angaben eine Nettorendite von drei Prozent. Im Schnitt erzielten private Pflegeheime laut einer Auswertung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung etwa vier Prozent. Von zweistelligen Renditen, wie Spahn sie anprangert, kann also auf den ersten Blick keine Rede sein.
Allerdings gehen Branchenbeobachter dennoch von teils deutlich höheren Gewinnmargen aus. Durch Unternehmensverschachtelungen sei allerdings schwer nachvollziehbar, wo tatsächlich wie viel Gewinn anfällt.
Laut Verbandschef Meurer braucht es die privaten Investoren allerdings dringend. "Wir brauchen in den nächsten Jahren an die 100 Milliarden Euro an Investitionen nur in die Infrastruktur." Neue Pflegeheime müssten gebaut, alte renoviert werden. Wer da Geld hinein gebe, dürfe doch auch eine Verzinsung erwarten. "Wer sonst", fragt Meurer, "soll denn stattdessen investieren?"