Pressestimmen zu Draghi-Äußerungen "Eurostaaten erledigen ihre Arbeit nicht"
EZB-Chef Draghi kommt in den deutschen und internationalen Pressekommentaren trotz seiner vagen Ankündigungen zum Staatsanleihenkauf verhältnismäßig gut weg. Viel Kritik gibt es hingegen am uneinheitlichen Auftritt der Euro-Staaten. Aus Spanien kommt die Warnung vor den sozialen Folgen weiteren Sparens.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kommentiert EZB-Chef Mario Draghis Äußerungen folgendermaßen: "Nicht erst jetzt hat die Europäische Zentralbank ihr Mandat extrem weit gedehnt. Durch den Kauf riskanter Staatsanleihen, die Anleger meiden, ist sie mit bislang 211 Milliarden Euro längst zum indirekten Staatenfinanzierer geworden, auch wenn EZB-Präsident Draghi das bestreitet. In der vergangenen Woche hat Draghi mit einer Rede in London die Märkte in fiebrige Erwartung versetzt. Die Finanzwelt hoffte auf einen baldigen Schuss aus einer Wunderwaffe, möglichst mit hunderten Milliarden Euro geladen. Stattdessen gab es am Donnerstag erst einmal eine kalte Dusche, weil die Zentralbank ihre Hilfe an Bedingungen knüpft. Hilfsbedürftige Staaten müssen erst Reformen vorweisen und einen Antrag beim Rettungsschirm EFSF/ESM stellen, bevor die Zentralbank Anleihen aufkauft."
Auch der Berliner "Tagesspiegel" äußert sich zum Umgang der der EZB mit der Finanzkrise: "Wenn die EZB entschlossen ist, notfalls weiter Staatsanleihen aufzukaufen, und die Märkte darauf reagieren, ist das ein Hoffnungszeichen. Womöglich muss die EZB gar kein Geld ausgeben. Denn als Kreditgeber letzter Instanz verfügt sie über einen so großen Hebel, dass Spekulanten vorsichtig werden. Mit der EZB will sich keiner anlegen. Natürlich birgt das Manöver Risiken, solang es von der Politik nicht flankiert wird. Im ordnungspolitischen Grabenkrieg, in dem Politiker mit Thesen zum Rausschmiss Griechenlands zündeln, passiert das Gegenteil. So lockt man Spekulanten an. Gut wäre es, wenn der Klarheit im Ton jetzt eine Klarheit der Maßnahmen folgen würde: der Rettungsschirm bekommt eine Banklizenz und die EZB garantiert, dass sie einspringt, wenn der Schirm trotzdem zu klein wird."
"Für Angela Merkel hat die Methode Draghi einen großen Vorteil"
Der "Mannheimer Morgen" blickt auf die Rolle der Bundeskanzlerin: "Für Angela Merkel hat die Methode Draghi einen großen Vorteil: Für eine erneute Aufstockung der gemeinsamen Rettungsschirme würde sie im Bundestag kaum noch eine Mehrheit bekommen. So aber bleibt Europa für den Fall, dass sich die Krise noch weiter zuspitzt, handlungsfähig. Sollte es auch Draghi mit seiner 'Bazooka' nicht gelingen, den Euro zu stabilisieren, war ohnehin alle Mühe vergebens. Ob der Rettungsschirm ESM scheitert oder die EZB, spielt dann keine Rolle mehr - die Zeche müsste so oder so der Steuerzahler übernehmen"
Auch im Ausland wurde Draghis Auftritt natürlich aufmerksam verfolgt. "El País" aus Madrid schreibt: "EZB-Präsident Mario Draghi hat die Erwartungen all jener enttäuscht, die auf eine sofortige und massive Intervention der EZB auf den Anleihemärkten gehofft hatten. Die Deutsche Bundesbank, die eisern auf einer antiinflationären Politik besteht, hat sich in der EZB mit ihrem eindimensionalen Modell durchgesetzt. Kurzum: Die EZB kündigte an, dass in ihren Beziehungen zu den angeschlagenen Euro-Ländern vorerst andere Spielregeln gelten." Die linksliberale Zeitung meint weiter: "Der Euro wird nicht zerbrechen. Dies hat Draghi nachdrücklich versichert. Aber man wird den Eindruck nicht los, dass Spanien und Italien den Erhalt der Währung mit weiteren drakonischen Einsparungen bezahlen müssen. Die sozialen Folgen sind unvorhersehbar."
"Problemländer müssen ihre Probleme selbst lösen"
Die niederländische Zeitung "De Telegraaf" meint: "Mit einer royalen Geste aus Frankfurt hätte die EZB nicht nur ihre Kompetenzen überschritten, sondern auch den Problemländern im Süden Europas ein teures und unverdientes Geschenk gemacht. Sie müssen ihre Probleme in erster Linie selbst lösen - durch Sparmaßnahmen und Reformen. All das entlässt EZB-Chef Mario Draghi und die europäischen Führer aber nicht aus der Pflicht, in der Zwischenzeit alles zu tun, um mit kleinen und vor allem klugen Maßnahmen das Vertrauen in den Euro herzustellen. Die Eurokrise, die Europas Wirtschaft immer mehr lähmt, hat nun wirklich lange genug gedauert."
Der rechtsliberale Mailänder "Corriere della Sera" bricht eine Lanze für EZB-Präsident Mario Draghi: "Mit ihren massiven Abschlägen nach seiner Rede beschuldigen die Börsen den EZB-Präsidenten, er habe den Worten nicht Taten folgen lassen. In diesem Fall haben die Märkte allerdings unrecht. Mario Draghi hat alles gegeben, was er geben konnte. Dabei hütete er die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, die politischen und institutionellen Fesseln im heutigen Europa vor Augen. (...). Vor allem aber: Indem er sich nicht auf spezifische Eingriffe festlegt, verschließt der EZB-Präsident keine Tür vor möglichen späteren Interventionen. Und er erinnert die Politik an eine grundsätzliche Wahrheit: Die Möglichkeit und die Forderung von Rettungsmaßnahmen, mit deren angenehmen und unangenehmen Folgen, ist nicht so sehr Sache der EZB, sondern obliegt den Regierungen und deren Wählern."
"Die 17 Eurostaaten erledigen ihre Arbeit nicht"
Und die Pariser Zeitung "Le Monde" kommentiert: "Die Finanzmärkte haben nicht gewartet. Sie beurteilten die Gemeinschaftswährung im Lichte der Zaghaftigkeit der 17 Euroländer. Diese sind unfähig, ein Klima des Vertrauens zu schaffen. Sie sind nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen. Sie verstehen es nicht, ihr Handeln nach den Gipfeln abzustimmen. (...) Angesichts der verheerenden Kosten der spanischen und italienischen Schuldenberge soll nun die Europäische Zentralbank (EZB) einspringen. Sie wird Rom und Madrid sicher zu Hilfe kommen. Doch EZB-Präsident Mario Draghi hat tausend Mal Recht, wenn er feststellt: Die 17 Eurostaaten erledigen ihre Arbeit nicht."